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Streit um Kafka

1. Dezember 2009

Israel und Deutschland ringen derzeit um Manuskripte des Dichters Franz Kafka. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man die Zeitungen liest. Ein Gespräch mit Ulrich Raulff vom Deutschen Literaturachiv im Marbach.

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Porträt Kafkas (ap Photo)
Franz KafkaBild: AP

Israel und Deutschland kämpfen um Kafka. Auf diese etwas plumpe Schlagzeile ließe sich der Streit um den Nachlaß von Max Brod zusammenfassen. Was ist geschehen? Kafka hatte vor seinem Tod verfügt, dass seine Manuskripte verbrannt werden sollten. Damit beauftrage er seinen Freund Max Brod. Doch dieser hielt sich nicht daran, veröffentlichte die Texte. Die Literaturgeschichte war um einige inzwischen berühmte Romane reicher.

Brod selbst überließ bei seinem Tod den Nachlaß seiner Sekretärin Esther Hoffe, die wiederum später verfügte, dass ihre Töchter die Manuskripte bekommen sollten. Einen Teil hatte Esther Hoffe zwischenzeitlich verkauft. Den Rest lagerten die Töchter in einem Bankschließfach in Zürich. Um diesen Safe ist nun ein Streit entbrannt.

Israel hat ein Auge auf den "Prozeß" geworfen

Die israelische Nationalbibliothek erhebt Anspruch auf den Inhalt des Safes, ist deswegen vor Gericht gezogen. Darüberhinaus will sie sich aber auch die Manuskripte sichern, die Esther Hoffe einst verkauft hatte und die inzwischen im Deutschen Literaturarchiv Marbach ausgestellt werden, darunter das Manuskript des berühmten Romans "Der Prozeß". Ein Gespräch mit dem Direktor des Marbacher Archivs, Ulrich Raulff.

Porträt Ulrich Raulff (dpa)
Ulrich RaulffBild: picture-alliance / dpa-Zentralbild

DW-World.de: Herr Raulff, was lagert eigentlich in dem Bankschließfach in Zürich, um dass sich derzeit israelische Archive so bemühen?

Ulrich Raulff: In Zürich liegt noch das, was Max Brod Esther Hoffe einst zum Geschenk gemacht hat, das heißt also Kafka-Manuskripte. Was das im Einzelnen ist, was da jetzt noch liegt, kann ich Ihnen auch nicht sagen. Es gibt allerdings Listen, das ließe sich rekonstruieren.

Hat denn in der Zwischenzeit - die Sachen liegen seit 1956 in Zürich - niemand mal nachgeguckt?

Esther Hoffe, die Eigentümerin, hat sich wahrscheinlich mit den Dingen beschäftigt. Aber sonst hat niemand Zugang gehabt. Das ist ein Banksafe, da kommen Sie nicht ohne weiteres ran.

Nun gibt es ja Streit zwischen Israel und den Geschwistern Hoffe über die Manuskripte: Israel beansprucht die Manuskripte für sich. Halten Sie diesen Anspruch für berechtigt?

Da muss man unterscheiden. Bei den Kafka-Manuskripten handelt es sich um eine Schenkung, die Max Brod zu Lebzeiten vorgenommen hat. Esther Hoffe hat das gegengezeichnet mit "Schenkung angenommen". Max Brod hat ja mal Jura studiert, er hat das schon in der richtigen Form gemacht. Dieser ganze Schenkungsakt, das ist keine Erbschaftsgeschichte, sondern es ist eine Schenkung gewesen! Sie ist von einem israelischen Bezirksgericht in Jerusalem Anfang der 1970er Jahre überprüft worden und nach langer gründlicher Überprüfung für rechtens erkannt worden. 1974 ist das entsprechende Urteil ergangen. Insofern war Esther Hoffe rechtmäßige Eigentümerin dieser Kafka-Manuskripte, die im Übrigen nie in Israel lagen, sondern in Zürich. Sie war also auch befugt diese Dinge zu veräußern, unter anderem über eine Versteigerung bei Sothebys 1988.

Gebäude des Literaturarchives in in Marbach am Neckar (Foto: DW/Per Henriksen)
Archiv in MarbachBild: DW

Eine andere Geschichte ist der Nachlass von Max Brod, dessen Erbin Esther Hoffe war, und den sie ihrerseits wieder auf ihre beiden Töchter weiter vererbt hat. Um die Rechtmäßigkeit dieser Weitervererbung wird im Moment vor einem Familiengericht in Jerusalem gestritten. Das ist aber eine andere Geschichte. Das hat mit Kafka nichts zu tun. Nur insofern, als dass in dem Max Brod-Nachlass auch Tagebücher Max Brods sind aus den frühesten Jahren der Bekanntschaft mit Kafka. Da erwartet man sich Aufschluss über Kafka, aus einer Zeit, aus der man sonst sehr wenig über ihn weiß. Das sind also Dinge, die vermutlich einen hohen Quellenwert haben.

Warum Marbach interessiert ist

In wieweit ist das Literaturarchiv in Marbach an diesem Familienprozess beteiligt?

Wir werden anwaltlich vertreten, aber wir sind nicht prozessführende Partei. Wir sind sozusagen nur "Stand-by". Wenn die Geschichte entschieden ist, wären wir kaufinteressiert. Das machen wir klar, darin lassen wir uns vertreten. Und wir können auch immer wieder darauf verweisen, dass Max Brod, Esther Hoffe und jetzt die Töchter immer wieder gesagt haben, Marbach wäre ein guter, wäre ein sehr guter, wäre vielleicht der beste Platz um diese Dinge aufzunehmen.

Es geht also nicht direkt um Kafka?

Es geht nicht um Kafka! Soweit sich das rekonstruieren lässt, ist die Kafka-Übertragung eben durch eine Schenkungsakte erfolgt, die juristisch nicht anfechtbar ist. Wenn Kafka jetzt mit ins Gespräch gebracht wird von der israelischen Seite, dann ist es meines Erachtens nur, um die Sache atmosphärisch zu bewegen, um ein bisschen mehr Druck zu machen auf das Gericht, dass jetzt über den Brod-Nachlass zu entscheiden hat. Ich denke, dass Kafka tatsächlich eigentlich "außer Verhandlung" ist.

Porträt Max Brod
Max BrodBild: dpa

Was ist denn an diesem Max Brod-Nachlass so besonders interessant für Marbach?

Zunächst muss man mal sagen, Max Brod ist selber als Autor, als Komponist, eine eigenständige Größe. Und er ist als solcher auch durch seine Bezüge zur gesamten Prager Literaturszene für uns interessant. Er ist darüber hinaus natürlich als Freund Kafkas aus einer sehr frühen Zeit interessant. Es gibt im Nachlass von Max Brod Tagebücher aus einer frühen Zeit der Bekanntschaft und Freundschaft der beiden, von denen man sich Aufschlüsse über Kafka versprechen kann.

Autor: Jochen Kürten/Das Gespräch führte Klaus Gehrke

Redaktion: Petra Lambeck