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Politik

Streit um "Breaking the Silence" erreicht Berlin

Lea Fauth
23. November 2017

Ein scheinbar einfacher Justizfall wird in Israel zum Politikum. Warum ein Menschenrechtsaktivist seine Schuld beteuert und der israelische Botschafter in Berlin vielleicht gegen seinen eigenen Sohn vorgehen muss.

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Hebron Altstadt Hebron Patriarchengräber / Ibrahim-Moschee
Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Armangue

Es klingt nach einer Groteske: Ein Angeklagter pocht darauf, dass er schuldig sei, die ermittelnde Staatsanwaltschaft hingegen will um jeden Preis seine Unschuld beweisen. In Israel ist das gerade Realität: Dean Issacharoff will einen unbewaffneten Palästinenser geschlagen und festgenommen haben und bestätigt seine Schuld nun auch öffentlich in einem Video. Die Staatsanwaltschaft dagegen führt eifrig Beweismittel dafür an, dass Issacharoffs Aussagen falsch seien.

Der Fall bewegt die israelische Öffentlichkeit. Denn eigentlich geht es um etwas ganz anderes: um die Menschenrechtsorganisation "Breaking the Silence" (dt.: "Das Schweigen brechen"), kurz BtS. Seit 2004 bietet sie eine Plattform, auf der Israels Besatzungspolitik kritisiert und menschenrechtswidriges Vorgehen angeprangert werden: Soldaten oder ehemalige Soldaten berichten von Gewalt und Missbrauch, die sie miterlebt oder selbst begangen haben. Dean Issacharoff, der mittlerweile Aktivist bei "Breaking the Silence" ist, hat unter Klarnamen öffentlich gemacht, wie er 2014 bei einem Einsatz in Hebron Gewalt gegen einen unbewaffneten Palästinenser anwandte.

Angeklagter geständig - Ermittlungen eingestellt

Dann schaltete sich die israelische Justiz ein und nahm von sich aus Ermittlungen gegen Issacharoff auf. Eine untypische Vorgehensweise, sagt Yehuda Shaul, Mitbegründer von "Breaking the Silence" im Gespräch mit der DW: "Wir haben hunderte von Zeugenaussagen ehemaliger Soldaten veröffentlicht. Das hier war ein geringfügiges Vergehen", sagt der Aktivist über die Tat, die Issacharoff begangen haben will. Wesentlich härtere Fälle, wie etwa das Erschießen von Palästinensern, würden dagegen von der Justiz systematisch ignoriert. "Das war also eine politisch motivierte Ermittlung", ist er sich sicher. Shaul glaubt, dass andere Soldaten abgeschreckt werden sollten, ihre eigenen Erlebnisse zu veröffentlichen.

Israel Yehuda Shaul von "Breaking the Silence"
Yehuda Shaul am 21. November in Tel AvivBild: picture-alliance/AP Photo/O. Balilty

Anstatt Dean Issacharoff für die gestandene Gewalttat zu verurteilen, wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Das zuständige Gericht entschied, dass Dean Issacharoff gelogen habe und seine Taten erfunden seien. Es stützt sich dabei auf Aussagen des besagten Palästinensers, der bestreitet, dass Issacharoff Gewalt gegen ihn angewandt habe. Außerdem beruft die Justiz sich auf die Zeugenaussage eines Generals, der dabeigewesen sein soll. Fall abgeschlossen.

Fall wird zur PR-Schlacht

Doch dann brach der eigentliche Sturm los - denn die israelische Regierung setzte auf Öffentlichkeit. Vizeaußenministerin Zipi Chotoveli bezeichnete die Mitarbeiter von BtS als "Verräter". Das Außenministerium forderte seine Botschafter in Europa auf, den Gerichtsentscheid nach außen zu tragen und Dean Issacharoff als Lügner darzustellen. Das berichtete die Zeitung "Israel Hajom". Gerade in Deutschland dürfte das für Befangenheit sorgen. Denn der aktuelle, neugekürte Botschafter in Berlin ist niemand anderes als Jeremy Issacharoff - der Vater des Beschuldigten. Ob dieser der Aufforderung nachkommen wird und seinen Sohn öffentlich an den Pranger stellen wird? Gegenüber der DW teilte die israelische Botschaft mit, dass Issacharoff senior sich erst zu einem späteren Zeitpunkt äußern werde. Auf Twitter teilte er zumindest einen Aufruf seiner Frau: Man solle die Hetze gegen "Breaking the Silence" unterlassen.

"Breaking the Silence" macht wiederum mit einer Gegenermittlung Schlagzeilen. Die Menschenrechtsorganisation hält an Dean Issacharoffs Aussagen fest - für sie steht die Glaubwürdigkeit ihrer jahrelangen Dokumentation auf dem Spiel. Die Aktivisten erklären, das Gericht habe den falschen Palästinenser befragt, und der zweite Zeuge sei bei dem Vorfall in Hebron gar nicht dabei gewesen. Die Menschenrechtsorganisation konnte Videomaterial bereitstellen und beruft sich auf die Zeugenaussage eines ehemaligen Kameraden von Issacharoff, die man auf YouTube sehen kann

Es geht um die Glaubwürdigkeit

Die Staatsanwaltschaft weist das neue Beweismaterial zurück. Ein Sprecher des Außenministeriums teilte der DW mit, dass die Regierung sich zu dem Fall vorerst nicht äußern wolle. "Es gibt neue Hinweise, und wir wissen noch nicht, ob die relevant sind oder nicht", erklärte er der DW. Auch das israelische Justizministerium hat sich nach mehreren Anfragen der DW nicht geäußert.

Sollte Issacharoff in der öffentlichen Meinung als Lügner wahrgenommen werden, wäre das für "Breaking the Silence" ein Vertrauensverlust in der Zivilgesellschaft. Umgekehrt hat die israelische Justiz aber auch einen erheblichen Image-Schaden zu befürchten, sollte sich herausstellen, dass sie wissentlich mit falschen Beweisen gegen die Menschrechtsorganisation vorgeht.

Wie heftig der Konflikt zwischen der israelischen Regierung und "Breaking the Silence" ist, wurde zuletzt unter anderem im April deutlich: Als sich der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel am Rande seines Israelbesuchs mit Aktivisten von "Breaking the Silence" treffen wollte, ließ Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das Treffen mit Gabriel prompt platzen. "Wir haben die rechteste Regierung in der Geschichte Israels", sagt Aktivist Shaul gegenüber DW. "Und sie hasst uns."  Shaul gibt sich aber zuversichtlich: Die israelische Justiz habe sich durch ihr Vorgehen selbst entlarvt.