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Digitalisierung gefährdet Meinungsvielfalt

Eskandar Abadi
4. Dezember 2017

Die Philosophin Marie-Luisa Frick spricht im DW-Interview über die Parallelen von Demokratie und sportlichem Wettkampf und den Wert von echten Begegnungen in einer digitalisierten Welt.

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Marie Luisa Frick
Bild: Peter Unterthurner

Marie-Luisa Frick ist Professorin für Philosophie und Ethik an der Universität Innsbruck und hat unter anderem mehrere Abhandlungen zum Thema Menschenrechte veröffentlicht. Ihr neuestes Werk trägt den Titel "Zivilisiert streiten: Zur Ethik der Konfliktgegnerschaft". Für Frick ist es nicht der Konsens, sondern der Kompromiss, von dem die Demokratie lebt, und deshalb, sagt sie, sollte man weniger dem Streit ausweichen, als lernen, wie man Konflikte zivilisiert austrägt.

Deutsche Welle: Mit wem würden Sie sich nicht streiten, Frau Frick?

Marie-Luisa Frick: In der öffentlichen, akademischen Diskussion würde ich niemanden als Gesprächspartner ausschließen, sofern der- oder diejenige auch die Grundregeln eines kultivierten Gesprächs beherrscht. Da habe ich persönlich keine Berührungsängste, auch weil ich als Philosophin der Kraft des Arguments sehr stark vertraue und glaube, dass man, wenn man weiß, wo man selbst steht, auch sehr konträre Meinungen aushalten kann.

Sie sprechen in der Vorbemerkung zu Ihrem Buch von enormen Schwierigkeiten in Zeiten digitaler Abschottung, echte Begegnungen zu haben oder zu veranstalten. Meinen Sie, Konflikte kann man nur in persönlicher Anwesenheit zivilisiert austragen?

Ich glaube, dass Konflikte in digitaler und in klassischer Form stattfinden können, aber man sieht ja auch, dass Menschen sich durch gewisse Prozesse der Digitalisierung in Gruppen aufteilen, die immer homogener werden. Menschen umgeben sich mit gleichlautenden Meinungen, mit Personen, die ohnehin ähnlich denken und den gleichen sozialen Milieus entstammen. Das heißt, die Möglichkeit, heute in einer pluralisierten Gesellschaft diese Vielfalt – auch an weltanschaulicher Einstellung – zu spüren, die kommt uns irgendwie doch abhanden, wenn wir uns einigeln oder in Blasen und Echokammern bewegen – sei es innerhalb oder außerhalb des Netzes.

Worauf hoffen Sie, wenn Sie sich "echte Begegnungen" wünschen?

Dass Menschen sich auch dort, wo sie vielleicht von anderen und ihren Meinungen irritiert sind, nicht gleich abwenden, sondern versuchen, trotzdem ein Gespräch zu führen, auch mal einen Schritt mehr auf das Gegenüber zuzugehen, als man es sonst machen würde. Dass man seine Frustrationstoleranz erweitert und dass wir Gespräche nicht gleich abbrechen, wenn bestimmte Begriffe fallen und wir den anderen mit seiner Einstellung unangenehm finden.

An einer Stelle im Buch sprechen Sie vom Schachspiel, bei dem alle außer den Königen einander schlagen können, und übertragen dieses Bild auf die Frage, ob Gewalt legitim ist oder nicht. Inwieweit ist aber Politik mit Sport vergleichbar? Ist das Politische nicht zu ernst, um es mit solchen Vergleichen beschreiben zu wollen?

Eine Analogie zum Sport bietet sich durchaus an, wenn wir vom "Band der Gegnerschaft" sprechen. Für das zivilisierte Streiten braucht es nämlich die Grundeinstellung, dass die Demokratie ein Verfahren bietet, unterschiedliche Positionen gegeneinander in den Ring steigen zu lassen. In einer Demokratie gehen wir davon aus, dass wir gleiche Souveräne sind – gleich unter Gleichen. Daher dürfen wir auch nicht zu Gewalt greifen, um unsere Interessen durchzusetzen. Die Gegnerschaft wird unblutig ausgetragen.

Buchcover Marie Luisa Frick "Zivilisiert streiten"

Also ist der Boxsport die passende Analogie?

Ich würde keine spezifische Sportart für einen Vergleich wählen. Die Alternative zur Demokratie als Verfahren ist jedenfalls, dass wir unsere Interessen mit purer Gewalt durchsetzen und am Ende schauen, wie viele Menschen auf meiner Seite noch leben oder stehen. Da wird in Toten gezählt und nicht in Stimmabgaben. Dass wir immer vor dieser Alternative stehen, das müssen wir uns klar machen. Daher kann man auch sagen, dass die Demokratie, wenn wir sie als eine Zivilisierung der Gewalt sehen, auch etwas mit einem sportlichen Wettkampf gemein hat: Gegner, die einmal unterliegen, können beim nächsten Mal wieder aufstehen und sich mit neuen Kräften einer neuen Entscheidung aussetzen. Das Spiel der Demokratie bleibt offen, während bei gewalttätigen Konflikten im vollständigen Sinne die Gegner für immer dauerhaft vernichtet werden.

Sie haben in Ihrem Buch auch auf Terroristen und die zivilisierte Verachtung, mit der man Feinde strafen soll, hingewiesen. Wer entscheidet aber, wo die Gegnerschaft aufhört und die Feindschaft anfängt?

Ich habe – aufbauend auf der britisch-belgischen Philosophin Chantal Mouffe – ganz grundsätzlich zwischen Gegnerschaft und Feindschaft unterschieden. Gegnerschaft ist, wenn sich Konfliktparteien noch durch das besagte demokratische Band verbunden fühlen und einander als Gegner achten, nicht abwerten und auch nicht gegenseitig mit Gewalt bekämpfen. Bei der Feindschaft haben wir eine andere Art von Konfliktkategorie und hier entscheidet oftmals nicht eine Partei allein, dass sie jetzt eine Feindschaft mit einer anderen hat, sondern die wird oft auch aufgezwungen. Denken Sie etwa an die iranische Bevölkerung: Ihnen wurde der Konflikt mit gewissen extremistischen Gruppen als Feindschaft aufgezwungen. Die haben sie nicht selbst gewählt. Und so findet man sich oft in einer Position wieder, die man vielleicht nicht möchte. Und dann muss man klar bekennen, dass manche Konflikte weiter über eine Gegnerschaft hinausreichen, nämlich dann, wenn sie existenziell werden, wenn es wirklich um Gewalt geht und es leider oft keine Alternativen gibt.

Was soll die Leserschaft aus Ihrem Buch mitnehmen?

Es wäre schön, wenn Menschen sich durch diese Ideen anregen lassen und schauen: Wie bilden wir unsere Meinung im demokratischen Prozess, wie vertreten wir sie? Welche Richtlinien gibt es? Und wie könnte man die vielleicht anwenden? Als philosophische Ethikerin geht es mir weniger darum, Menschen in eine bestimmte politische Richtung zu lenken. Ich möchte sie vielmehr zum Nachdenken anregen. Das klingt vielleicht sehr banal, aber diese Fragen sind auch für Fachleute hochkomplex. Was Demokratie ist, ist eine spannende Frage. Es lohnt sich, etwas gründlicher darüber nachzudenken, als wir es im Alltag tun, wenn wir ganz selbstverständlich von Demokratie sprechen und vorgeben zu wissen, was das ist, wer für und wer gegen sie ist. Dann kommen noch die Menschenrechte dazu – das macht es nochmal schwieriger. Der Begriff Menschenrechte wird in Diskussionen gerne als Trumpfkarte benutzt – gerade so, als wäre alles schon entschieden. Doch so einfach sind die Dinge nicht und die Philosophie hat die Aufgabe, die Menschen immer wieder daran zu erinnern, dass es sehr schwierige Fragen gibt, die es aber wert sind, bearbeitet zu werden – auch von jeder und jedem einzelnen.

Sind Sie eigentlich zufrieden mit unserer aktuellen Demokratie? Meinen Sie, dieses zivilisierte Streiten ist in Österreich und in Deutschland schon im Gange?

Ein Grund für mich, dieses Buch zu schreiben, war das Gefühl, dass es noch nicht optimal ist. Wir sind aber auch nicht auf dem absteigenden Ast. Ich bin hier nicht so pessimistisch wie manch andere Kollegen. Aber: Man sieht, dass bei sehr umkämpften Themengebieten diese kultivierte Diskussion immer schwieriger zu erreichen ist. Und da habe ich versucht, aufzuzeigen, warum das so ist und was man machen könnte, um dem ein bisschen entgegenzuwirken.

Das Interview führte Eskandar Abadi.