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Stimmung gegen Israel kippt

Jeanette Seiffert22. Juli 2014

Bei Pro-Gaza-Demonstrationen in Europas Städten häufen sich antisemitische Vorfälle. In Deutschland ist darüber jetzt eine Diskussion entbrannt: Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter Israelkritik und Judenhass?

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Nahost-Friedensdemonstration. Foto: Marcel Kusch/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

"Berlins Polizei kuscht vor Juden-Hassern": Ein Artikel des Berliner Tagesspiegel mit dieser Überschrift wird derzeit in den Sozialen Netzwerken immer wieder geteilt. "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf' allein" sollen Araber auf einer Demonstration gebrüllt haben, ohne dass die Polizeibeamten einschritten. Was in vielen europäischen Städten als Friedensdemonstration für Nahost begann, endete oftmals in wüsten Szenen mit judenfeindlichen Sprechchören, teilweise sogar mit Angriffen auf Gegendemonstranten. Besonders extrem eskalierte die Situation in Frankreich, wo sich am Wochenende vor allem Jugendliche vor Synagogen Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Aber auch der Berliner Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung gegen einen muslimischen Prediger aus der Neuköllner Al-Nur-Moschee, der in einem Internet-Video zum Mord an den Juden aufruft.

Yakov Hadas-Handelsman, seit 2012 israelischer Botschafter in Deutschland, zeigt sich empört und besorgt über diese Ausfälle: "Wir haben nichts gegen Demonstrationen und gegen die Freiheit, sich zu äußern - das ist der Kern der Demokratie", sagte er im DW-Interview. "Aber wenn es wie an diesem Wochenende zu Gewalt gegen Polizei oder pro-israelische Demonstranten kommt, dann ist das nicht akzeptabel. Ich denke, das sollte den Deutschen auch Sorgen machen. Denn da sind eben auch diese antisemitischen Parolen wie 'Juden ins Gas' - so etwas in Deutschland?"

Es stelle sich die Frage, wie man jetzt in Deutschland mit solchen Äußerungen umgehe. Mittlerweile hat eine ganze Reihe von Politikern unterschiedlicher Parteien judenfeindliche Äußerungen scharf verurteilt. Die Bundesregierung sieht derzeit allerdings noch keinen Anlass für eine erhöhte Alarmbereitschaft: Es werde aber alles getan, um jüdische Einrichtungen zu schützen, sagte eine Sprecherin.

Yakov Hadas-Handelsman. Foto:
Hadas-Handelsman: Antijüdische Ausfälle nicht akzeptabelBild: Adam Berry/Getty Images

Islamisten machen Stimmung gegen Israel

Der Gaza-Konflikt ist mitten in Europa angekommen - und damit sei, so der Politikwissenschaftler Stephan Grigat, auch offener Hass gegen Israel an die Oberfläche gekommen: "Da muss man wirklich kein großes Differenzierungvermögen haben, um zu sagen: Das ist blanker Antisemitismus, wie man ihn in dieser drastischen Form auf deutschen Straßen vermutlich vor 70 Jahren das letzte Mal hören konnte." Für Grigat, der derzeit an der Universität Wien lehrt, kommt die zunehmende anti-israelische Stimmung in Deutschland aber nicht überraschend: Bereits bei der letzten Konfrontation Israels mit der Hamas 2012 habe es Demonstrationen mit tausenden Teilnehmern gegeben. "Allerdings waren es in früheren Jahren vor allem Leute, die sich von ihrem Selbstverständnis her im linken Spektrum verortet und oft auch eine wüste und oftmals unangemessene Kritik an Israel formuliert haben."

Jetzt, so Grigat, würden die Demonstrationen von islamistischen Gruppierungen dominiert. "Viele Teilnehmer bekennen sich ganz offen zur Hamas, zur schiitischen Hisbollah im Libanon oder zum islamischen Dschihad." Aus seiner Sicht steckt dahinter eine perfide Taktik der Islamisten: "Sie benutzen die Bilder von getöteten Zivilisten in Gaza, um dann in ihrem propagandistischen Feldzug in eindeutig antisemitischer Tradition 'Kindermörder Israel' skandieren zu können." Neu sei auch die "ausgesprochene Aggressivität" auf den Demonstrationen - und die Tatsache, dass es möglich sei, innerhalb kurzer Zeit viele tausend Menschen zu mobilisieren.

Demonstration in Paris. Foto: dpa.
Ausschreitungen in Frankreich: "Ausgesprochene Aggressivität"Bild: picture-alliance/dpa

Stephan Grigat beobachtet aber auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft eine zunehmend israelfeindliche Haltung. Für den Politikwissenschaftler ist allein der Begriff "Israel-Kritik" schon entlarvend - schließlich spreche man ja auch nicht von "Japan-Kritik" oder "Schweden-Kritik", wenn man etwas an der japanischen oder schwedischen Politik auszusetzen habe. "Dieser Begriff bringt schon zum Ausdruck, worum es eigentlich geht: Nämlich nicht um eine angemessene Kritik an einzelnen Entscheidungen der israelischen Regierung, sondern eben doch um ein dumpfes Ressentiment, das auf die Existenz des jüdischen Staates zielt." Jeder, der jetzt aus Solidarität mit palästinensischen Opfern auf die Straße gehe, müsse sich fragen lassen, warum er das bei anderen Konflikten nicht mache: "Man muss sich doch die Frage stellen, warum 200 tote Palästinenser zehntausend Menschen auf die Straße treiben, und kein Mensch interessiert sich dafür, wenn in Syrien hunderttausend Menschen sterben."

Jüdische Kritik an Israel

Die Frage, ob die Demonstranten wirklich vor allem die Sorge um die humanitäre Lage in Gaza umtreibt, wird auch in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert. Viele äußern, ähnlich wie Grigat, den Verdacht, dass die Gaza-Krise instrumentalisiert wird: "Als ich gegen den Krieg im Irak war, schrie ich "Stoppt den Krieg im Irak", schreibt eine Twitter-Userin. "Wenn ihr gegen den Krieg in Nahost seid, warum ruft ihr dann 'Nieder mit Israel'?"

"Ab wann darf man es eigentlich Völkermord nennen, ohne dass einem Antisemitismus vorgeworfen wird?" fragt dagegen eine andere Twitter-Userin. "Ich kann sehr gut gegen Antisemitismus auf Demos in Deutschland sein und gleichzeitig gegen die israelischen Angriffe auf Gaza", schreibt eine weitere. Auch Rolf Verleger, selbst Jude und ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, weist die Verantwortung für die Stimmungsmache gegen Israel vor allem der israelischen Regierung zu. "Wer hat uns das denn eingebrockt?", fragte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk und wies darauf hin, dass der Gaza-Streifen zu einem großen Gefängnis geworden sei. Kritik an der israelischen Gaza-Politik müsse möglich sein, ohne gleich in eine antisemitische Ecke gestellt zu werden. "Wenn unsere Politiker und unsere Medien alle sagen, ja, das ist völlig richtig, was Israel macht, wenn die Repräsentanten des Judentums in Deutschland und in Frankreich sagen: Wer gegen Israels Maßnahmen ist, der ist gegen Juden - dann fordert man solche antisemitischen Parolen geradezu heraus."

Demonstration in Wien. Foto: REUTERS/Leonhard Foeger
Pro-Gaza-Demo in Wien: Tausende für Palästinenser, keiner für Syrien?Bild: Reuters

Er könne auch nicht verstehen, wenn deutsche Politiker mit Verweis auf die deutsche Vergangenheit vorsichtig mit Kritik an Israel seien: "Was hat das mit meiner ermordeten Verwandtschaft zu tun, dass da jetzt ein solches Unrecht im Nahen Osten geschieht? Man kann doch nicht mit Verweis auf schreckliche Dinge in der Vergangenheit weiter heute Unrecht geschehen lassen."

Weitere Eskalation zum al-Quds-Tag?

Vielen Deutschen dürfte er mit diesen Worten aus dem Herzen sprechen: Einer repräsentativen Umfrage des Magazins "Stern" zufolge gibt mehr als die Hälfte der Deutschen in gleichem Maße dem jüdischen Staat wie der militant-islamischen Hamas die Schuld an dem Konflikt. 86 Prozent der Bundesbürger sind der Meinung, Deutschland solle sich öffentlich nicht klar hinter Israel stellen.

Die Pro-Gaza-Demonstrationen jedenfalls werden erst einmal weitergehen, in Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern. Am kommenden Freitag dürfte zum al-Quds-Tag ein Höhepunkt erreicht werden: Der "Internationale Jerusalemtag" wird jedes Jahr zu Großdemonstrationen gegen Israel genutzt, bei denen die „Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern“ gefordert wird.