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"Einblicke des IS-Rückkehrers sind Rarität"

Sabrina Pabst4. März 2016

Der IS-Rückkehrer Nils D. hat während seines Prozesses vor Gericht umfassend gestanden und wichtige Einblicke in die Strukturen des IS geliefert - ein Gewinn für die Allgemeinheit, meint Strafrechtler Gazeas.

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Polizisten bewachen das Gericht in Düsseldorf (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Deutsche Welle: Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Angeklagten Nils D. wegen Zugehörigkeit zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu vier Jahren und sechs Monaten Haft. Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren vor. Wie bewerten Sie das verhängte Strafmaß?

Nikolaos Gazeas: Nils D. ist ein besonderer Fall. Er war umfassend geständig. Er hat Schuldeinsicht gezeigt und während des Prozesses dargelegt, dass er sich von dem sogenannten Islamischen Staat (IS) distanziert hat. Vor allem aber hat seine Aussagebereitschaft dem Gericht, aber auch Ermittlungsbehörden, tiefe Einblicke in die Strukturen des IS gewährt, die man sonst nicht erhalten hätte. Der Angeklagte hat über Verbrechen des IS berichtet und möglicherweise weitere Straftaten aufgedeckt und durch sein Verhalten vielleicht sogar dafür gesorgt, dass weitere Straftaten verhindert werden können. Nils D. hat, wenn ich recht im Bilde bin, zwölf Komplizen durch seine Aussage belastet und somit weitere Ermittlungen gegen diese zumindest gefördert.

Der Angeklagte hat hier eine enorme Aufklärungsarbeit geleistet, die nicht selbstverständlich ist. Völlig zu Recht ist ihm aus diesem Grund die sogenannte Kronzeugenregelung zugute gekommen. Nach dieser Vorschrift (§ 46b des Strafgesetzbuches) kann das Gericht die Strafe mildern, wenn der Angeklagte Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten leistet. Hiervon hat das Oberlandesgericht zu Recht Gebrauch gemacht. Der Strafrahmen, innerhalb dessen die Strafe gegen Nils D. festzusetzen war, hat sich dadurch von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe auf eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und sieben Jahren und sechs Monaten reduziert. Die gegen den Angeklagten verhängte Strafe ist innerhalb dieses Rahmens damit im oberen Mittelfeld ausgefallen, was nicht wenig ist.

Wenn ich mir vergegenwärtige, dass selbst der Generalbundesanwalt im Plädoyer hervorgehoben hat, dass das umfassende Geständnis eine "Goldgrube" für die Ermittler gewesen sei, wäre es nicht unangebracht gewesen, wenn der Strafnachlass auch etwas großzügiger ausgefallen wäre. Eine derart ertragreiche Aufklärungshilfe ist nicht die Regel. Das ist eher eine Rarität im terroristischen Bereich, wo wir es oft mit Überzeugungstätern zu tun haben. Man muss auch berücksichtigen, in welche Gefahr von Racheakten der IS sich ein Angeklagter begibt, wenn er so umfangreich auspackt, wie es Nils D. getan hat. Auch das sollte im Strafausspruch seinen Niederklang finden.

Ein Porträt von Nikolaos Gazeas. Er ist Kölner Strafrechtsexperte. (Foto: Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte)
Bild: Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte

Was ist bei der Zumessung der Strafe zu berücksichtigen?

Das Gericht wägt dabei die Umstände ab, die für oder gegen den Täter sprechen. So verlangt es das Gesetz. Dazu zählen etwa die Beweggründe und die Gesinnung des Täters, seine persönlichen Verhältnisse oder die Folgen der Tat. Ob der Täter Reue zeigt, ob er - eventuell einschlägig - vorbestraft ist und was sein Verhalten nach der Tat war. Das ist ein Punkt, der bei Nils D. eine besondere Relevanz erfährt. Vor allem das Geständnis im Prozess und die beträchtliche Aufklärungshilfe, die er geleistet hat, waren bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen.

Was wird mit einem Nachlass im Strafmaß verfolgt?

Der Angeklagte hat die wohl furchtbarste terroristische Vereinigung der Welt durch seine Mitwirkung als Mitglied unterstützt. Was er über die dortigen Geschehnisse berichtet hat, war furchterregend. Letztlich, das ist das Unrecht, was das Gesetz mit den Terrorismusstraftatbeständen unter Strafe stellt, hat Nils D. die Gräueltaten des IS durch seine Mitwirkung unterstützt, auch wenn er selbst - zum Glück - keinen einzigen Menschen getötet hat. Aber nicht jeder ehemalige Terrorist schafft eine Goldgrube für Ermittlungsansätze. Das verdient - einerlei, wie schwer das Unrecht wiegt, das ein Mensch begangen hat, Anerkennung; ich meine, im Bereich des Terrorismus sogar besondere Anerkennung, weil gerade hier eine solche Unterstützung durch Insider wie Nils D. besonders wertvoll ist. Das ist für die Allgemeinheit viel nützlicher und sinnvoller als Genugtuung durch ein oder zwei Jahre mehr Freiheitsstrafe für den Betroffenen zu erhalten. Die Allgemeinheit hat doch viel mehr davon, wenn es auch in Zukunft mehr Angeklagte wie Nils D. geben würde. Wenn Angeklagte im Prozess nicht nur vollständig gestehen, sondern die Ermittlungsbehörden erheblich unterstützen, diese furchterregenden Verbrechen aufzuklären und auch in die Strukturen der IS besser vorzudringen, würde das der Sicherheit von uns allen zugute kommen. Dafür muss man einem Angeklagten jedoch einen ausreichenden Anreiz geben.

Hat das Urteil von Nils D. auch für kommende Strafprozesse Signalwirkung?

Signalwirkung hat es schon dadurch, dass die sogenannte Kronzeugenregelung angewendet worden ist. An künftige Angeklagte ist damit das Signal gesendet worden: Wenn ihr uns helft, dann belohnen wir das. Ein Urteil in einem Fall wie dem von Nils D. sollte auch so ausgesprochen werden, dass es für künftige Angeklagte in vergleichbaren Situationen Anreize schafft, ebenso mit den Behörden zu kooperieren um damit letztlich zur Sicherheit von uns allen beizutragen. Ob der gewährte Strafrabatt im Fall von Nils D. hoch genug dafür war, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen.

Die Orte der Straftaten liegen tausende Kilometer entfernt. Der Angeklagte hat sich eingelassen, wurde als Zeuge in zwei weiteren Prozesse gehört und gilt als sicherste Quelle für Bundesanwaltschaft und auch den Verfassungsschutz Wie kann der Wert der Einlassungen von der Bundesanwaltschaft überprüft werden?

Bei Terrorismus im Ausland ist es allgemein oft schwierig, gesicherte Erkenntnisse zu sammeln, bei dem IS gilt das umso mehr. Die Taten finden in Kriegsgebieten statt, in denen es kaum gefestigte Strukturen gibt. Hier spielen die Erkenntnisse sowohl der deutschen als auch der ausländischen Nachrichtendienste als Informationslieferanten eine ganz zentrale Rolle. Diese Erkenntnisse werden nicht selten an den Generalbundesanwalt weitergeleitet. Letztendlich muss immer in einem Strafprozess der Richter entscheiden, ob ein Geständnis glaubwürdig ist oder nicht. Wir dürfen nicht vergessen: Ein Strafprozess ist primär kein Aufklärungsprozess für die Allgemeinheit, sondern es geht um die persönliche Schuld, die der Angeklagte durch die Tat auf sich geladen hat. Die von ihm begangene Tat muss aufgeklärt werden und der Täter einer gerechten Strafe zugeführt werden. Ermittlungshinweise wie im Falle von Nils D. sind ein wertvoller Kollateralnutzen, jedoch nicht Hauptzweck eines Strafprozesses.

Weil sich Nils D. näher eingelassen hat, könnte ihm seitens der Terrororganisation Gewalt drohen. Darf er auf Schutz hoffen?

Nils D. ist womöglich gefährdet. Es ist vom Sympathisant und Mitkämpfer der IS zu ihrem Feind mutiert. Wie der IS mit seinen Feinden umgeht, wissen wir aus vielen erschreckenden Berichten. Deswegen wäre es nicht unbegründet, wenn Nils D. Sorge um sein Leben hätte. Auch in Deutschland ist er vor Racheakten der IS, denke ich, nicht vollkommen sicher. Der Staat hat hier einen besonderen Schutzauftrag gegenüber Nils D. - sowohl während der Haft, als auch danach.

Nikolaos Gazeas ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Köln. Gazeas hat zum Thema Nachrichtendienste und Strafverfahren promoviert. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln und gibt als Strafrechtsexperte u.a. auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts sein Wissen in der Lehre weiter.

Das Gespräch führte Sabrina Pabst.