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Stillstand und Gefangenschaft

16. Februar 2011

Der eine war der reichste Mann seines Landes. Die anderen verharren zwischen Leben und Tod. Der eine heißt Khodorkovsky, die anderen sind namenlos. Treffen kann man sie alle im Kino.

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Mikhail Khodorkovsky (Jugendfoto) © Internationale Filmfestspiele Berlin
Bild: Berlinale 2011

Cyril Tuschi ist eher zufällig auf sein Thema gestoßen. Vor Jahren, als er mal in Sibirien war, bei einem Film-Festival. Und als er den Reichtum dort gesehen hat - die Filmstudios vor Ort, in denen alles neu und von bester Qualität war. Yukos, die Ölförderfirma, die einmal Mikhail Khodorkovsky gehörte, hatte das alles bezahlt, erfuhr er. So fing es an. Seitdem hat Tuschi die Geschichte des Oligarchen Michail Khodorkovsky beschäftigt. Die Frage, wer dieser Mann ist, der ursprünglich ein glühender Kommunist war, dann aber marktwirtschaftliche Methoden im Jugendverband der KPdSU durchsetzte, der zum reichsten Mann Russlands aufstieg, plötzlich politisches Sendungsbewusstsein entwickelte, Oppositionsparteien finanzierte, den Kreml öffentlich anprangerte, korrupt zu sein, und 2003 festgenommen wurde. Wegen Steuerhinterziehung.

© Internationale Filmfestspiele Berlin
Mikhail Khodorkovsky (rechts) im Moskauer GerichtssaalBild: Berlinale 2011

Russische Zeitgeschichte

Er hätte ins Ausland fliegen können. Aber Khodorkovsky ist zurück gekommen. Obwohl er wusste, dass er ins Gefängnis kommen würde. "Ich war überzeugt, dass ich meine Position, meine Wahrheit, vor Gericht vertreten muss. Wahrscheinlich auch wegen meiner etwas naiven Vorstellung von der Rechtsprechung", sagt er. Dass der junge deutsche Filmemacher Cyril Tuschi Mikhail Khodorkovsky vor laufender Kamera interviewen dufte, im Gerichtssaal, in dem Käfig, in den er während seiner Prozesse gesteckt wurde, ist die Überraschung am Ende seines zweistündigen Filmes. Eines souverän komponierten Dokumentarfilms, der vor den Toren des verschneiten Gefängnisses in Sibirien anhebt und dann mit Archivmaterial, animierten Schlüsselszenen und zahlreichen Interviews mit engsten Familienangehörigen, diversen Geschäftspartnern und hochrangigen Politikern die ziemlich komplizierte Geschichte Khodorkovskys erzählt – reserviert, neutral, ohne ihn zu verurteilen oder zum Helden zu stilisieren. Er hoffe, ihm irgendwann einmal in der Freiheit zu begegnen, um ein normales Gespräch zu führen, sagt Tuschi. Denn bei einem Gefangenen müsse man ja immer aufpassen. Der Mann, den Cyril Tuschi im sibirischen Gefängnis getroffen hat, wirkt übrigens erstaunlich heiter und entspannt – wie einer, der noch einiges vorhat.

Von wo niemand zurückkehrt

In dem eindringlichen finnisch-litauischen Dokumentarfilm "Barzakh" hingegen gibt es keine Zukunft, sondern nur Untote, die in einer Zeit leben, die still steht, die stehen geblieben ist. "Barzakh" wird in Tschetschenien ein Ort genannt, der einer alten Sufi-Legende zufolge auf der Grenze zwischen Leben und Tod liegt. Orte dieser Art gibt es in der Kaukasus-Republik viele, in einem hat der Litauer Mantas Kvedaravicius seinen Film gedreht. Einen Film über Frauen, die nicht mehr weinen können. Und die nicht viele Worte machen, wenn sie von den Verschwundenen erzählen, von ihren Söhnen und ihren Männern. Nur wenige von ihnen sind irgendwann zurückgekehrt, mit abgeschnittenen Ohren und verwundeten Seelen, aus Verließen, die den Namen Gefängnis nicht verdienen.

© Internationale Filmfestspiele Berlin
Szenenbild BarzakhBild: Berlinale 2011

Sie hätten keine Drehgenehmigung gehabt, sagt Ahmed Gisaev. Und sie hätten auch keine erhalten. "Denn jede kleine Information, jedes kleine Stückchen Wahrheit, wäre zensiert worden. Deshalb war es eine Risiko, dort zu drehen. Und das Risiko war lebensgefährlich".

Greifbares Unrecht

Ahmed Gisaev war bei dieser Produktion zweiter Kameramann. Und er war derjenige, der den Kontakt zu den Menschen hergestellt hat, deren Geschichte der Dokumentarfilm 'Barzakh' erzählt – in einem ruhigen, oft wortlosen Bilderbogen. Ahmed ist selbst Tschetschene, und auch er wurde entführt und gefoltert. Im Jahre 2003 war das, zu einem Zeitpunkt also, als Rußland den zweiten Tschetschenienkrieg längst für beendet erklärt hatte. Als es die abtrünnige Republik, die einseitig ihre Unabhängigkeit erklärte hatte, nicht mehr mit Bomben in den Vielvölkerstaat zurück holen wollte. Dass seitdem keineswegs Frieden herrscht, verdeutlicht dieser Dokumenarfilm einmal mehr. Von 6000 Menschen, die verschwunden sind, ist hier die Rede. Und von zahllosen Tschetschenen, die gefoltert wurden. Überwiegend von Russen. Weil, wie Ahmed sagt, als Wahrheit nur gilt, was unter Folter gesagt wird.

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Sabine Oelze