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Krank im Job

Claudia Hennen5. Juni 2012

Die Krankmeldungen haben in Deutschland den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht - im Durchschnitt 3,6 Prozent der Beschäftigten haben ein ärztliches Attest. Psychische Erkrankungen nehmen immens zu.

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Frau vor Computer (Foto:dpa)
Die Belastung der Arbeitnehmer ist in der Vergangenheit deutlich gestiegenBild: picture-alliance/dpa

"Ich schaffe das, was mir aufgetragen wird, einfach nicht mehr. Wenn ich da sitze und diesen ganzen Berg voller Arbeit vor mir liegen sehe, könnte ich kotzen", so der drastische Hilferuf eines Betroffenen auf der Internet-Plattform stressforum.net. Ein anderer schreibt: "Ich habe zur Zeit wahnsinnige Kopfschmerzen. Zur Ruhe komme ich überhaupt nicht mehr."

Klagen wie diese sind eher Regel denn Ausnahme in Deutschland. Studien belegen, dass der Leistungsdruck im Job hierzulande in den vergangenen Jahren immens gestiegen ist. Über die Hälfte aller Beschäftigten muss häufig gehetzt arbeiten, 63 Prozent leisten seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit. Das ergab eine bundesweite Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im März 2012.

Erste Warnzeichen ernst nehmen

Psychische und psychosomatische Erkrankungen hätten etwa um das Zehnfache im Vergleich zu den 1970er Jahren zugenommen, schätzt Christine Richter vom Deutschen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung. Das ist ein Zusammenschluss verschiedener Krankenkassen und staatlicher Institutionen, die sich mit der Problematik beschäftigen. Richter rät Arbeitnehmern, auf erste Warnzeichen zu hören: "Wenn man über längere Zeit schlecht schläft, die Gedanken um ein ganz bestimmtes Problem kreisen, das man nicht aus dem Kopf bekommt, und der Rückzug aus dem sozialen Leben stattfindet - wenn das alles zusammenkommt, sollte man zum Arzt gehen."

Christine Richter vom Deutschen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung (Foto: BKK Bundesverband)
Christine Richter: Psychische Belastungen steigen starkBild: obs/BKK Bundesverband

Dabei seien Arbeitnehmer in sozialen Berufen besonders gefährdet. Dazu gehörten Beschäftigte in Pflegeberufen oder Sozialarbeiter, sagt Christine Richter. "Sie sind nicht nur psychisch, sondern auch körperlich stark belastet. Ärzte, obwohl sie auch Stress haben, sind dabei weniger betroffen als das Pflegepersonal, das wenig Entscheidungsspielraum hat."

Frauen erkrankten häufiger als Männer, weil sie oft auch noch Familie und Beruf vereinbaren müssten. 2010 waren fast doppelt so viele Frauen aufgrund psychischer Belastung berufsunfähig wie im Jahr 2000, so die Statistik des Bundesarbeitsministeriums.

Großer wirtschaftlicher Schaden

Dem Centrum für Disease Management der TU München zufolge fügen psychische Erkrankungen der Mitarbeiter deutschen Unternehmen einen jährlichen Schaden zwischen acht und 20 Milliarden Euro zu. Die Erkenntnis ist nicht neu. Vor zwei Jahren unterschrieben 18 europäische Länder in Edingburgh eine Deklaration zur Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmern.

Doch erst langsam sähen deutsche Unternehmen in vorbeugenden Maßnahmen einen Wettbewerbsvorteil, so Christine Richter: "Ein in die Gesundheit investierter Euro wirft etwa das Zweieinhalbfache an Gewinn aus. Wenn man seinen Mitarbeitern etwas bieten kann, hat man tatsächlich Vorteile. Viele deutsche Unternehmen suchen ja händeringend Fachkräfte."

Gesetzliche Regelung gefordert

Die Gewerkschaft IG Metall fordert mehr gesetzlichen Schutz für Arbeitnehmer. Beschränkt werden soll das "Arbeiten ohne Ende" - etwa bei Projektarbeit. Hans-Jürgen-Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, plädiert für eine umfassende Anti-Stress-Initiative: "Betriebsräte sollten geschult werden, um psychische Gefährdungen zu ermitteln und die Vorbeugung zu stärken. Außerdem fordern wir von der Politik eine Anti-Stress-Verordnung, die bei psychischen Gefährdungen greift."

IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban (Foto:dpa)
Hans-Jürgen Urban von der IG Metall will Arbeitnehmer besser schützenBild: picture-alliance/dpa

Die Umsetzung einer gesetzlichen Regelung sei aber schwierig, räumt Christine Richter ein. Das Deutsche Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung zeichnet jährlich Unternehmen für vorbildliches Gesundheitsmanagement aus - mehrfach bekam etwa das Waschmittelunternehmen Henkel das Zertifikat "Move Europe Partner Excellence" verliehen. Hier werden Mitarbeitern bei psychosozialen Problemen Beratungsgespräche oder Seminare zur Stressbewältigung angeboten.

Christine Richter rät Führungskräften dazu, in ihren Abteilungen auf einen bestimmten Gesundheitsstand hinzuarbeiten und den Mitarbeitern absolute Ruhezeiten zu gönnen: "Die Botschaft des Unternehmens an die Mitarbeiter ist dann: Wir verlangen nach 20 Uhr nicht mehr, dass Du deine E-Mails oder SMS checkst, damit die Mitarbeiter mal den Kopf frei bekommen und sich um sich selbst und um die Familie kümmern."