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Streiks in Frankreich und Deutschland

18. Oktober 2007

Mit dem massivsten Streik seit zwölf Jahren haben die französischen Eisenbahner die erste Kraftprobe mit Präsident Nicolas Sarkozy eingeleitet. In Deutschland wollen die Lokführer ihren Streik aussetzen.

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Menschen drängen in U-Bahn (AP Photo/Thibault Camus)
Einen der raren Plätze in der Pariser U-Bahn versuchen diese Pendler zu erwischenBild: AP
Frau mit Fahrrad auf Bahnsteig (AP Photo/Jacques Brinon)
Eine Frau prüft am Pariser Bahnhof Gare Saint Lazare, ob Züge fahrenBild: AP

Staus und verwaiste Bahnhöfe in Frankreich: Mit einem flächendeckenden Streik haben die französischen Gewerkschaften am Donnerstag (18.10.2007) die Machtprobe mit Präsident Nicolas Sarkozy gesucht. Betroffen war vor allem der öffentliche Nahverkehr in Paris und in anderen Städten wie Lyon, Toulouse oder Reims. Am Donnerstagmorgen fuhren im Großraum Paris zur Stoßzeit so gut wie keine U-Bahnen oder Vorortzüge. Im ganzen Land kam es zu kilometerlangen Staus. Auch die Gewerkschaften der Postbediensteten, Lehrer, Beamten und Strom- und Gasversorger hatten zum Streik aufgerufen.

Chaos auf den Straßen

Der öffentliche Nah- und Fernverkehr wurde weitgehend lahm gelegt: In Paris fuhr weniger als jede zehnte Metro, fast alle Vorortzüge und TGVs fielen aus. Während dutzende Bahnhöfe im ganzen Land verwaist blieben, stauten sich die Autos auf den Zubringerstraßen in die Hauptstadt mehr als hundert Kilometer. In den Stadtzentren blieben viele Geschäfte geschlossen.

Menschenleer ist am Donnerstagmorgen der Hauptbahnhof in Gelsenkirchen (AP Photo/Martin Meissner)
Menschenleer ist am Donnerstagmorgen der Hauptbahnhof in GelsenkirchenBild: AP

Die Gewerkschaften der Bahn (SNCF) und der Pariser Verkehrsbetriebe (RATP) wollen mit der Aktion die geplante Streichung von Rentenprivilegien stoppen. Für Sarkozy ist der Streik der erste Machtkampf mit der Straße seit seinem Amtsantritt im Mai. "Jeder weiß, dass die Reform notwendig ist, dafür bin ich gewählt worden", sagte er am Vortag.

Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CGT, Bernard Thibault, sieht durch die massive Mobilisierung von 73,5 Prozent der Bahnmitarbeiter die Regierung unter Handlungszwang. "Wir bestehen auf der Eröffnung neuer Verhandlungen", sagte er. Arbeitsminister Xavier Bertrand versuchte zu beschwichtigen, ohne einzuknicken. "Die Reform kommt schrittweise, ohne Brutalität", erklärte er.

Rente mit 50

Die sogenannten Régimes Spéciaux gewähren Beschäftigten von Staatsbetrieben Frühpensionen. Lokführer können bereits mit 50 Jahren ohne Abzüge in Rente gehen. Sarkozy will ihre generelle Arbeitszeit von 37,5 auf die üblichen 40 Jahre anheben. Eingeführt wurden die Bestimmungen zum Teil vor mehr als 100 Jahren, als die Arbeitsbedingungen etwa für Zugführer noch wesentlich härter waren.

Laut Umfragen hält die Hälfte der Franzosen den Streik für ungerechtfertigt. Dass sich eine ähnlich massive Bewegung wie 1995 bilden wird, als eine Rentenreform des damaligen Regierungschefs Alain Juppé im wochenlangen Protest der Straße erstickte, gilt daher als unwahrscheinlich. Allerdings beschlossen die Beschäftigten der RATP am Donnerstag, den Ausstand am Freitag fortzusetzen. Die Lokführergewerkschaft FGAAC schlug die Verbindung nach Deutschland: "Dort kämpfen die Lokführer für höhere Löhne, genau so wie wir für unsere Renten kämpfen", sagte Vizegeneralsekretär Jean-Michel Namy.

Streiks in Deutschland ausgesetzt

In Deutschland brachten die Lokführer am Donnerstag erneut große Teile des Nahverkehrs zum Erliegen; bis Wochenbeginn wollen sie die Streiks jedoch aussetzen. Es werde für Freitag keinen Streikaufruf geben, sagte eine Sprecherin der Lokführergewerkschaft GDL in Frankfurt am Main. Auch am Wochenende sollen die Züge fahren.

Pendler warten am Donnerstagmorgen im Hauptbahnhof in Essen vergeblich auf ihren Zug (AP Photo/Frank Augstein)
Pendler warten im Hauptbahnhof in Essen vergeblich auf ihren ZugBild: AP

Wegen der Streiks fielen am Donnerstag nach Angaben der Bahn im Schnitt etwa 40 Prozent der Regionalzüge und S-Bahnen aus. Dabei gab es ein starkes Ost-West-Gefälle: In Ostdeutschland sei zum Teil nur jeder fünfte Zug gefahren, in Baden-Württemberg dagegen rund 85 Prozent. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen habe die Bahn 70 Prozent der Züge fahren lassen können. In vielen Städten staute sich jedoch über Stunden der Verkehr, weil deutlich mehr Pendler mit dem Auto zur Arbeit fuhren.

In der Öffentlichkeit dreht sich die Stimmung mittlerweile gegen die Lokführer: 55 Prozent der Befragten lehnen die Streiks nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage inzwischen ab, wie die "Bild"-Zeitung vorab aus ihrer Freitagsausgabe berichtete. 43 Prozent hätten noch immer Verständnis für die Lokführer. In einer Umfrage Anfang Oktober hatte noch eine knappe Mehrheit die Streiks gutgeheißen. (stu)