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Streit um die alltägliche DDR

Mathis Winkler18. Juli 2006

Ein neues Museum in Berlin beschäftigt sich mit DDR-Alltagskultur. Was für die einen wichtige Beschäftigung mit dem ehemaligen anderen Deutschland bedeutet, verstehen andere als Verniedlichung einer brutalen Diktatur.

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Im Herzen der alten DDR - neben der Ruine des Palastes der RepublikBild: DW

Es begann alles als Tourist. Peter Kenzelmann wollte bei einem Berlin-Besuch seiner Freundin die DDR erklären. Der Politologe und Ethnologe aus Freiburg war Jahre zuvor in Ostberlin gewesen. Seine Freundin konnte sich die Atmosphäre hinter dem Eisernen Vorhang einfach nicht vorstellen. Vergeblich suchten sie nach einem Museum, dass sich mit dem täglichen Leben der DDR-Bürger beschäftigte.

Amsterdam, nicht Berlin

"Versuchen Sie es in Amsterdam", lautete der Ratschlag des Berliner Touristenbüros - dort gab es eine Ausstellung über DDR-Alltagskultur. Völlig entgeistert entschloss sich Kenzelmann, diese Lücke zu füllen. Er engagierte ein Team aus Historikern und Museumsmanagern, fand eine Bank zur Finanzierung und bettelte bei Leuten, ihm alles mögliche Ostdeutsche für das Museum zu überlassen.

DDR-Museum in Berlin
Sah so das typische DDR-Wohnzimmer aus?Bild: DW

"Ich möchte uns nicht von Fördertöpfen abhängig machen - wir sind ein Wirtschaftsunternehmen", sagte der 36-Jährige am Montag (17.7.06) vor dem frisch eröffneten DDR-Museum, das im Herzen des ehemaligen Ostberlins im Erdgeschoss eines neuen Hotelkomplexes untergebracht ist.

DDR zum Anfassen

Kenzelmann will ein Museum zum Anfassen. Viele Ausstellungstücke - wie etwa Schulranzen, Orden oder Tagebücher - liegen in Schubladen in den Raumteilern untergebracht. Besucher können in einem Trabant Probe sitzen. In einer Ecke ist ein typisches ostdeutsches Wohnzimmer aufgebaut. Propaganda-Parolen wie "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" hängen an der Wand.

DDR-Nackedeis

Tafeln in Deutsch und Englisch erklären die verschiedenen Sektionen wie Arbeit, Einkaufen, Sport und Urlaub. "Auf der Webseite des Museums sagen sie, dass sie noch alte FKK-Fotos brauchen, aber das scheint ein alter Eintrag zu sein", meint Heidrun Loepner vor einer Wand mit Nackedeis - FKK war sehr populär in der DDR.

DDR-Museum in Berlin
Ein Trabbi im MuseumBild: DW

Die 64-Jährige geht mit ihrer 72-jährigen Freundin Irmgard Fischer durch die Ausstellung - mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie erkennen sehr viele Dinge von früher wieder. Beide finden, dass das Museum helfen wird, das Image der Ostdeutschen zu korrigieren.

"Wie Neandertaler"

"Wir wurden abgestempelt als Neandertaler. Das hier beweist, dass wir gelebt haben wie normale Menschen", sagt Fischer, eine ehemalige Unterstufenlehrerin. Von der Stasi und anderen Repressionen des Regimes hätten viele Ostdeutsche ja nichts mitbekommen, fügt sie hinzu.

Der 23-jährige Philosophiestudent Joseph Spadola aus New York City findet es gut, dass sich das Museum auf das Banale konzentriert. "Das ist doch etwas, von dem wir noch nie gehört haben. Es ist faszinierend, eine andere Lebensart zu sehen - und die Ideologie mal außen vor zu lassen."

"Leicht bizarrer Staat"

Gabriele Camphausen sieht das völlig anders. Sie arbeitet bei der Birthler-Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes als Leiterin des Bildungsprogramms. "Die Ausstellung lässt Besucher mit dem Eindruck rausgehen: Das war ein skurril anmutender Staat im vergangenen 20. Jahrhundert", sagt sie. "Aber dass es sich um eine knallharte Diktatur handelte, kommt überhaupt nicht zum Ausdruck. Stellen Sie sich mal vor, man würde so eine Alltagsgeschichte zur NS-Zeit machen. Ganz zu Recht würde man sich Kritik gegenüber sehen."

Das sieht der Leiter der Gedenkstätte Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, genauso. "Ich bin sehr skeptisch, ob es möglich ist, ein diktatorisches Regime über die Darstellung des Alltages zu vermitteln", sagt er.

"Es ist ein Experiment"

Museumsdirektor Robert Rückel entgegnet, dass die Stasi-Infiltrierung sehr wohl dokumentiert sei und zeigt in die Ecke mit der Stasi-Abhöranlage, mit Besucher am anderen Ende der Ausstellung belauscht werden können. Gerade Themen wie Stasi und die Mauer seien ein wichtiger Teil des Museums. "Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, den Bereich Alltag des Einzelnen zu beleuchten", sagt Rückerl. "Es ist ein Experiment."

Ein gutes sogar, meint Thomas Ahbe, ein Soziologe, der sich intensiv mit ostdeutscher Kultur und Identität beschäftigt hat. "Damit wird das Bild von der DDR komplimentiert. Die Verbrechen, die sich in der DDR ereignet haben, sind ausführlich dokumentiert -- die wissenschaftliche Aufarbeitung des Alltags ist in ein Loch gefallen."