1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Stau auf Wasserstraßen

Nastassja Steudel10. August 2013

Weil sie Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze haben, streiken Deutschlands Schleusenwärter. Auf den Wasserstraßen staut es sich deswegen. Das beschäftigt nun auch die EU-Kommission.

https://p.dw.com/p/19MSA
Schleuse in Friedrichsfeld - Foto: Arnulf Stoffel (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es riecht nach Abgas und Kohle, als der Riese einfährt. Behäbig schiebt er sich in die enge Schleusenkammer hinein. Auf seinen 172 Metern Länge hat das Gütermotorschiff fast 4000 Tonnen Kohle geladen. Mehrere ordentlich aufgetürmte Haufen ragen aus den Frachträumen.

Bernd Kruschwitz beugt sich weit aus dem Fenster des Schleusenwärter-Turms. Von hier oben hat man eine gute Sicht, und die letzten Meter sind beim Einfahren entscheidend - sonst knallt es. Das Fernglas liegt griffbereit. Vier Monitore zeigen, was vor und in der Schleuse passiert.

"Ihr liegt aber ganz schön knapp hinten", gibt Kruschwitz über Funk durch. "Das ist zu eng." Noch mal dreht der Schiffsmotor auf und schickt graue Rauchschwaden in den Himmel. "Sehen Sie, jetzt ist er drin", sagt der 46-jährige Schleusenwärter und deutet auf einen der Überwachungsmonitore über seinem Schreibtisch. Zwei Klicks noch mit der Computer-Maus und dann schließen sich die eisernen Tore der Koblenzer Schleuse ächzend hinter dem Frachtriesen. Die Schleusenkammer füllt sich langsam mit dem hereinsprudelnden Wasser. Das Schiff steigt auf.

Schleusenwärter Bernd Kruschwitz - Foto: Nastassja Steudel (DW)
Schleusenwärter Bernd Kruschwitz: Acht Stunden konzentrierte ArbeitBild: DW/N. Steudel

Seit 1983 ist Bernd Kruschwitz Schleusenwärter in Koblenz. Dort, wo die Mosel in den Rhein fließt. Er kümmert sich darum, dass der Schiffsverkehr an den insgesamt drei Schleusenkammern reibungslos läuft. Berg- wie talwärts. Er sorgt dafür, dass Kreuzfahrtschiffe die Vorfahrt bekommen und alle in der richtigen Reihenfolge in seine Schleuse einfahren, damit es keine Auffahrunfälle gibt. Im Sommer, wenn besonders viel los ist, passieren mehr als 30 Schiffe pro Tag seine Schleuse. Kruschwitz trägt in seiner Schicht für alles die Verantwortung. Acht Stunden konzentrierte Arbeit sind das jedes Mal.

Güterschiff liegt in der Schleusenkammer - Foto: Nastassja Steudel (DW)
Schleuse Koblenz: In der Hochsaison mehr als 30 Schiffe pro TagBild: DW/N. Steudel

Mehr als 300 solcher Schleusen gibt es in Deutschland, verteilt auf das knapp 7500 Kilometer große Bundeswasserstraßennetz. Flüsse und Kanäle spielen insbesondere beim Transport von Massengütern wie Steinen, Kohle und Mineralölerzeugnissen eine bedeutende Rolle. "Die Binnenschifffahrt ist in Deutschland der dritte Landverkehrsträger neben Straße und Schiene", sagt Jens Schwanen vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt. "Jährlich werden bis 250 Millionen Tonnen auf Flüssen und Kanälen transportiert. Das kann von keinem anderen Verkehrsträger bewältigt werden. Von einem Nischendasein kann also nicht die Rede sein."

Streikfolgen schwappen bis nach Brüssel

Seitdem viele der 12.000 Schleusenwärter in Deutschland in diesem Sommer immer wieder streiken, zeigt sich erst, welch immense Macht sie eigentlich haben. Mit ihren Arbeitsniederlegungen protestieren die Schleusenwärter gegen Umstrukturierungspläne des Bundesverkehrsministeriums.

Der Streik führte in den vergangenen Wochen immer wieder zu Staus auf Deutschlands Wasserstraßen und betroffen sind nicht nur deutsche Binnenschiffer - die Auswirkungen sind europaweit zu spüren.

Der Nord-Ostsee-Kanal ist seit Mittwoch dicht, weil an der Schleuse in Brunsbüttel gestreikt wird. Auf der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt sind auch Seeschiffe unterwegs. Der Nord-Ostsee-Kanal ist eine der wichtigsten Transportrouten nach Skandinavien, Polen, Russland und ins Baltikum.

Schiffe fahren in Höhe von Grünental (Schleswig-Holstein) auf dem Nord-Osteekanal - Foto: Carsten Rehder (dpa)
Nord-Ostsee-Kanal: Wichtige Transportroute nach Nord-OsteuropaBild: picture-alliance/dpa

Wegen des Schleusenstreiks in Brunsbüttel müssen die Reeder nun Umwege von mehreren hundert Kilometern in Kauf nehmen. "So was verursacht enorme Treibstoffkosten", sagt Raimund Scheffler, Verkehrsexperte der Uni Münster. "Außerdem wird die Transportkette dadurch enorm beschädigt, was für den Warenverkehr einschneidend ist." Viele Industriebetriebe verfügten nur über Reserven für eine Woche. Sie sind also auf die pünktliche Lieferung angewiesen. Zum Streik in Brunsbüttel kommen noch erhebliche technische Probleme: Die gut hundert Jahre alten Schleusentore sind marode. Deshalb war der Nord-Ostsee-Kanal bereits im März eine Woche lang geschlossen.

Einige Transportunternehmen haben schon von Schiff auf Lkw oder den Zug umgestellt, das ist aber nicht für alle Ladungen machbar. Die wirtschaftlichen Folgen sind sowohl für einige Binnenschiffer als auch für manche Logistikunternehmer bereits existenzgefährdend. Nach Schätzungen bringt jeder Tag, den ein Schiff nicht fährt Verluste in einer Größenordnung von 2000 Euro. So kommt man schnell auf Umsatzausfälle im zweistelligen Millionen-Bereich.

Vier niederländische Verbände haben nun ihre Konsequenzen gezogen und eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Mit den Streiks würde Deutschland gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht verstoßen, weil es den zugesicherten freien Warenverkehr nicht ausreichend sicherstelle, so der Vorwurf.

"Draußen auf der Wiese war ich mein eigener Chef"

An der Koblenzer Schleuse bei Bernd Kruschwitz fließt der Schiffsverkehr ganz normal. In diesem Bundesland hat die Gewerkschaft Verdi gerade nicht zu Streiks aufgerufen.  Kruschwitz erzählt von früher, als er den Turm noch während der Schicht verlassen durfte. Kleinere Maler-und Reparaturarbeiten auf der Anlage hat er selbst erledigt. Und den Rasen gemäht. "Draußen auf der Wiese war ich mein eigener Chef", sagt er mit einem etwas wehmütigen Lächeln.

Nach den Plänen des Bundesverkehrsministeriums werden künftig Maschinen die Arbeit übernehmen. Einige der Schleusen sollen dann vollautomatisch funktionieren. Das würde Schleusenwärter wie Bernd Kruschwitz überflüssig machen. Aber das kann und will er sich nicht vorstellen. Jetzt kann er im Notfall noch jederzeit eingreifen, auch wenn er nicht im Dienst ist. Sein Wohnhaus liegt schräg gegenüber. "Was ist, wenn Treibholz in der Schleuse liegt oder ein Kind ins Wasser fällt?", fragt er. "Was macht der Computer dann?"