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Fernschreiber Brüssel

Bernd Riegert, Studio Brüssel10. Oktober 2007

Neulich im Europäischen Parlament: Nichts weniger als die Zukunft der Europäischen Union stand auf der Tagesordnung. Eine Grundsatzdebatte über den neuen Grundlagenvertrag war anberaumt.

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Bild: DW

785 Abgeordnete fasst das weite Rund des Plenarsaals in Brüssel. Doch nur zwei Dutzend Mandatsträger verloren sich in den Sitzreihen. Dabei waren ungewöhnlich leidenschaftliche Reden zu hören. Nur verhallten sie an leeren Sesseln, auch Medienvertreter waren kaum anwesend. Die mögliche Sternstunde des Parlaments verschwand im Schwarzen Loch des Desinteresses - wie so viele. Oder ist das Thema inzwischen einfach zu kompliziert?

Neuer Grundlagenvertrag

Zur Debatte standen zwei Änderungsvertrage mit über 220 Seiten Umfang zu den bisher vorliegenden europäischen Verträgen von Rom, Maastricht, Amsterdam und Nizza. Das Konvolut soll die neuen Grundlagenverträge der Union abgeben. Fast alle Abgeordneten beklagten, dass diese Verträge inzwischen fast nicht mehr zu verstehen sind. Fußnoten, Querverweise und Fußangeln könne man keinem normalen Menschen mehr erklären, wetterte ein Österreicher.

Juristische Termiten

Der Vertrag sei von juristischen Termiten zerfressen, die von nationalistischen Regierungen ausgesandt wurden. Selbst die Wohlmeinenden sprachen von einem unleserlichen Meisterwerk. Regierungsnahe polnische Abgeordnete warnten vor dem europäischen Superstaat, der nun drohe.

Eher oppositionelle polnische Abgeordnete protestierten scharf dagegen, dass Polen die europäische Grundrechte-Charta nicht anerkennen will. Als die Wogen hochschlugen (im leeren Plenarsaal eher kleine Wellen) beruhigte ein Abgeordneter aus Finnland seine Kollegen mit dem Hinweis, dass der Vertrag noch von den Staats- und Regierungschefs abgesegnet werden muss.

Polens Wahlen lähmen

Die Erfahrung lehre, dass dieses Gipfel-Gremiun das am wenigsten geeignete sei, klar lesbare Verträge zu entwerfen. Kann also alles noch schlimmer werden? Klar schien immerhin, dass der informelle Gipfel der Regierungschefs kommende Woche in Lissabon überhaupt kein Ergebnis haben wird, weil in Polen zwei Tage danach gewählt wird. Die äußerst europa-skeptische Regierung wird dem kritisierten Vertrag wohl kaum zustimmen, sondern die Entscheidung auf einen nächsten Gipfel zwingen.

Wurst statt Romantik

Nach der Grundsatzdebatte ging es dann um die Wurst. Verflogen war alle europäisch romantische Rhetorik, denn jetzt wurde über die Verkleinerung des Parlaments und eine Neuaufteilung der Sitze auf die Nationen beraten. Da war sich dann plötzlich wieder jeder selbst der Nächste. Jeder Abgeordnete hielt sich krampfhaft an seinem Sitz fest. Es hätte eine Sternstunde werden können.