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Studieren in der Festung

13. April 2004

In der Grenzstadt Komarno entsteht die erste Universität für slowakische Ungarn

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Bonn, 13.4.2004, DW-RADIO, Vladimir Müller

Im südslowakischen Komárno wird bald die erste ungarische Universität in der Slowakischen Republik ihre Tore öffnen. Sie wird als Brücke zwischen der ungarischen Minderheit im Land und dem Mehrheitsvolk verstanden und soll die Bildungsunterschiede zwischen beiden Völkern beseitigen. Die Hochschule ist zugleich Ausdruck einer gewandelten Minderheitenpolitik in der jüngsten Republik Europas. Vladimir Müller hat sich in Komárno umgesehen:

Im Stadtbild fallen sofort die vielen Kirchen auf. Auf engem Raum nebeneinander haben hier ihre Gotteshäuser katholische und evangelische Christen, die Reformierten, serbisch-orthodoxe und nicht zu übersehen ist auch eine Synagoge. Monumental für eine Stadt mit 38 000 Einwohnern und einem kleinen renovierten Zentrum wirken die Stadt-Befestigungen. Teile von ihnen wurden bereits im Mittelalter angelegt, später sind sie durch Erdaufschüttungen erweitert worden. Komárno, auf Ungarisch Komárom, gehört zu den ältesten Städten in der Slowakei, mitten in einer fruchtbaren Landschaft, am Zusammenfluss der Donau und der Waag. Getreide, Gemüse und Obst werden in dieser Tiefebene angebaut.

Bis zur Wende 1989 verfügten über Teile der Stadt-Befestigungen die russischen Besatzungstruppen. Später bezog die slowakische Armee einige Objekte. Die ist aber inzwischen auch abgezogen. Bald werden in diesen Gemäuern neue Bewohner einziehen: Die erste ungarische Universität in der Slowakei soll hier ab nächstem Wintersemester ihren Betrieb aufnehmen.

"Ja, es ist besser, wenn wir hier auf Ungarisch studieren können." Die 19-jährige Angela ist Ungarin und macht noch in diesem Jahr Abitur. Slowakisch spricht sie mit einem leichten ungarischen Akzent, aber fließend. In der Süd- und Ostslowakei leben etwa 500 000 Ungarn, zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Region gehörte schon seit Jahrhunderten zum ungarischen Siedlungsgebiet. Angelas Mathematik-Lehrer, Ferencz Piczek meint stolz: "Die Ungarn, die hier leben, sind doch hier zuhause. Schon ihre Vor-Vorfahren haben hier gelebt!"

Erst nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie 1918, als Ungarn zwar selbstständig, aber durch neu gezogene Grenzen erheblich verkleinert wurde, sind die hiesigen Ungarn zunächst tschechoslowakische und nach 1993 slowakische Staatsbürger geworden. Sie lebten keineswegs immer in trauter Einheit mit dem Mehrheitsvolk der Slowaken, die in Komárno lediglich etwa ein Drittel der Einwohner ausmachen.

Gegenseitige Anfeindungen finde man aber in Komárno nicht, sagt der Mathematik-Lehrer. Ressentiments seien eher in Gegenden anzutreffen, wo es keine unmittelbare Erfahrungen mit der anderen Ethnie gibt. Piczek hegt keinen Groll: "Die 80 Jahre, die wir hier getrennt von Ungarn leben, hatten zur Folge, dass wir toleranter geworden sind als das Mehrheitsvolk."

Vor allem Mitte der 90er Jahre, unter der Regierung Vladimir Meciars, wurden erbitterte Kämpfe um Minderheitenrechte der Ungarn in der Slowakei geführt. Sogar aus Brüssel kamen in die Hauptstadt Bratislava Ermahnungen, europäische Standards einzuhalten, wenn es zum Beispiel um zweisprachige Ortsschilder ging.

Heute ist die ungarische Partei SMK in der slowakischen Regierung mit mehreren Ministern vertreten. Der Staatssekretär im Bildungsministerium, László Szigeti, selbst ein Ungar: "Seit 1998, dem Amtsantritt der neuen Regierungsmannschaft, hat sich die Lage der Ungarn kontinuierlich verbessert."

Auf keinen Fall diskriminiert fühlt sich die Abiturientin Angela: "Überhaupt nicht. Ich spüre absolut nicht, dass ich zu einer Minderheit gehöre, dass man mich nicht so behandeln würde wie die Slowaken."

Folgerichtig ist dann auch die Gründung der ersten ungarischen Universität in Komárno ein Erfolg der Minderheitenpolitik der slowakischen Mitte-Rechts-Regierung. Wenn alles gut läuft - einige administrative und technische Fragen blieben bisher ungelöst - werden ab 1. September 2004 insgesamt 300 Studenten an den Fakultäten für Wirtschaft und Management, Pädagogik und Theologie lernen können.

Finanziert wird die 25. Hochschule in einem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern aus dem Staatshaushalt, Unterstützung erhält sie aber auch aus dem Ausland. Die ungarische Regierung in Budapest zog zwar einen beträchtlichen Teil bereits zugesagter Gelder zurück: Der allgemeine Sparkurs gelte auch für Förderung ethnischer Ungarn in den Nachbarländern. Dies sei jedoch nicht wirklich entscheidend, meint Staatssekretär Szigeti. Er jedenfalls sieht die Wünsche der slowakischen Ungarn voll erfüllt: "Durch die Gründung der neuen Universität, denke ich, werden die Träume der ungarischen Minderheit wahr: Sicherstellen, dass man vom Kindergarten bis zur Hochschule die Möglichkeit zur Bildung in der ungarischen Sprache hat."

Und Béla Bugár, Vorsitzender der Partei der slowakischen Ungarn, fügt hinzu: "Für uns ist es besser, wenn unsere Schüler, die hier ungarische Grund- und Mittelschulen besuchen, dann hier auch studieren können. Sonst gingen sie nach Ungarn und dort würden sie das Slowakische vergessen und nach dem Studium nicht mehr zurückkehren."

Angela weiß noch nicht, wofür sie sich entscheiden soll: "Viele von hier wollen in Ungarn studieren, an den bekannten Universitäten. Ich weiß noch nicht, ob ich bleibe, an das ungarische Pädagogische Institut in Nitra gehe oder nach Ungarn." Auf jeden Fall freut sie sich schon auf die Europäische Union, der Ungarn und die Slowakei nun gemeinsam beitreten werden. Dann könne sie überall in Europa frei über die Grenzen reisen. Eine Grenze, die zu Ungarn, beginnt in Komárno noch vor der Donau-Brücke. Auf der anderen Seite, in Ungarn, liegt Komárom, der südliche, kleinere Teil der Stadt. Ab 1. Mai wird sich auch hier etwas Grundlegendes ändern. Zum Ausreisen genügt dann der Personalausweis.

(Angela) "Niemand wird dann kontrollieren, wie lange ich dort sein werde, wann ich zurückkomme. Es wird endlich so sein, als wären wir ein Land und ich passiere die Grenze, wann ich will." (TS)