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"Maulkorb" für Abgeordnete im Bundestag?

Matthias von Hellfeld16. April 2012

Im Parlament soll nur reden dürfen, wer von den Fraktionen dazu bestimmt ist. So hätten das Union, FDP und SPD wohl gerne gehabt – doch nach heftiger Kritik haben sie ihre Idee vorerst vom Tisch genommen.

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Abgeordnete sitzen während einer Debatte im Bundestag in Berlin.(Foto:dapd)
Bild: dapd

Man werde das nicht mit sich machen lassen, schimpfen Abgeordnete aus allen Fraktionen. Sie warnen vor einer Aushöhlung des Parlamentarismus und vor der Abwertung des Bundestags zu einem Organ der organisierten Zustimmung. Das sei nicht Sinn einer lebendigen Demokratie.

Das Rederecht der Bundestagsabgeordneten ist in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags eindeutig geregelt. Im Paragraphen 35 sind Gestaltung und Dauer einer parlamentarischen Debatte festgelegt. "Ein einzelner Redner", heißt es  dort, darf in einer Aussprache "nicht länger als 15 Minuten sprechen". Wird diese Redezeit überschritten, "so soll ihm der Präsident nach einmaliger Mahnung das Wort entziehen."

Totalansicht des Bundestags im Reichstag in Berlin.) Foto:Sliver)
Der Deutsche Bundestag - Ort der parlamentarischen DemokratieBild: Fotolia

Von einer weitergehenden Einschränkung, etwa einer grundsätzlichen Verweigerung oder Verkürzung des Rederechts ist in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags bisher nichts zu finden. Die Regierungsparteien und die SPD wollten das nun offenbar ändern.

Debatte über Euro-Rettung

Anlass war die Debatte über die Euro-Rettung, in der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) auch jenen Parlamentariern aus den Reihen von CDU und FDP das Wort erteilte, die sich gegen die von der Regierung getragene Politik aussprachen. Während Norbert Lammert seine eigenmächtige Entscheidung mit dem Verweis auf das Rederecht eines jeden Abgeordneten begründete, brachten die beiden Parteien das Recht der Fraktionen ins Spiel, die Rednerliste selbst zu bestimmen.

Bundestagspraesident Norbert Lammert (CDU) wacht über die Einhaltung der Geschäftsordnung des deutschen Bundestags. (Foto:dapd)
Norbert Lammert (CDU) wacht über die GeschäftsordnungBild: dapd

Die Fraktionen der Regierung und der SPD wollen künftig nur noch denjenigen im Plenum reden lassen, der von seiner Fraktion dazu bestimmt worden ist. Damit - so das Kalkül - ließen sich heikle Debatten in Zukunft leichter beeinflussen und im Sinne der Mehrheitsfraktion zu Ende bringen.  

"Disziplin" statt "Zwang"

Einen "Fraktionszwang" darf es offiziell in Deutschland nicht geben, da ein derart herbeigeführtes einheitliches Abstimmungsverhalten innerhalb einer Fraktion als verfassungswidrig gilt. Deshalb wird das gemeinsame Abstimmungsverhalten zur "Fraktionsdisziplin" umgetauft. Dieser Disziplin unterwerfen sich die meisten Parlamentarier, weil sie fürchten müssen, von ihrer Partei bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt zu werden. 

Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler war einer jener Abweichler, die während der Euro-Debatte von ihrem Rederecht Gebrauch machten. Er beklagte am Montag (16.04.2012), dass der Parlamentsbetrieb in Deutschland es nicht vorsehe, "dass sich Abgeordnete einfach melden und reden". Mit dieser Kritik blieb er nicht allein, denn in allen Fraktionen regte sich Widerstand gegen die beabsichtigte Neuregelung des Rederechts im Bundestag.

Portraitfoto von Frank Schäffler vor einem Bundestags-Schriftzug Alle Fotos stelle ich Ihnen im JPEG Format für die einfache redaktionelle Verwendung (keine Drittverwertung) - Quellenangabe "www.frank-schaeffler.de / studio kohlmeier" vorausgesetzt - zur Verfügung. http://www.frank-schaeffler.de/presse/bilder
Kritisierte die Position der eigenen Partei: Frank Schäffler (FDP)Bild: www.frank-schaeffler.de /studio kohlmeier

Freiheit des Abgeordneten

Das Rederecht gehört zu den unverzichtbaren Bestandteilen der parlamentarischen Demokratie, darin sind sich die Kritiker einer Neuregelung einig. Würde man es einschränken - so argumentiert der Leipziger Jens Bertrams in seinem Blog "Wahrenhaus“ - wäre die "Freiheit des Abgeordneten überlagert". Gesetze würden dann von Fachsprechern in den Fraktionen erläutert. Die Abgeordneten würden anschließend zur Zustimmung aufgefordert und das Gesetz im Plenum mit einer von der Fraktionsführung kontrollierten Sprecherliste diskutiert und beschlossen. Das habe mit einer lebendigen und ergebnisoffenen Demokratie kaum noch etwas zu tun. 

Für den CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch ist ein solcher Zustand nicht hinnehmbar: "Ich werde mir nicht das Recht nehmen lassen, das zu sagen, was mein Gewissen gebietet." Die Fraktionschefs sollten aufhören das Parlament als "Gegenstand ihrer eigenen Inszenierung" zu missbrauchen. Er frage sich, ob als nächstes "das Publizierungsverbot oder der Hausarrest" komme. Sollten die Fraktionsspitzen dennoch auf einer Neuregelung des Rederechts bestehen, schließe er den Gang zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe nicht aus. Und er bekommt dabei Unterstützung vom Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele . 

Portrait von Klaus-Peter Willsch (CDU), Mitglied des Bundestages seit 1998, von 2002 bis 2005 Beauftragter des Deutschen Bundestages für die Beziehungen zum Parlament der Republik Kroatien, seit 2006 Vorsitzender der Deutsch-Kroatischen Parlamentariergruppe.
Klaus-Peter Willsch (CDU) lässt sich die Redefreiheit nicht nehmenBild: DW

Rückzug angekündigt

Der massive Protest hat offenbar dazu geführt, dass die Regierungsfraktionen und die SPD am Montagnachmittag ankündigten, den Entwurf noch einmal zu überarbeiten. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, sagte in Berlin, er gehe davon aus, dass "wir eine einvernehmliche Regelung finden, die dem Rederecht des einzelnen Abgeordneten ein hohes Gewicht beimisst und die Funktionsfähigkeit des Parlamentes ermöglicht."

Auch die FDP-Fraktion äußert sich inzwischen vorsichtiger. Man werde auf die Kritiker zugehen und eine "von einer breiten Zustimmung getragene Lösung finden", sagte FDP-Parlamentsgeschäftsführer Jörg van Essen.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Nils Naumann