1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Türkischem Geheimdienst keine Rechenschaft schuldig"

Ercan Coşkun14. September 2016

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehört, fordert die Ausweisung türkischer Geheimdienstler aus Deutschland. Warum, erläutert er im DW-Interview.

https://p.dw.com/p/1K1jd
Flaggen Deutschlands und der Türkei (Foto: Paul Zinken/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Ströbele, laut der "Welt am Sonntag" hat der türkische Geheimdienst MIT in Westeuropa rund 800 hauptamtliche Offiziere. Die meisten Agenten sollen in Deutschland stationiert sein. Warum fordern Sie die Ausweisung von Mitarbeitern des MIT?

Ströbele: Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass es Mitarbeiter gibt, die in Deutschland tätig sind und die beispielsweise mit Personen türkischer Herkunft Kontakt aufnehmen und sie in einem drohenden Ton auffordern, bestimmte Zeitungen nicht mehr zu abonnieren und keine Anzeigen mehr zu schalten. Auch an mich haben sich Personen, die betroffen waren, gewandt. Wenn das stimmt und wenn das Mitarbeiter türkischer Behörden oder des türkischen Geheimdienstes sind, dann wäre das in Deutschland eine strafbare Handlung. Diese Personen müssen dann entsprechend behandelt werden. Es muss ein Strafverfahren eingeleitet werden, mit der Konsequenz, dass sie vor Gericht gestellt werden oder mindestens ausgewiesen werden.

Sie stellen auch die Kooperation zwischen türkischen und deutschen Geheimdiensten infrage. Wo liegen momentan die Grenzen dieser Kooperation?

Es gibt eine lange Zusammenarbeit, nicht nur mit den türkischen Geheimdiensten, sondern auch mit anderen Geheimdiensten der NATO, etwa im Bereich des internationalen Terrorismus. Die deutschen Sicherheitsbehörden legen großen Wert darauf, dass diese Zusammenarbeit grundsätzlich auch erhalten bleibt, weil sie dabei wichtige Erkenntnisse haben und man sich auch gegenseitig Informationen gibt und in anderer Weise hilft. Dagegen hat auch keiner was. Aber es kann nicht sein, dass türkische offizielle oder inoffizielle Mitarbeiter von Geheimdiensten in Deutschland geheimdienstliche Tätigkeiten ausüben, die sich gegen hier lebende Personen richten. Dabei ist es egal, ob es sich um deutsche oder beispielsweise türkische Staatsbürger handelt. In Deutschland dürfen geheimdienstliche Tätigkeiten einer fremden Macht, und insofern ist die Türkei eine fremde Macht, nicht gegen deutsche Interessen stattfinden.

Hans-Christian Ströbele im Bundestag (Foto: Soeren Stache/dpa)
Hans-Christian Ströbele: Die Tätigkeit des MIT darf sich nicht gegen Personen richten, die in Deutschland lebenBild: picture-alliance/dpa/Uli Deck

Was für Tätigkeiten des Geheimdienstes würde man als strafbar bezeichnen? Geht es um alle Tätigkeiten oder nur um eine besondere Art der Tätigkeit?

Schon das Sammeln von Informationen über Firmen, Zeitungsunternehmen oder Einzelpersonen in Deutschland ist eine geheimdienstliche Tätigkeit, wenn das ein ausländischer Geheimdienst macht. Schon das darf nicht stattfinden. Schon gar nicht dürfen Personen in Deutschland unter Druck gesetzt und bedroht werden.

Es ist kein Geheimnis, dass die Gülen-Anhänger in der Türkei verfolgt und verhaftet werden. Hat der türkische Geheimdienst möglicherweise von Deutschland einen Informationsaustausch mit dem BND oder mit dem Verfassungsschutz verlangt, um Gülen-Anhänger in Deutschland auszumachen?

Das weiß ich nicht, aber ich gehe davon aus. Aber auch hier gilt: Wenn man in der Türkei einer Person, einer Gruppe oder einer Organisation wie der Gülen-Bewegung strafbare Handlungen vorwirft, muss man den ganz normalen Weg einhalten. Wenn der Verdacht begründet ist, kann man in Deutschland beispielsweise eine Auslieferung beantragen. Aber dazu muss man beweisen, dass diese Person verdächtig ist. Man muss Belege dafür haben, dass sie an einer strafbaren Handlung beteiligt ist. Das ist das normale zwischenstaatliche Verfahren. Ob das bei der Gülen-Bewegung derzeit erwogen wird oder schon angewandt wird, weiß ich nicht. Mir sind solche Fälle nicht bekannt.

Sie betonen, dass diese Tätigkeiten gegen Deutschland gerichtet sind und dass der türkische Geheimdienst versucht, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Aber geht es da nicht vielmehr um türkische Bürger in Deutschland?

Ja, aber die türkischen Bürger, die in Deutschland leben, sei es, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder einfach hier wohnen, sind nicht dem türkischen Geheimdienst Rechenschaft schuldig, sondern sie sind Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Dazu muss man nicht die Staatsbürgerschaft haben. Sondern es reicht, wenn man hier lebt, wenn man hier seinen Lebensmittelpunkt hat. Sie sind natürlich auch durch Grundrechte und durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschützt.

Wann werden Sie das Thema im Parlamentarischen Kontrollgremium auf die Tagesordnung setzen? Welcher Strategie werden Sie folgen?

Nach den ersten Meldungen, die ich den Medien entnommen habe, und nachdem sich auch Personen an mich gewandt haben, habe ich beantragt, dass das ein Tagesordnungspunkt im Parlamentarischen Kontrollgremium wird. Ich gehe davon aus, dass die Bundesbehörden, nicht nur deutsche Nachrichtendienste, sondern auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Polizei, solchen Verdachtsmomenten jetzt nachgehen. Ich erwarte zeitnah Informationen von der Bundesregierung und von den deutschen Behörden darüber, was sie festgestellt haben. Stimmt das? Sind das Einzelfälle? Gibt es viele solcher Fälle? Was hat die deutsche Regierung gemacht? Was haben die deutschen Sicherheitsdienste gemacht, um der Türkei klarzumachen, dass solche Sachen nicht gehen.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist.

Das Gespräch führte Ercan Coşkun.