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Streit nach Tod von Koma-Patientin Englaro

10. Februar 2009

Der überraschend schnelle Tod von Eluana Englaro heizt die Debatte über Sterbehilfe in Italien an. Die Regierung Berlusconi will jetzt ein Patientenverfügungsgesetz vorbereiten.

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Ein Polizist (Mitte) hält einen Mann (links) und eine Frau (rechts) auseinander, die für und gegen Sterbehilfe demonstrieren, die Frau hält eine Kerze in der Hand (Quelle: AP)
Die Polizei musste die Kontrahenten auseinanderhaltenBild: AP

Die behandelnden Ärzte hatten vorhergesagt, dass die 38-Jährige, die seit einem Autounfall 1992 im Koma lag, wegen ihrer guten körperlichen Verfassung auch ohne Nahrung und Flüssigkeit noch etwa zehn bis 14 Tage leben könnte. Am Montagabend starb sie an Herzversagen, vier Tage nachdem die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet worden waren.

Eluana Englaro (Quelle: AP)
Eluana Englaro hatte 1992 einen AutounfallBild: AP

In der Nacht zum Dienstag (10.02.2009) lieferten sich dann Anhänger und Gegner der Sterbehilfe vor der Klinik "La Quiete" im norditalienischen Udine, in der Englaro gelegen hatte, Handgemenge. Etwa 300 katholische Gläubige hatten sich nach Medienberichten vor dem Gebäude zu einer Mahnwache versammelt. Sie beschimpften Teilnehmer einer Solidaritätskundgebung mit dem Vater der Verstorbenen als "Mörder" und "Banditen". Die Polizei griff in der Nacht ein, um die Ausschreitungen zu beenden.

Berlusconi: Englaro wurde getötet

Regierungschef Silvio Berlusconi sagte eine für Montagabend anberaumte Sondersitzung des Senats ab. Dabei sollte ein Eilgesetz verabschiedet werden, mit dem der Tod Englaros verhindert werden sollte. Berlusconi bedauerte, mit seinem Eilgesetz zu spät gekommen zu sein. "Leider haben wir es nicht geschafft", sagte er der Zeitung "Il Messaggero".

Präsident Napolitano im Theater von Neapel mit Mikrofon in der rechten Hand (Quelle: AP)
Berlusconi beschuldigt Präsident Napolitano (hier vergangenen Samstag im Theater von Neapel) indirekt für den Tod Eluana Englaros verantwortlich zu seinBild: AP

Im Blatt "Libero" fand er noch deutlichere Worte: "Eluana starb nicht eines natürlichen Todes, sie wurde getötet." Indirekt beschuldigte er Präsident Giorgio Napolitano für ihren Tod mitverantwortlich zu sein. Dieser habe einen "schweren Fehler gemacht", als er sich geweigert habe, die von der Regierung vorbereitete Eilverordnung zu unterzeichnen.

Patientenverfügungsgesetz in Vorbereitung

Die Regierung zog nun die Konsequenz. Nach Rundfunkberichten einigten sich die Koalitionsparteien und die Opposition darauf, noch an diesem Dienstag mit einer Debatte über einen Gesetzentwurf für Patientenverfügungen zu beginnen. Die Regierungsmehrheit will in die Vorlage ein Verbot aufnehmen, dem zufolge die Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit bei Koma-Patienten nicht eingestellt werden darf. Die Staatsanwaltschaft von Udine beschlagnahmte inzwischen die Krankenakte der Toten und ordnete eine Autopsie der Leiche an. Die Behörden hatten am Montag vier Ärzte in die Klinik "La Quiete" geschickt, um diese zu überprüfen. Der Klinikleitung waren "Unregelmäßigkeiten" vorgeworfen worden.

Streit um Sterbehilfe geht weiter

Während im Land um die Tote getrauert wird - die Zeitung "L'Unità" erschien mit einer schwarzen Titelseite, vor dem Senat wehten die Flaggen auf Halbmast - geht der politisch geführte Streit über die Sterbehilfe weiter. Konservative und Gemäßigte beschuldigten sich gegenseitig, aus dem Fall politisches Kapital schlagen zu wollen. Umberto Bossi, Chef der Lega Nord, sagte, es sei "primitiv, unmenschlich und inakzeptabel", jemanden verhungern und verdursten zu lassen.

Sterbehilfegegner demonstrieren auf dem Petersplatz in Rom und halten ein Plakat hoch (Quelle: dpa)
Sterbehilfegegner demonstrieren auf dem Petersplatz in RomBild: picture-alliance/dpa

Auch aus dem Vatikan kamen scharfe Töne der Kritik. Javier Lozano Barragán, Kurienkardinal und so etwas wie der Gesundheitsminister des Papstes, sagte: "Der Herr möge denen vergeben, die sie an diesen Punkt gebracht haben." Im Gegensatz zum Sekretär der vatikanischen Gottesdienstkongregation, Erzbischof Albert Malcolm Ranjith, schloss er eine "automatische Exkommunikation" für die Betroffenen jedoch aus.

Krawalle im Senat

Im Senat war es nach Bekanntwerden des Todes von Eluana Englaro zu Tumulten gekommen. Nach einer Schweigeminute lieferten sich die Abgeordneten Wortgefechte und Handgreiflichkeiten. Der Fraktionsvorsitzende der Regierungskoalition, Gaetano Quagliariello sagte, Eluana sei "umgebracht" worden. Die Vorsitzende der oppositionellen Demokraten, Anna Finocchiaro, hielt dagegen, die Opposition habe sich seit längerem für ein Gesetz über Patientenverfügungen eingesetzt.

Kritik aus Deutschland

Derweil kritisierte die Deutsche Hospiz Stiftung die politische Debatte in Italien über den Tod der Koma-Patientin. Der Wille der Frau selbst sei völlig aus dem Blick geraten, sagte der Vorsitzende der Stiftung, Eugen Brysch. Stattdessen hätten die politischen Kontrahenten die Kranke für ihre jeweiligen Ziele instrumentalisiert.

Brysch warnte, dass ein "solch unwürdiges Schauspiel" auch in Deutschland Realität werden könne. Dies könne nur durch ein Patientenverfügungsgesetz verhindert werden, das auch zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens klare Regeln vorsehe. Für die elementar wichtige Unterscheidung zwischen dem Recht auf Sterben und dem Verbot zu töten sei allein der Patientenwille maßgeblich. Im Gesetz müsse geklärt sein, wer an der Entscheidung zu beteiligen und wann ein Vormundschaftsgericht einzuschalten sei. (hy)