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"Nicht als Roma erkannt"

Andrea Grunau25. September 2013

Daniel Strauß engagiert sich in Baden-Württemberg für die Rechte der Sinti und Roma. Mit Sorge äußert er sich im DW-Interview zur Debatte um den Zuzug aus EU-Staaten und die anhaltenden Vorurteile gegen die Minderheit.

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Daniel Strauß. Foto: privat
Daniel Strauß, Landesvorsitzender der deutschen Sinti und Roma in Baden-WürttembergBild: privat

DW: Herr Strauß, wie ist die Lage der Roma in Deutschland?

Daniel Strauß: Die Lage ist brisant. Die Studie "Deutsche Zustände" von Wilhelm Heitmeyer beschreibt, dass 27,7 Prozent der deutschen Mehrheitsgesellschaft der Handlungsaufforderung zustimmen, Sinti und Roma aus den Innenstädten zu vertreiben. Da geht es nicht nur um Vorurteile. Man stimmt einer Aufforderung zu, unabhängig von den verschiedenen Gruppen, ob es nun Flüchtlinge oder ob das Alteingesessene sind. Antiziganismus ist das Grundproblem.

Unter Antiziganismus versteht man die Feindseligkeit gegen Menschen, die man als "Zigeuner" wahrnimmt. Die rechtsextreme NPD hat im Bundestagswahlkampf gegen die Minderheit gehetzt. Dagegen gab es Widerstand: Klagen und Aktionen in Städten wie zum Beispiel Gegenplakate. Ermutigt Sie die Solidarität?

In jedem Fall, das war in den letzten Jahren nicht so stark ausgeprägt. Unabhängig davon, dass die NPD-Plakat-Aktion rassistisch und leicht zu durchschauen ist, ist die rechtliche Handhabe dagegen nicht einfach. Insofern finde ich das mutige Vorgehen von verschiedenen Kommunen und anderer, die Strafanzeige gestellt haben, sehr ermutigend.

In Deutschland klagen Städte und Gemeinden über Belastungen durch sogenannte "Armutswanderer" aus den EU-Staaten Bulgarien und Rumänien. Immer wieder heißt es, darunter seien viele Roma. Sie leiten den Landesverband der Deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg, wie begegnet Ihnen das Thema?

Zunächst ist man mit dem Bild konfrontiert worden, hier kämen überproportional Roma zugewandert. Man sprach von 60 bis 70 Prozent unter den Zugewanderten. Dem ist nicht so: Wir haben das untersucht in einer Mikrostudie und auch die offiziellen Zahlen von Rumänien und Bulgarien. Da liegt der prozentuale Anteil gleichauf mit dem Bevölkerungsanteil in den jeweiligen Ländern. Das heißt, zwischen acht und zehn Prozent derer, die hierher kommen, sind Roma. Es gibt also keine überproportionale Zuwanderung von Roma.

Warum wird es so dargestellt?

Das ist das Zigeunerbild, das sozusagen bestätigt wird, das Bild des Armen, des Zugereisten, des Anderen. Man erkennt die Armut als zigeunerhaft. Das sind die Typen, die in der Literatur und in der Politik auch benutzt werden.

In Deutschland wird überhaupt noch nicht anerkannt, dass Antiziganismus überhaupt existiert. Es gibt kein Dokument, es gibt keine Forschungseinrichtung vergleichbar mit dem Antisemitismus oder Antiislamismus. Die Bundesrepublik Deutschland sagt: "Sinti und Roma sind gut integriert, haben keine Probleme. Wir brauchen keine EU-Rahmen, wir brauchen keine Strategien."

In Berlin wurde ein "Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma" beschlossen, ist das ein richtiger Weg?

Grundsätzlich ist das zu loben. Die Frage ist, inwieweit die Minderheiten selbst berücksichtigt sind. Ich habe mehrere Organisationen gesprochen, die monieren, dass die Einbeziehung zu wünschen übrig lässt. Auch wenn man nur von "ausländischen Roma" spricht: Wer gehört eigentlich dazu? Sind es die Migrierten, die EU-Zugewanderten oder die aus Drittstaaten? Die Differenzierung wird nicht gemacht und man hat das Gefühl, Roma sind Roma, egal woher. Dann ethnisiert man das Problem.

Markus Löning, menschenrechtspolitischer Sprecher der FDP, hat gesagt: "Zu uns kommen nicht nur Sinti und Roma, es kommen auch Akademiker und Studenten." Arm, schlecht ausgebildet, schmutzig, kinderreich, das sind in der öffentlichen Wahrnehmung Roma, die Zigeuner im Kopf. Dabei gibt es gerade in Südost- und Osteuropa auch gut Ausgebildete in der Minderheit, die hierher kommen: Akademiker, Anwälte und Studenten, die aber nicht wahrgenommen werden. Die Probleme der "Armutszuwanderung" werden auf dem Rücken der Minderheit als Sündenbock ausgetragen.

Wenn die Mehrheit das nicht begreift, müsste sich nicht jeder aus der Minderheit ein Schild umhängen und sagen: "Ich bin Roma, ich bin wie Du"?

Wir planen um den internationalen Roma-Tag, den 8. April, etwas in die Richtung: "Gestatten, das sind wir", um die Möglichkeit zu geben, nicht nur einen Stereotyp zu sehen. Wenn man Roma thematisiert, dann finden Sie immer gewisse Bilder: einen Wohnwagen oder eine Frau mit einem langen Rock, so wie man beim Thema Islam immer eine Frau mit Kopftuch zeigt. Ich stelle mir vor in zwei Jahren, dass sich 200 Sinti-Prominente und Roma outen und sagen: "Wir sind‘s". Da gibt es eine ganze Menge, die aber inkognito leben, weil sie sonst keine Chance haben, Karriere zu machen.

Das zeigt auch eine Untersuchung zu Roma, die als Gastarbeiter in den 60er, 70er Jahren gekommen sind und gemerkt haben: "Wir werden als Italiener, als Türken, als Jugoslawen wahrgenommen. Uns geht’s hier viel besser, wenn wir nicht als Roma wahrgenommen werden." Sie haben ihre Identität geheim gehalten mit der Konsequenz, dass sie Karriere gemacht haben, integriert sind, etabliert sind. Das sind im Moment nicht nur die Bestausgebildeten sondern auch die wirtschaftlich stärkste Gruppe. Das heißt: Wenn ich in Deutschland nicht als Roma und Sinti erkannt werde, dann habe ich eine Chance.

Daniel Strauß ist Vorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg sowie Mitgründer und Geschäftsführer des "RomnoKher - Haus für Kultur, Bildung und Antiziganismusforschung" in Mannheim. 2011 hat er eine Studie über die Bildungssituation Deutscher Sinti und Roma herausgegeben und 2013 eine Studie über Antiziganismus.