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Syrien, die Koalition und der Kompromiss

Kersten Knipp3. Dezember 2015

US-Politiker sind optimistisch: Der Syrien-Konflikt lasse sich absehbar lösen. Das gilt aber nur im Hinblick auf die gemäßigten Gruppen in dem Land. Doch eine große Herausforderung bleibt bestehen.

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Dschihad-Kämpfer im Irak UNDATED PHOTO POSTED ON A MILITANT WEBSITE
Bild: picture-alliance/AP Photo

Um den Syrien-Konflikt steht es aus amerikanischer Sicht besser als weithin angenommen. Die Chance auf eine politische Lösung sei "besser als je zuvor in dieser Krise", erklärte der US-Vize-Außenminister Tony Blinken dieser Tage. Auch Außenminister John Kerry gab sich optimistisch. "Wir sind womöglich nur einige Wochen von einer Übergangslösung in Syrien entfernt", erklärte er im November. Das hätten viele Leute vermutlich noch nicht bemerkt. "Aber das ist der Stand der Dinge".

Als Grund für seinen Optimismus führte Blinken die wenig komfortable Lage an, in die sich Russland durch seine militärische Intervention in Syrien begeben hätte. Zwar habe das Land dadurch seinen Einfluss auf Assad nochmals verstärkt. Zugleich habe es sich aber auch viele neue Gegner geschaffen. "Russland gilt nun als Verbündeter von Assad, der Hisbollah und des Iran – und damit als Gegner der Interessen der überwiegenden Zahl der Muslime weltweit."

Moskau in Schwierigkeiten

Die nämlich sind Sunniten, die ein Erstarken schiitischer Staaten und Organisationen fürchten. Die Konfessionalisierung des Konflikts, von Assad einst befeuert, um die schiitischen Kräfte – allen voran den Iran und die Hisbollah – auf seine Seite zu ziehen, fällt auf ihn und Russland nun mit voller Wucht zurück. Außer in Syrien mag Russland Sympathien bei den Regierungen in Iran und im Irak genießen. Die anderen Staaten dürften seit der Intervention aber zu Distanz, wenn nicht offener Gegnerschaft zu Putin gegangen sein. Nirgend zeigte sich das deutlicher, als mit dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges in der Türkei vor mehreren Tagen. Dass Russland auch mit Angriffen dschihadistischer Terrorgruppen zu rechnen hat, zeigte sich durch den Abschuss der russischen Verkehrsmaschine über dem Sinai.

Ein russisches Kampfflugzeug im syrischen Luftraum, 09.10.2015 (Foto: Ministry of Defence of the Russian Federation)
Über dem syrischen Himmel: Ein russisches KampfflugzeugBild: picture-alliances/Ministry of Defence of the Russian Federation

So unverbrüchlich die Treue, die Russland seinen Verbündeten gegenüber beweist, so groß die Schwierigkeiten, die ihm diese Politik bei den anderen Staaten einbringt. Auch zu Hause stößt die Politik Moskaus nicht nur auf Begeisterung: 15 Prozent der Landesbevölkerung sind sunnitische Muslime, denen Putins Bekenntnis zur schiitischen Achse wenig behagt. Auch in dieser Hinsicht macht die Konfessionalisierung des Konflikts Moskau zu schaffen.

Alles "Terroristen"?

Insofern dürfte Russland ein starkes Interesse daran haben, den Konflikt in Syrien möglichst rasch zu beenden. Dies auch darum, weil die Luftangriffe, die es in Syrien fliegt, zwar für spektakuläre Bilder sorgen, auf dem Boden aber offenbar nur begrenzte Wirkung haben. Das mit der Politik des Nahen Ostens befasste Internet-Magazin "Al-Monitor" berichtet, die oppositionelle, säkular ausgerichtete Freie Syrische Armee (FSA) sei nach wie vor kampfstark und setze den unter russischem Feuerschutz operierenden Kräften des Assad-Regimes weiterhin militärisch zu. Auch darum ist Moskau nun offenbar daran interessiert, mit der FSA zu verhandeln.

Bei diesen Verhandlungen ist Russland auch auf die Verbündeten der Anti-Assad-Kräfte, allen voran die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, angewiesen. Diese, berichtet die arabische Zeitung "Al-Hayat", weisen Moskau nachdrücklich darauf hin, dass ohne die FSA eine politische Lösung nur schwerlich möglich sei. Zudem haben diese Staaten auch Kontakte zur islamistischen und sogar dschihadistischen Opposition in Syrien – zu eben jenen Gruppen, die Russland pauschal zu "Terroristen" erklärt. Zumindest zu den gemäßigten Gruppen könnten die sunnitischen Staaten Kontakte herstellen.

Radikale Islamisten in Deutschland, 20.04.2011 (Foto: DPA)
Global attraktiv: Weltweit sympathisieren radikale Islamisten mit dem ISBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Wachsender Kompromissdruck

Zwar herrscht zumindest nach außen noch kein Einvernehmen darüber, welche Rolle diese Gruppen in der Nachkriegszeit spielen sollen. Der Druck auf eine Einigung könnte nach den terroristischen Anschlägen in Paris und anderen Orten Frankreichs, in Ägypten und Tunesien aber wachsen. Auf Kompromisse, vermutet die Zeitung "Al-Hayat", könnte sich Russland darum einlassen. "Präsident Putin will kein militärisches Engagement in Syrien, dessen Ende offen ist. Wenn seine Interessen garantiert sind, ist er bereit für eine Exit-Strategie." Doch eine zentrale Frage bleibt nach wie vor: Die politische Zukunft von Präsident Bashar al-Assad'

Die Einigung mit diesen Gruppen dürfte auch darum nötig sein, weil nur so eine Front für den Kampf gegen den eigentlichen Feind, die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS), gefunden werden kann.

Der Traum vom Kalifat

"Al-Monitor" brachte Mitte November ein Interview mit einem ehemaligen IS-Strategen namens Abu Omar. Der bezeichnete den IS als die "fortgeschrittenste Form des globalen Dschihadismus, hervorgegangen aus 30 Jahren Erfahrung."

Die Stärke des IS, heißt es in dem Artikel weiter, beruhe vor allem auf der Faszination, die er auf politische Islamisten ausübe. Diese träumten seit 1924 von der Wiedereinsetzung des in jenem Jahr von dem türkischen Präsidenten Atatürk abgeschafften Kalifats. Außerdem gebe der IS vielen Muslimen das Gefühl, in seinen Reihen gut aufgehoben zu sein. Gewöhnliche Muslime empfänden ein Gefühl der Schwäche wie auch der Distanz zu den in der Region herrschenden Regimen, von denen sie zudem keinerlei Unterstützung zu erwarten hätten. "Dieses Gefühl wuchs mit der Zeit und ging nun auf Angehörigen der um die Jahrtausendwende geborenen Generation über. Sie wollten zu einer Einheit gehören, die Macht, Religion und Moderne vereint".

Die Machts- und Einflusssphären der verschiedenen Gruppen in Syrien und im Irak, 20.05.2015 (Grafik: DW)
Die Macht- und Einflusssphären der verschiedenen Gruppen in Syrien und im Irak

Stark machten den IS auch die rund 25.000 aus über 100 Ländern stammenden Freiwilligen in seinen Reihen. Die seien in ihren Herkunftsländern zu unerwünschten Personen erklärt worden und hätten dort keine Perspektive mehr. "Sie haben keinen anderen Rückzugsort als den IS und werden darum bis zum letzten Mann für seinen Erhalt kämpfen."

Der IS stellt seine Gegner vor erhebliche Herausforderungen. Das erhöht den Druck, Kompromisse zu finden. Nur dann, auf Basis einer gemeinsamen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Linie, lässt sich der Dschihadismus offenbar mit Erfolg bekämpfen.