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Politik

"Die militärische Option wagen"

26. September 2016

Soll der Westen die syrische Opposition militärisch gegen Assad und Russland unterstützen? Der Nahostexperte Udo Steinbach plädiert im Deutsche-Welle-Interview für diesen Kurswechsel.

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Porträt Udo Steinbach (Foto: DW)
Steinbach: "Assad in Zukunft zu dulden, wäre absurd"Bild: DW

DW: Herr Professor Steinbach, muss man die Lage in Syrien im Moment als aussichtslos bezeichnen?

Steinbach: Ja, sie ist aussichtslos. Selbst wenn man einen Formelkompromiss findet wie vor wenigen Tagen, bleibt es eben nur ein Formelkompromiss und führt nicht weiter, weder, was Aleppo betrifft, noch, was die Situation insgesamt betrifft. Die Interessenlagen sind einfach zu unterschiedlich. Der Westen will sich weiter heraushalten, er will auf der Seitenlinie stehen, er will sich auf humanitäre Dinge beschränken, und Russen und Syrer wollen eine militärische Entscheidung herbeiführen.

Auch wenn es makaber klingt: Gibt es wenigstens die Aussicht, dass sich die Kriegsparteien müde kämpfen?

Ja, aber nicht heute und morgen. Und vor allen Dingen kämpft ja nur eine Partei. Es kämpfen eigentlich nur die syrische Luftwaffe und die Russen, die die syrische Luftwaffe unterstützen. Es kämpft ein bisschen die Opposition, und der Westen kämpft gar nicht. Und solange das der Fall ist, werden diejenigen, die für den Kampf optieren, immer die stärkeren Karten haben. Also, die Frage ist nicht mehr Diplomatie ja oder nein, sondern die Frage ist jetzt ein militärischer Einsatz ja oder nein. Vor wenigen Tagen hat man zum erstenmal seit langem wieder über eine Flugverbotszone gesprochen, und genau das wäre der erste und richtige und wichtige Schritt.

Das heißt, wenn es den politischen Willen dazu gäbe, könnte darin eine Lösung liegen?

Selbstverständlich. Eine Lösung noch nicht, aber ein erster Schritt in Richtung auf die Lösung, ein erster Schritt in Richtung darauf, den Russen und Syrern klarzumachen, dass man endlich bereit ist, etwas zu tun, dass man der militärischen Gewalt eine militärische Antwort entgegensetzt. Bisher hat man das nicht getan, hat immer Rückzieher gemacht, hat sich auf Formeln zurückgezogen. Und die andere Seite hat gekämpft und hat, das muss man sagen, gesiegt, und will sich jetzt nicht, fünf Minuten vor dem Endsieg, sozusagen die Butter vom Brot nehmen lassen.

Wie weit müsste dieses militärische Engagement gehen?

Darüber ist ja gesprochen worden: eine Flugverbotszone für die syrischen Kampfflugzeuge. Die Flugzeuge würde man abschießen, wenn sie aufsteigen, und dann würden wir sehen, was die Syrer machen, man würde sehen, was die Russen machen. Und vor allen Dingen wüsste man dann, wenn weiterhin bombardiert wird, wer überhaupt bombardiert. Jetzt weiß man ja nie, ist es die syrische Luftwaffe? Ist es die russische Luftwaffe? Wer hat neulich den Konvoi angegriffen? Eine Flugverbotszone gegen die syrischen Jets würde es also ermöglichen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Der Westen hat zum Beispiel in Libyen gesehen, was passiert, wenn ein Staatschef verschwindet, der vielleicht autokratisch regiert, aber immerhin das Land zusammenhält. Könnte der Westen deswegen bereit sein, Assad in Zukunft dulden?

Das wäre absurd. Es wäre absurd, nach allem, was geschehen ist, einen Staatschef zu dulden, der seine eigene Bevölkerung zu Hunderttausenden massakriert hat, die Hälfte der Bevölkerung buchstäblich in die Flucht geschlagen hat. Das ist völlig undenkbar. Eine diplomatische Lösung mit Assad ist nicht mehr drin. Und da die Russen und die Iraner und andere offensichtlich noch immer von einer solchen Lösung träumen, wird diese Lösung nicht möglich sein. Am Ende bleibt tatsächlich nur eine Eskalation auch in militärischen Varianten.

Auf der anderen Seite sagen viele Leute, von den Rebellengruppen, die man zum Teil vorher unterstützt hat, gebe es praktisch kaum noch gemäßigte Ansprechpartner.

Das stimmt einfach nicht. Es gibt natürlich ganz Radikale, und es gibt ganz Gemäßigte, und in der Mitte gibt es eine Vielzahl von Organisationen, die in der einen oder anderen Weise, sagen wir: halbradikal sind, islamistisch sind. Und wenn man sich hier die Mühe machen würde und wenn der politische Wille und dahinter auch der militärische Wille bestünde, so könnte man sehr wohl eine Front der Opposition zusammenschmieden, die man nachhaltig unterstützt und stark macht, um in Damaskus einen Machtwechsel herbeizuführen. Jetzt benutzt man Ausreden: Das seien unprofilierte Gruppen, sie seien radikal. Das sind alles Ausreden, weil man sich vor der letzten Konsequenz scheut, nämlich, die militärische Option mit einer militärischen Unterstützung eben dieser Opposition zu wagen. Da man diese militärische Unterstützung aber scheut, deklassiert man sozusagen auch die politische Opposition.

 

Der Nahostexperte und Islamwissenschaftler Prof. Udo Steinbach leitete mehr als 30 Jahre das Deutsche Orient-Institut in Hamburg.

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.