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Sturm der Entrüstung nach türkischer Presseattacke

27. November 2015

Ein Bericht über angebliche Waffenlieferungen der türkischen Regierung an den IS war der Anstoß: Zwei Redakteure der Zeitung "Cumhuriyet" wurden deshalb verhaftet. Die internationale Empörung ist unüberhörbar.

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Demonstranten in Istanbul protestieren gegen die Inhaftierung zweier "Cumhuriyet"-Redakteure (Foto: dpa)
"Schreckliches Beispiel für die Lage der Pressefreiheit": Demonstranten in IstanbulBild: picture alliance/dpa/C. Turkel

Im Windschatten der Flüchtlingskrise zieht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Daumenschrauben gegen regierungskritische Journalisten an. Doch jetzt, kurz vor dem EU-Sondergipfel mit der Türkei, kommt ein Bumerang zurück: Die Verhaftung zweier Journalisten, die der Regierung mit Berichten über angebliche Waffenlieferungen des Geheimdienstes an die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zugesetzt haben, rief ein Echo hervor, mit dem Ankara womöglich nicht gerechnet hat - und das weit über die Staatsgrenzen hinaus.

Brüssel schrieb dem EU-Beitrittskandidaten umgehend die Einhaltung von Grundrechten ins Stammbuch: Die Türkei müsse sicherstellen, dass die Gesetze den Standards der Europäischen Union entsprechen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission und fügte hinzu: "Wir werden genau darauf achten, wie sich die Lage in der Türkei entwickelt." In ihrem jüngsten Bericht über das Land hatte die Kommission die Einschränkungen der Pressefreiheit und Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit kritisiert.

"Journalismus ist kein Terrorismus"

Der Türkei-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Andrew Gardner, bezeichnete die Inhaftierung der "Cumhuriyet"-Redakteure als "schreckliches Beispiel für die Situation der Pressefreiheit". Der Deutschen Presse-Agentur sagte Gardner, unter Präsident Erdogan gehöre es inzwischen zum Alltag, dass Journalisten wegen kritischer Berichterstattung im Gefängnis landeten. Mit Blick auf den EU-Flüchtlingsgipfel am Sonntag mahnte der Menschenrechtler, Europa sollte nicht seine Prinzipien über Bord werfen, weil es die Türkei als "Wächter" benötige.

Protest gegen die Festnahme der Redakteure in Ankara (Foto: picture alliance/AP)
Tränengas gegen Kritiker: Protest gegen die Festnahme der Redakteure in AnkaraBild: picture alliance/AP Photo

Türkische Oppositionsvertreter und Medienverbände, aber auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Organisation "Reporter ohne Grenzen" fordern ebenso wie Amnesty die sofortige Freilassung der beiden Redakteure. "Journalismus ist kein Terrorismus", schrieb der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier. "Wo Journalisten verfolgt und eingesperrt werden, dürfen die Vertreter europäischer Demokratien nicht wegsehen."

Strafanzeige des Präsidenten

In der Haupstadt Ankara setzte die Polizei Tränengas gegen Demonstranten ein, die gegen die Festnahmen protestierten. An der Kundgebung nahmen auch Abgeordnete der Oppositionspartei CHP teil. Der Vorsitzende der CHP, Kemal Kilicdaroglu, nannte das Vorgehen der Behörden gegen die Journalisten eine "Schande". In Istanbul versammelten sich etwa 1000 Unterstützer vor dem dortigen Redaktionsgebäude der Zeitung.

Gegen den Chefredakteur von "Cumhuriyet", Can Dündar, und den Büroleiter in Ankara, Erdem Gül, war am Donnerstagabend ein Haftbefehl erlassen worden. Offiziell begründet wurde dies mit dem Verdacht auf Spionage und Geheimnisverrat. Präsident Erdogan hatte im Mai persönlich Strafanzeige erstattet, weil die Zeitung im Januar 2014 brisante Fotos veröffentlicht hatte. Sie sollen einen Waffenkonvoi des türkischen Geheimdienstes MIT zeigen, der angeblich für den IS in Syrien bestimmt war.

"Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar (Archivbild: dpa)
Jetzt im Gefängnis: "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar (Archivbild)Bild: picture alliance/ZUMA Press/V. Arik

Erdogan: "Er wird einen hohen Preis zahlen"

Zunächst hatte die Regierung den Vorwurf der Waffenlieferungen zurückgewiesen und von einer humanitären Sendung für die Turkmenen in Syrien gesprochen. Inzwischen fallen die Dementis jedoch wesentlich schwächer aus. Vor einigen Tagen fragte Erdogan in einer Rede: "Welchen Unterschied macht es denn, ob der Konvoi Waffen transportierte oder nicht?" Kritiker unterstellen der türkischen Regierung schon länger, radikal-islamische Gruppen in Syrien im Kampf gegen Präsident Baschar al-Assad mit Waffen zu unterstützen.

Nach der Veröffentlichung des Berichts waren Ende Oktober die Büros von "Cumhuriyet" in Istanbul und Ankara durchsucht worden. Erdogan kündigte damals an, Dündar werde "einen hohen Preis zahlen". Der Chefredakteur sagte jetzt vor dem Haftrichter, er sei weder ein Spion noch ein Held, sondern lediglich ein Journalist. Bei einer Verurteilung drohen Dündar und Gül lebenslange Haftstrafen.

jj/qu (dpa, afp, epd)