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Glücklich trotz Handicap

Katrin Jäger28. August 2007

Nicht die körperbehinderten Kinder selbst, sondern deren Eltern fühlen sich oft ausgegrenzt. Das zeigt jetzt eine europäische Studie. Ein Grund: Die Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderung berühren sich kaum.

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Kinder mit Behinderung haben 'erfülltes Leben', so eine StudieBild: AP

Körperbehinderte Kinder empfinden ihr Leben als glücklich und ausgefüllt. So lautet das Ergebnis einer Studie in sieben westeuropäischen Ländern. Rund drei von 1000 Kindern kommen mit einer Zerebralparese auf die Welt. Das ist eine dauerhafte Schädigung der Bereiche im Gehirn, die die Bewegungen steuern. Die Betroffenen haben Schwierigkeiten beim Laufen, sind zum Teil auf einen Rollstuhl angewiesen und einige können auch ihre Hände nur eingeschränkt gebrauchen. In der Studie wurden jetzt erstmals die Kinder selbst befragt.

Die stellvertretende Direktorin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Lübeck, Ute Thyen, und ihr Team haben 75 betroffene Kinder und ihre Familien in Deutschland befragt. "Dass die Kinder ein erfülltes Leben führen, ist ein Ergebnis, das uns natürlich besonders freut", sagt Thyen. Sie berichteten über eine gute Lebensqualität in den verschiedensten Bereichen: Familie, Freunde, seelisches und auch körperliches Wohlbefinden.

Die Eltern fühlen sich oft ausgegrenzt

Die Betroffenen schätzen ihre Situation wesentlich positiver ein, als ihre Mitmenschen dies tun. Katharina Wesemüller erlebt häufig, dass nicht Behinderte sie bedauern, obwohl sie sich wohl fühlt. "Was mich mehr gestört hat, war das Mitleid von den anderen", sagt die 27-jährige Betriebswirtin. Dass sie kaum laufen und ihre Hände nur eingeschränkt benutzen kann, hat sie nie als Beeinträchtigung wahrgenommen. "Wenn Freunde Fußball spielen gehen, fahre ich mit und gucke zu. Es geht dann nicht darum, dass ich mit auf dem Feld stehe."

Im Vergleich zu anderen Ländern empfinden die betroffenen Eltern in Deutschland ihre Situation oft als belastend. "Ein Großteil fühlt sich von den Mitmenschen stigmatisiert", beschreibt Heide Kiecksee, Ergotherapeutin aus dem Studienteam der Lübecker Klinik. "Einige Eltern haben geschildert, dass sie direkt angefeindet wurden." Ihnen würde signalisiert, dass man es in der heutigen Zeit ja nicht mehr darauf ankommen lassen müsse, ein behindertes Kind zu haben. "Das empfinden Eltern als eine besondere Belastung, wenn sie das Gefühl haben, es wird gesellschaftlich Druck auf sie ausgeübt."

Gesellschaftlich in getrennten Welten

Ute Thyen führt dieses Verhalten darauf zurück, dass in Deutschland die Lebenswelten von Menschen mit und ohne Behinderung sich kaum berührten. Zum Beispiel seien barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Veranstaltungen, so dass auch Rollstuhlfahrer diese besuchen können, eher die Ausnahme. "Die meisten Ergebnisse dieser Studie rühren daran, dass die Gesellschaft und das Umfeld sich ändern müssen", macht Thyen deutlich. Die Kinder und die Eltern täten ihr Allerbestes, aber es müsste mehr Möglichkeiten geben, wo Menschen mit und ohne Behinderung aufeinander treffen können.

In der Bundesrepublik bleiben die Kinder mit Handicap in speziellen Schulen unter sich. Die Studie hat gezeigt, dass in den Ländern mit einem integrativen Schulmodell die gesellschaftliche Akzeptanz behinderter Menschen höher ist. Gaby Schönn hat das selbst erlebt. Ihre Tochter Sarah ging im US-Bundesstaat Michigan zwei Jahre lang in die Grundschule. "Es war selbstverständlich, dass Handicap- und Nicht-Handicap-Kinder in einem Gebäude untergebracht waren", berichtet Schönn. In der Schule habe es ein Frühförderzentrum gegeben und auch als Elternteil fühlte sie sich nicht ausgegrenzt: "Ich war ein Teil der Gemeinschaft wie jeder andere."

Deutschland bietet zu wenig Förderprogramme

Vor kurzem ist die Familie nach Deutschland gezogen. Jetzt besucht Sarah eine Schule für Körperbehinderte. Der Schulweg ist so weit, dass das Kind nie allein mit dem Rollstuhl dort hinfahren können wird. In den USA hat Sarah von klein auf an einem Förderprogramm teilgenommen, an ihrem jetzigen Wohnort Lübeck haben ihre Eltern vergeblich nach Vergleichbarem gesucht. Ute Thyen setzt sich deshalb für ein sozialpädiatrisches Zentrum am Ort ein.

Dort würden Ärzte mit Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Sozial- oder Heilpädagogen zusammen in einem Team arbeiten. Einerseits werde so ein gute Diagnose erstellt und andererseits könne der im Team erstellt Förderplan nicht nur ärztlich betreut werden, sondern beziehe sich auch auf die Bereiche Soziales, Schule, Freizeit und Familie. Bislang gibt es bundesweit 130 dieser Einrichtungen. "Das klingt viel, ist aber bei Weitem nicht flächendeckend", meint Ute Thyen.