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Stichwort: Internationale Strafgerichtsbarkeit

Peter Philipp/im12. Februar 2002

Vor vier Jahren beschlossen Vertreter von 120 Staaten die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes. Bislang haben noch nicht die notwendigen 60 Staaten den Vertrag ratifiziert.

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Internationaler Gerichtshof in Den HaagBild: AP

Vier Jahre lang diskutierte man über ein Thema, das schon so alt ist wie die Menschheit selbst: Wie nämlich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geahndet werden können.

Historischer Beschluss

Am 17. Juli 1998 waren sich in Rom die Vertreter von 120 Staaten einig, dass ein Internationaler Strafgerichtshof eingerichtet wird, vor dem solche Fälle künftig behandelt werden sollen. 21 Staaten enthielten sich der Stimme und sieben weigerten sich, den Beschluss von Rom zu unterzeichnen. Zu den Gegnern des Beschlusses gehörten Staaten wie China, der Irak, Libyen, der Sudan, aber auch die USA. Es wurde vereinbart, dass das Gericht seine Arbeit aufnimmt, sobald 60 Staaten den Vertrag von Rom ratifiziert haben würden. Kaum jemand hatte in jenen Stunden wohl gedacht, dass dies Jahre dauern könnte.

Dass damals nur vier Fünftel der Teilnehmer von Rom zugestimmt hatten, wurde von UN-Generalsekretär Kofi Annan mit einigem Optimismus übergangen oder heruntergespielt. Dass gerade die USA nicht ratifizieren wollten, das überraschte weltweit. Denn es waren doch vor allem die USA gewesen, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Grundlage schufen zur Aburteilung von Kriegsverbrechen und Völkermord, wie sie die Menschheit bis dahin nicht erlebt hatte.

Nach den Nürnberger Prozessen sollte es 50 Jahre dauern, bis wieder Kriegsverbrecher vor ein Internationales Gericht gestellt wurden: Im Frühjahr 1995 begann im Haag vor einem von der UNO eingesetzten "Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien" der erste Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher. Nach dem Vorbild des Haager Gerichtshofs wurde ein Jahr später in der tansanischen Stadt Arusha das "Internationale Tribunal zur Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda" eingerichtet. Seitdem müssen sich hier Ruander verantworten, denen Verbrechen während des Massenmordes in ihrer Heimat zur Last gelegt werden.

Ungesühnte Verbrechen

Allerdings blieben zahlreiche furchtbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Massenmorde ungesühnt: Die Hauptverantwortlichen für die Morde der Rote Khmer konnten sich in Kambodscha in Sicherheit bringen, der ugandische Diktator und Massenmörder Idi Amin verbringt seit seinem Sturz im April 1979 seinen Lebensabend in Saudi-Arabien. Wie ihm ging es den meisten Tyrannen der Neuzeit: Wenn es ihnen gelang, bei einem Putsch zu entkommen, dann fanden sie meist Unterschlupf bei einem "Kollegen" in einem anderen Land. Denn davon gab - und gibt - es auf der Welt mehr als genug. Und wer nicht entkommen konnte, mit dem wurde meist ein schneller Prozess gemacht: Im Falle des rumänischen Diktators Nikolaei Ceaucescu beispielsweise wurde nur kurze Zeit nach seiner Festnahme die Todesstrafe vollzogen.

Mit Justiz und Recht hatten solche Fälle selten etwas zu tun. Und so kam dann der Gedanke auf, dass derartige Verbrechen besser ein internationales - vor allem aber: ein international anerkanntes - Gericht aburteilen sollte. Die Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda gelten dabei als Vorbild für ein permanentes Gericht. Dieses soll, laut der offiziellen Definition, Individuen - nicht Staaten - ihrer gerechten Strafe zuführen, die schwerste Verbrechen begangen haben, die die internationale Gemeinschaft betreffen. So wie Völkermord, Kriegsverbrechen. Und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - eingeschlossen Mord an Zivilisten, Folter und Massen-Vergewaltigung. Das Gericht soll eine globale Rechtsinstanz sein und internationale Rechtsprechung in Ergänzung nationaler Rechtswesen üben.

Rückzieher der USA

Die USA waren einer der Staaten, die sich für ein solches permanentes Gericht stark machten. Als es dann aber 1998 in Rom so weit war, machte Washington einen Rückzieher: US-Delegationsleiter David J. Sheffer erklärte, dass dies vor allem zum Schutz amerikanischer Soldaten geschehen sei. Denn die USA betrachteten ein solches Gericht - ähnlich wie in Nürnberg - erst dann für sinnvoll, wenn das betreffende verbrecherische Regime besiegt sei. Washington sehe aber seine Einsatzmöglichkeiten gegen jene Regime gefährdet, die das Abkommen selbst nicht unterzeichnet haben und deren Bürger deshalb nicht vom Gerichtshof belangt werden können. Beispiel Irak: Als Nichtunterzeichner der Vereinbarung könnte Saddam Hussein die USA vor das Gericht zerren für Aktionen, die US-Soldaten im Irak durchgeführt haben. Denn für eine Klage reicht es in diesem Falle aus, dass die USA Mitglied der Vereinbarung ist.

Diese sicher recht spitzfindige Erklärung soll den USA vor allem die Handlungsfreiheit als "Weltpolizist" erhalten. Sie wird aber von den meisten anderen Staaten nicht akzeptiert. Selbst nicht von engen Verbündeten der USA.

Für Kritiker der US-Politik ist das eine willkommene Gelegenheit, den Amerikanern unehrliches Verhalten vorzuwerfen. Derartige Vorwürfe bringt auch Slobodan Milosevic vor: Er lehnt seinerseits das Haager Gericht ab und spricht ihm - seit seinem ersten Auftritt vor diesem Tribunal im Sommer vergangenen Jahres - jede Rechtmäßigkeit ab. Der Angeklagte Milosevic stellt sich als Opfer der NATO und der Amerikaner hin: Sie wollten sich dafür rächen, dass es ihnen nicht gelungen sei, Serbien zu erobern. Und die USA wollten doch jetzt nur darüber hinwegtäuschen, dass sie im Kosovo mit Terroristen zusammengearbeitet hätten, so Milosevic.

Rund vier Jahre nach Rom ist das damalige Abkommen erst von 52 Staaten ratifiziert worden. Acht fehlen noch, dann kann der permanente Internationale Strafgerichtshof - ebenfalls mit Sitz in Den Haag - endlich eingesetzt werden.