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Politik

"Selbst für Laien lächerlich"

Maximiliane Koschyk
9. Februar 2017

Die Bundesregierung hat einen Zeitungsverbund wegen der Veröffentlichung interner Dokumente verklagt. Der Vorwurf: Die Redaktion habe das Urheberrecht verletzt. "Zensurheberrecht" nennt es Experte Arne Semsrott.

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Deutschland Bundesgerichtshof BGH in Karlsuhe
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Über 5000 Seiten interner Dokumente, alle als "VS - nur für den Dienstgebrauch" gestempelt: Die "Afghanistan-Papiere" waren der erste große Leak Deutschlands. 2012 wurden die sogenannten "Unterrichtungen des Parlamentes" dem Redaktionsteam der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ) zugespielt, die sie veröffentlichte. Mit den Dokumenten hatte das Bundesverteidigungsministerium wöchentlich den Verteidigungsausschuss im Bundestag über den Afghanistankrieg informiert.

Die Publikation machte deutlich: Das Risiko für die deutschen Soldaten im afghanischen Krisengebiet wurde höher eingeschätzt als öffentlich zugegeben wurde. Die Bundesregierung verklagte den Inhaber der WAZ, die Funke-Mediengruppe. Die Begründung: Die Funke-Gruppe habe gegen das Urheberrecht verstoßen. Die WAZ nahm die Dokumente von ihrer Internetseite, ging aber gegen zwei bereits gefällte Urteile in Revision. Der Fall wird nun vor dem Bundesgerichtshof verhandelt - ein Urteil wird am 1. Juni erwartet.

Der Medienexperte Arne Semsrott betreut das Informationsportal "FragdenStaat.de". Das Projekt der Open Knowledge Foundation setzt sich für den öffentlichen Zugang zu Informationen staatlicher Behörden ein.

Deutsche Welle: Herr Semsrott, Sie haben den Fall von Beginn an verfolgt. Warum verklagt die Bundesregierung die Funke-Mediengruppe wegen Urheberrechtsverletzung?

Deutschland |  Arne Semsrott
Arne Semsrott: Es gibt keine legalen Wege für LeaksBild: M. Reichert

Arne Semsrott: Die Bundesregierung verklagt die Funke-Mediengruppe mit dem Urheberrecht, aber man könnte auch sagen: Mit dem "Zensurheberrecht", weil sie mit dem Rückgriff auf das Urheberrechtsgesetz ein ziemlich gutes Mittel gefunden hat, um unliebsame Berichterstattung aus dem Internet wieder zu löschen. Es ist ein großes Problem für die Pressefreiheit, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, mit dem Urheberrecht so eine Berichterstattung zu unterbinden und ein noch größeres, dass die Bundesregierung dieses dann tatsächlich benutzt.

Wie ist es dazu gekommen, dass die Bundesregierung das Urheberrecht als Klagegrund verwendet?

Das Urheberrechtsgesetz ist die erfolgversprechendste Variante für die Bundesregierung. Es ist schwierig, solche Dokumente auf anderem Wege zu verbieten. Das Urheberrecht ist leider nicht aus diesem Jahrhundert, sondern aus dem Letzten und sieht keine Ausnahmen für solche Dokumente vor. Deswegen kann die Bundesregierung sagen: All diese Werke, die wir geschaffen haben, genießen Urheberrechtsschutz. Darauf berufen sie sich, was selbst wenn man als juristischer Laie drauf guckt, eine ziemlich lächerliche Vorgehensweise ist.

Die "Afghanistan-Papiere" sind bisher die erste Veröffentlichung, die unter dieser juristischen Strategie verhandelt wird. Kann es hier zu einer Grundsatzentscheidung kommen?

Wenn es letztendlich bis zum Bundesverfassungsgericht geht, ja. Das hoffe ich auch. Das vordergründige Problem ist natürlich, dass überhaupt von der Bundesregierung geklagt wird. Dass sie sich nicht zu schade ist, tatsächlich das Urheberrecht bei Dokumenten geltend zu machen, für die es ursprünglich nicht vorgesehen ist. Es ist nicht so, dass die Bundeswehr diese Dokumente eigentlich in einem Buch veröffentlichen wollte und jetzt sind die Gewinnmöglichkeiten dadurch nicht mehr gegeben. Es geht tatsächlich darum, unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Hoffentlich gebieten die Gerichte dem Einhalt und sagen, dass auf solche Dokumente das Urheberrecht nicht anwendbar ist. Nur macht das zugrunde liegende Gesetz keine Ausnahme für solche Werke, sondern bisher nur für zum Beispiel Gesetze, Gesetzestexte und Gesetzesurteile. 

Von Snowden bis hin zum Vorwurf des "Landesverrats" an Netzpolitik.org: Hat sich der Umgang mit vertraulichen Informationen zwischen Politik und Öffentlichkeit verändert?

Die Grundvoraussetzungen haben sich verändert: Es ist im Vergleich zu vor 20 Jahren überhaupt möglich, solche großen Datenmengen und Dokumente zu veröffentlichen. Es ist festzustellen, dass die Bundesregierung es als Gesetzgeber versäumt hat, legale Möglichkeiten zu schaffen, damit solche Daten und Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen können. Wenn es für Journalisten und Journalistinnen nicht möglich ist, ihrer Arbeit geregelt nachzugehen und solche Dokumente wie diese Afghanistan-Papiere zu veröffentlichen, dann sind sie natürlich auf Leaks angewiesen, um ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht und der in der Pressefreiheit garantierten Rechte nachzukommen.

Gefahren für digitale Whistleblower

Was sollte denn konkret verbessert werden?

Wenn es ohne Leaks nicht möglich ist, investigativen Journalismus zu machen, dann ist der Gesetzgeber gefordert, die gesetzlichen Grundlagen für legale Möglichkeiten zu schaffen. Dazu gehört auch, das Urheberrecht so zu reformieren, dass es nicht mehr möglich ist, es zu einem "Zensurheberrecht" zu machen. Alle Werke, die von Behörden in ihrer Dienstfunktion geschaffen werden, sollte man vom Urheberrechtsschutz ausnehmen. Diese Dokumente sind mit Steuergeldern finanziert worden und damit sollten sie für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich und weiterverwendbar sein. Aber auch der Whistleblower-Schutz sollte verbessert werden. Bisher ist es so, und nach derzeitigem Stand wird es auch nicht besser, dass Whistleblower, die Informationen an Journalisten weitergeben, der Strafverfolgung ausgesetzt werden können.

Das Interview führte Maximiliane Koschyk.