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Swet Shop Boys: Weiß zu sein, reicht nicht mehr

Farhad Mirza
7. Juni 2017

"Wir müssen die Stimmen der Menschen integrieren, nicht nur ihre Körper", fordert Rapper Riz MC. Er und sein HipHop-Trio Swet Shop Boys sprachen mit der DW über Musik, Extremismus und die Suche nach Identität.

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The Swet Shop Boys
Die Swet Shop Boys (v.l.n.r.): Redinho, Riz MC, HeemsBild: courtesy of Swet Shop Boys

Migration macht Identität komplizierter. Für viele Menschen mit dunkler Hautfarbe, die in der Diaspora geboren wurden, ist die Herausforderung der Identitätsfindung ein ständiger Begleiter. Sie sind halb dies, halb das und immer die anderen.

Die Swet Shop Boys sind ein transatlantisches HipHop-Trio, das genau das ist: halb dies, halb das. Das prominenteste Mitglied der Gruppe ist der britisch-pakistanische Schauspieler und Rapper Riz MC, der aus Filmen wie "Four Lions", "Nightcrawler" und "Star Wars: Rogue One" bekannt ist. Unterstützt wird er vom amerikanisch-indischen Rapper Heems und dem britischen Produzenten Redinho, dessen ominöse, genreübergreifenden Klangkulissen die lyrischen Attacken der Rapper perfekt unterlegen.  

Ihr Debütalbum "Cashmere" (2016) zelebriert auf humorvoll-prahlerische Art und Weise Themen wie Vielfältigkeit und Dualität und nimmt das Britische Empire, Sicherheitskontrollen an Flughäfen, Hare Krishnas und Donald Trump aufs Korn.

Die Songs der Swet Shop Boys spielen meist an Flughäfen oder anderen Orten, an denen man sich gewissermaßen zwischen den Welten befindet. Orte, an denen Menschen oftmals entmenschlicht und unpersönlichen politischen Protokollen untergeordnet werden. Der Albumtitel nimmt Bezug auf die stark umkämpfte Grenzregion Kaschmir zwischen Indien und Pakistan, der beide Konfliktparteien das Recht auf Selbstbestimmung verweigern. Die Songs sind gespickt mit markanten und sarkastischen Punchlines.

Die DW hat mit den drei Musikern vor ihrem ersten Deutschland-Konzert über Rap, Politik, Identität, Satire, moderne Ängste und das Bild vom "guten Immigranten" gesprochen.

DW: Rapmusik scheint auf große Resonanz bei Minderheiten in Europa und den USA zu stoßen. Warum ist das so, und wie seid ihr zum Rap gekommen?

Riz: Ich denke, es ist eine politisierende und mobilisierende Kunstform für farbige Menschen der Arbeiterklasse weltweit. In unserem Song "Half Mogul, Half Mowgli" spreche ich davon, dass schwarze Rapper die einzigen Helden meiner Jugend waren. Für mich war Tupac ein echter "Paki", insofern als dass seine Musik eine Vorlage für den ethnischen und sozio-ökonomisch Außenseiter war - für jemanden, der das Land aufgebaut hat, es geprägt und ihm dadurch Relevanz verliehen hat, sich aber dennoch unerwünscht fühlt.

Heems: Um Rap und Basketball kam man in meiner Nachbarschaft in Queens, New York, gar nicht herum. Es gab einfach keine anderen erschwinglichen Möglichkeiten - ein Instrument kann zum Beispiel sehr teuer sein. Rap ist ein zugängliches Medium. Es geht darum, das Beste aus dem, was man hat herauszuholen, seinen Platz am Tisch einzufordern, seine Stimme zu erheben. Viel von dem habe ich in den Einwanderergeschichten meiner Eltern gesehen. Die gingen mir sehr nah und zeigten mir, was ich in jener Zeit durchmachte.

Die Kinder mit denen ich aufgewachsen bin, haben keine Bücher gelesen. Sie mochten Musik, vor allem Rap. Es ging also darum, die Geschichte aus der Community heraus für die Community zu erzählen, ohne daraus zwangsläufig einen Nutzen ziehen zu wollen.

Hinzu kommt, dass mir durch meine pandschabische Herkunft Trommeln, Poesie und Prahlerei mit in die Wiege gelegt wurden. Rap war also der richtige Weg für mich. 

The Swet Shop Boys
Nicht nur erfolgreicher Rapper, sondern auch gefeierter Schauspieler: Riz MCBild: Luis Bompastor

In Großbritannien stehen die Wahlen vor der Tür. Habt ihr einen Favoriten?    

Heems: Ja, wählt (Jeremy) Corbyn!

Riz: Ja, wenn ich die Wahl hätte, würde ich für Corbyn stimmen.

Heems: Du hast die Wahl. (lacht)

Riz: Naja, haben wir wirklich die Wahl unter diesen Umständen?

Das Thema Migration ist ein zentrales Thema der aktuellen politischen Debatte. Woher, denkt ihr, kommt die Angst vor Migration?

Redinho: Wenn man unsicher ist, was die Zukunft bringt, fängt man an, nach Dingen zu suchen, die bereits etabliert sind. Ich denke, dass die Menschen einen Wandel spüren, so als würden wir in ein unbekanntes Kapitel der menschlichen Evolution schreiten. In Zeiten der Unsicherheit tendieren Menschen zu starren, polarisierenden Ideologien. Aber sie haben solche Veränderungen immer überlebt und sind gestärkt aus dieser Herausforderung hervorgegangen, weil sie interkulturell zusammengearbeitet haben.

Ich glaube, genau das spiegelt unsere Musik wider. Ich versuche so viele unpassende Elemente wie möglich miteinander zu vermischen. Je ungleicher, desto besser.

Heems: Ich denke, Verwirrung folgt auf Zusammenbruch. Wir sehen gerade den Zusammenbruch der Idee, dass weiße Haut ein Sicherheitsnetz ist. Und das macht Menschen Angst. Weiß zu sein war die einzige Versicherung, die man brauchte. Heute ist Progressivität vielfältig und sichtbar - wir sehen also eine Gegenbewegung. Wenn die Leute ihren Fernseher anschalten, sehen sie ethnische Minderheiten, Homosexuelle und Transgender. Sie sehen, dass diese Minderheiten auf gleicher Augenhöhe angekommen sind und wenden sich deshalb gegen sie - diese Reaktion ist rückschrittlich.

Eure Musik ist eine freche und humorvolle Antwort darauf, dass der politische Mainstream sich vermehrt extremistische Inhalte aneignet. Welche Rolle spielt Humor in eurer Musik?

Heems: Humor ermöglicht es uns, leichtherziger über Dinge zu sprechen, die eigentlich schmerzhaft sind. Es ist also eine Form von Selbstfürsorge. Rap ist ein Teil der afroamerikanischen Poesietradition. Wie Langston Hughes schon sagte: "Lachen, um nicht zu weinen." Ich lache lieber, als dass ich weine.

Riz: Für mich ist Humor ein Weg, um ein wenig Menschlichkeit in polarisierende Debatten einzubringen und Dinge verständlich zu machen. Man erinnert sich an Sachen, die einem ein gutes Gefühl geben. Wenn ich also jemandem ein gutes Gefühl geben kann, während ich ihm schreckliche Wahrheiten vermittle, ist es wahrscheinlicher, dass er sich an diese erinnert und sich für sie interessiert.

Außerdem glaube ich, dass es typisch britisch ist, Zynismus mit Humor zu vermischen. Ich erzwinge den Humor in meinen Songs nicht. Ich habe das Gefühl, dass die Welt wirklich absurd ist. Wenn man ein wenig Perspektive reinbringt, denkt man, "Guck, was diese Spezies sich selbst antut!" - es ist wahnsinnig komisch! Ich meine, gucken Sie sich an, wer der neue Präsident der USA ist! Schauen Sie sich den Brexit an. Unser Hang zur Selbstzerstörung ist einfach urkomisch. 

Heems: "Absurd" ist wohl tatsächlich die beste Beschreibung für die Zeit, in der wir leben. 

The Swet Shop Boys
Die Swet Shop Boys veröffentlichten ihr Debütalbum "Cashmere" 2016Bild: Christopher Bethell

Ihr seid als Kinder von Einwandererfamilien in Großbritannien und den USA aufgewachsen. Was bedeuten euch Indien und Pakistan, die Herkunftsländer eurer Eltern?

Riz: Mit 15 war ich zum ersten Mal in Pakistan und habe mich irgendwie fremd gefühlt. Ich dachte eigentlich, dass ich die Sprache gut beherrsche, aber die Leute haben mich immer wieder auf meinen Akzent angesprochen. Ich kann mich noch erinnern, als wir als Teenager durch Southall Broadway (Londoner Stadtteil, der hauptsächlich von Südasiaten bewohnt ist - Anm. d. Red.) gelaufen sind und "Pakistan, Pakistan" gerufen haben. Als ich dann dort war, dachte ich "Was ist das hier? Ich habe mit diesen Leuten nichts gemeinsam". Dann realisierst du, dass du nicht zwangsläufig irgendwo hingehörst, aber vielleicht deinen eigenen Platz finden kannst.

Menschen erwarten von Migranten und Minderheiten, dass sie sich dankbar und nicht kritisch zeigen. Ihr traut euch, eure Meinung offen zu äußern. Was haltet ihr von dem Bild des "guten Migranten"?

Riz: Ich bin in London geboren und aufgewachsen, meine Perspektive ist also eine andere als die eines Menschen, der aus einem Kriegsgebiet geflohen ist. Ich denke schon, dass man dankbar sein sollte dafür, dass westliche Länder Flüchtlinge aufnehmen, während viele muslimische Länder das nicht tun. Es gibt viel, worauf man in unseren Gesellschaften stolz sein kann. Aber wenn man Teil einer Gesellschaft ist, heißt das auch, dass man eine Stimme in dieser Gesellschaft hat. Und wenn eine erstickende Dankbarkeit von Migranten verlangt wird, untergräbt das die Arbeit, die nötig ist, um Integration zu stärken. Wir müssen die Stimmen der Menschen integrieren, nicht nur ihre Körper.  

 

Das Gespräch führte Farhad Mirza