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Politik

Studie: Familiennachzug zu hoch geschätzt

19. Oktober 2017

Wie viele Angehörige werden die hier lebenden Flüchtlinge nach Deutschland nachholen? Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Debatte über den Familiennachzug mit viel zu hohen Zahlen geführt wird.

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Bild: picture-alliance/dpa/S.Pförtner

Die in Deutschland lebenden Flüchtlinge können einer Studie zufolge deutlich weniger Familienmitglieder nachholen als bisher angenommen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg veröffentlichte Berechnungen, wonach bis Ende dieses Jahres 400.000 in Deutschland anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge nach der Genfer Konvention leben werden. Nur sie haben gegenwärtig ein Anrecht darauf, Familienangehörige nachziehen zu lassen. Der Zuwanderungsexperte Herbert Brücker fand heraus, dass es um 100.000 bis 120.000 Ehepartner und minderjährige Kinder geht. Das sind viel weniger Menschen als bisher vorausgesagt.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingszuwanderung 2015 war zeitweise von drei bis vier nachzugsberechtigten Familienangehörigen die Rede. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sprach noch Ende August von "gewaltigen" Zahlen, mit denen beim Familiennachzug von Syrern zu rechnen sei. "Wir schätzen auf jeden Flüchtling einen, der über Familiennachzug kommen wird", sagte der CDU-Politiker. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ging davon aus, dass jeder Flüchtling in etwa ein Familienmitglied nachholen könnte.

Die Studie des IAB, des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, kommt nun zu dem Ergebnis, dass das Nachzugspotenzial um zwei Drittel geringer ist. Aus diesen Berechnungen ergibt sich rechnerisch nur eine Nachzugsquote von 0,28 Personen für jeden Geflüchteten in Deutschland. Damit käme nur etwa eine nachzugsberechtigte Person auf vier Flüchtlinge. 

Zwei Hauptgründe

Zwei Gründe sind laut Studie dafür ausschlaggebend. Die Flüchtlinge seien jung und häufig ledig. Nur 46 Prozent seien verheiratet, nur 43 Prozent hätten Kinder. Als zweiten Grund nennt die Studie, dass die Mehrzahl der Familien gemeinsam geflohen sei. Nur 27 Prozent der Verheirateten hätten den Ehepartner zurückgelassen und etwa ebenso viele ihre minderjährigen Kinder - in der Regel beim Ehepartner im Heimatland.

Weitere 200.000 Geflüchtete haben einen sogenannten subsidiären Schutzstatus. Sofern sie nach dem März 2016 nach Deutschland gekommen sind, ist der Familiennachzug für sie bis März 2018 ausgesetzt. Es handelt sich vor allem um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die nicht als Asylbewerber anerkannt, aber auch nicht abgeschoben werden. Würden sie künftig wieder das Recht erhalten, Familienangehörige nachzuholen, stiege die Zahl der nachzugsberechtigten Ehepartner und Kinder laut IAB um 50.000 bis 60.000 Menschen auf voraussichtlich 150.000 bis 180.000.

Topthema bei Koalitionsgesprächen

Der Familiennachzug ist einer der Hauptstreitpunkte bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen der Union, der FDP und den Grünen. Die Union will ihn für subsidiär Geschützte auch über den März kommenden Jahres hinaus nicht zulassen, während die Grünen darauf bestehen, dass die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge ihre Familien nachholen dürfen.

Brückers Studie beruht auf einer repräsentativen Befragung von über 4800 erwachsenen Flüchtlingen. Der Forscher zog dazu auch Daten des Ausländerzentralregisters und der Visa-Statistik des Auswärtigen Amtes heran. Die Zahl der nachzugsberechtigten Familienangehörigen lasse sich so recht präzise bestimmen, sagte Brücker. Der tatsächliche Familiennachzug könne die Zahl der Nachzugsberechtigten möglicherweise erheblich unterschreiten.

kle/sti (epd, rtr, dpa)