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Symbolträchtige Kommunalwahlen

Samir Huseinovic/ Zoran Arbutina10. Oktober 2012

Bei den Kommunalwahlen am 7. 10. ging es in Srebrenica um viel mehr als die Wahl der Gemeindevertreter. Denn noch heute überschattet das Massaker an mehr als 8000 muslimischen Einwohnern das politische Tagesgeschehen.

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Blick über die Stadt Srebrenica, aufgenommen am 15.11.2006. (Foto: dpa)
Srebrenica in Bosnien HerzegowinaBild: picture-alliance/dpa/M. Schrader

Die Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina haben die bisherigen Machtverhältnisse bestätigt: dort wo Bosniaken, Serben oder Kroaten die Bevölkerungsmehrheit besitzen, gewannen die jeweils nationalen Parteien. Vor den Kommunalwahlen wurde im ganzen Land heftig gestritten. Parteien nutzten die Gelegenheit, um sich zu profilieren und ihre allgemeinen politischen Standpunkte zu präsentieren. Lokale Politiker und deren Themen wirkten deshalb bei Wahlveranstaltungen wie schmückendes Beiwerk. Besondere Aufmerksamkeit galt diesmal der Stadt Srebrenica.

Der Name der kleinen Stadt im Osten Bosniens, unweit der Grenze zu Serbien, hat weltweit traurige Berühmtheit erlangt. Hier wurden im Juli 1995 während des Krieges in Bosnien-Herzegowina von den Truppen der bosnischen Serben unter dem Kommando von General Ratko Mladic über 8000 muslimische Jungen und Männer ermordet. Es war das schlimmste Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Internationale Gerichte stuften es als Völkermord ein. Seitdem steht Srebrenica als Symbol für die Gräueltaten im Bosnien-Krieg.

17. Gedenktag vom Völkermord in Srebrenica. Die Bilder wurden in Juli 2012 aufgenommen. (Foto:DW/Marinko Sekulic)
Wiederkehr eines Traumas: Gedenken an den Völkermord in Srebrenica im Juli 2012Bild: DW

Legalisierter Völkermord?

Vor dem Krieg lebten in der Gemeinde etwa 37.000 Menschen, zwei Drittel davon muslimische Bosniaken, ein Drittel Serben. Der Krieg änderte die Bevölkerungsstruktur dramatisch: Tausende Muslime wurden getötet oder vertrieben, zahlreiche Serben siedelten sich neu an. Oft waren diese auch selbst Vertriebene aus anderen Teilen des Landes. Nach dem Krieg, als mit dem Daytoner Friedensabkommen das Land administrativ zwischen Serben auf der einen und Muslimen und Kroaten auf der anderen Seite aufgeteilt wurde, fiel die Gemeinde Srebrenica vollständig dem serbischen Teil - der Republika Srpska - zu. Mittlerweile sind knapp 10.000 Menschen, überwiegend Muslime, in die Gemeinde Srebrenica zurückgekehrt. Heute sind die Muslime in der Minderheit, schätzungsweise zwei Drittel der Bewohner sind Serben.

Portrait von Camil Durakovic, Bürgermeister von Srebrenica
Bürgermeister Camil DurakovicBild: DW

Das hätte normalerweise im heutigen Bosnien-Herzegowina auch politische Folgen: Da die Wähler fast überall im Land nach ethnischen Kriterien wählen, wäre in Srebrenica eine serbisch dominierte Gemeinde- und Stadtverwaltung zu erwarten gewesen. Dem ist aber nicht so: Seit Kriegsende hat Srebrenica einen bosniakischen Bürgermeister, und die Kommunalverwaltung ist die einzige in der Republika Srpska, wo Muslime in der Mehrzahl sind.

Das erklärt sich durch eine Besonderheit des Wahlgesetzes für Srebrenica. Während überall in Bosnien-Herzegowina auf den Wählerlisten einer Gemeinde nur die Personen verzeichnet sind, die dort auch ihren Wohnsitz haben, konnten in Srebrenica bisher auch Flüchtlinge wählen, die jetzt woanders leben, egal ob im Inland oder im Ausland. Das war eine politische Entscheidung, durchgesetzt von der internationalen Gemeinschaft: Man wollte den Völkermord nicht ausgerechnet am symbolträchtigen Ort des Grauens durch die bereinigten Wählerlisten bestätigen und legalisieren. Erst in diesem Jahr wurde das geändert. Die Zentrale Wahlkommission in Bosnien-Herzegowina (CIK) entschied, dass nun auch für Srebrenica die gleichen Bedingungen gelten sollen wie im Rest des Landes: Nur wer dort seinen Wohnsitz hat, kann in der Stadt bei den Kommunalwahlen seine Stimme abgeben.

"Neue Realität"

Für die Befürworter dieser Änderung ist das eine logische Entscheidung. "Es sind doch Kommunalwahlen", sagt Vesna Kocevic, Bürgermeisterkandidatin der in der Republika Srpska regierenden Sozialdemokratischen Partei SNSD, "und über Srebrenica sowie darüber, was in der Gemeinde passiert, sollen die Bürger entscheiden, die hier auch leben." Menschen, die seit Jahren nicht mehr in Srebrenica wohnen, würden die konkreten Probleme gar nicht kennen - so wüssten sie beispielsweise nicht, welche Straße zuerst asphaltiert werden sollte.

Camil Durakovic, bosniakischer Wahlsieger in Srebrenica, hatte vor den Wahlen gesagt, dass "die Situation, die wir heute haben, nicht durch irgendeine natürliche Migration entstanden ist, sondern durch ein Verbrechen." Wie viele andere Kritiker der Entscheidung der Wahlkommission betonte er, dass jetzt genau das passiere, was man die ganze Zeit nach dem Krieg vermeiden wollte: Ethnische Säuberungen würden nun zementiert und Kriegsverbrechen als Grundlage für eine "neue Realität" akzeptiert. Am Ende, so seine Einschätzung, würden Radovan Karadzic und Ratko Mladic, die beiden Kriegsführer der bosnischen Serben, doch noch als Sieger dastehen. Durakovic fühlt sich durch Äußerungen wie die von Milorad Dodik bestätigt. Der Präsident der Republika Srpska und Vorsitzende der dort regierenden Sozialdemokratischen Partei sagte unlängst auf einer Wahlkampfveranstaltung in Srebrenica: "Hier gab es keinen Völkermord!"

Portrait von Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska (Foto: AP)
Völkermord-Leugner: Milorad Dodik, Präsident der Republika SrpskaBild: AP

Deutungshoheit über die Geschichte

Um solche Umdeutungen der Geschichte zu verhindern, wurde im bosniakisch dominierten Teil Bosnien-Herzegowinas die Bürgerinitiative "Ich stimme für Srebrenica ab" gegründet. Der Name ist Programm: Alle Bosniaken im Land werden dazu aufgerufen, ihren Wohnsitz in Srebrenica anzumelden und dann bei den Wahlen für "ihren" Kandidaten Camil Durakovic zu stimmen. Damit wurde ein Wettbewerb um neu registrierte Wähler eröffnet, der absurde Züge angenommen hat.

Tausende folgten dem Aufruf der Initiative "Ich stimme für Srebrenica ab". Am Ende waren in der Stadt 6600 bosniakische Wähler registriert - zum Wahllampf-Auftakt waren es gerade einmal 2000.

In Srebrenica wird nicht bloß wie im übrigen Bosnien-Herzegowina bei den Wahlen über eine Kommunalverwaltung abgestimmt - in der symbolträchtigen Stadt geht es in der Wahrnehmung vieler Menschen um die Deutungshoheit über die jüngste Geschichte des Landes. Und dieser Kampf ist in Bosnien-Herzegowina noch längst nicht entschieden.