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Steiniger Weg zur afghanischen Verfassung

Said Musa Samimy 30. Januar 2004

Nach drei zähen Verhandlungswochen kam am 4.1.2004 der Kompromiss: Eine afghanische Verfassung. Der Weg dorthin war jedoch nicht leicht.

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Afghanistans Präsident Hamid Karzai bleibt starker MannBild: AP

Der von einer Expertenkommission ausgearbeitete Text der neuen afghanischen Verfassung war widersprüchlich oder bewusst vage formuliert. Für manche Beobachter schien sogar unklar, ob Afghanistan künftig demokratisch oder theokratisch regiert werden soll, nicht eindeutig. Zweifel bleiben auch nach der Verabschiedung der Verfassung: Trotz ausdrücklicher Erwähnung der Demokratie in der Präambel wird darauf hingewiesen, dass kein Gesetz gegen die Vorschriften des Islam zur Geltung kommen kann.

Vorbild: USA

Der Entwurf der Verfassung war eindeutig am US-amerikanischen Staatsmodel orientiert - allerdings ohne die in der US-Verfassung verankerten föderalen Strukturen. Und er war unmissverständlich auf die Person von Präsident Hamed Karzai zugeschnitten. Danach verfügte der Präsident über weitreichende Machtbefugnisse, und dies praktisch ohne jedes ernstzunehmende Gegengewicht.

Die über 500 Delegierten aus allen Volksstämmen, politischen Parteien und Regionen mussten zäh verhandeln, um eine für alle Seiten tragbare Lösung zu finden. Die Hindernisse waren zum Teil durch politische Ambitionen einzelner Delegierter bedingt, größtenteils resultierten sie jedoch aus dem grundsätzlichen Charakter des Vielvölkerstaates Afghanistan.

Ein buntes Völkergemisch

Afghanistan umfasst von Paschtunen über Tadschiken bis zu den Hasarah mehr als 30 verschiedene Ethnien. Sie leben miteinander im Rahmen eines historisch gewachsenen, aber stets labilen Gleichgewichts. Die Taliban zum Beispiel stammen aus dem paschtunischen Milieu.

Die nicht-paschunischen Volkstämme wiederum sind aus dem langwierigen Krieg mit einem starken Bewusstsein hervorgegangen. Sie sind politisch gut organisiert und verfügen - insbesondere seit dem Sturz der Taliban - über eine eigene militärische Hausmacht. Sie akzeptieren nicht mehr die Vorherrschaft der Paschtunen, die seit der Gründung des dynastischen Staates Afghanistan 1747 fast immer die Könige in Kabul gestellt hatten. Sie wollen in einem wie auch immer strukturierten afghanischen Staat auch an der zentralen Regierung angemessen beteilt werden.

Die Interessenvertreter der Paschtunen - unter anderem der als pro-westlich geltende Präsident Hamid Karsai - dagegen waren bestrebt, die Machtfrage im Sinne der Paschtunen zu regeln. Damit war ein Zusammenprallen der Position vorprogrammiert.

Karsai übte Druck aus

Präsident Karsai drohte bei den für Juni 2004 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nicht als Kandidat zur Verfügung zu stehen nicht , wenn der Präsident in der neuen Verfassung nicht eine starke Rolle spielt. Sein mächtiger Wirtschaftsminister Ghani Ahmadzai unterstützte dies, indem er eine Finanzspritze von jeweils einer Million Dollar für jede Provinz versprach. Der Preis: Die Delegierten sollten im Gegenzug dem vorgelegten Entwurf der Verfassung zustimmen.

Die Delegierten gaben sich jedoch couragiert – setzten in einigen Punkten Änderungen durch. So wurden gegenüber dem ursprünglichen Entwurf die Befugnisse des Parlaments gestärkt, bis hin zu einem Vetorecht gegenüber dem Präsidenten in besonderen wichtigen Fragen.

Die neue Verfassung für Afghanistan sieht nun zwar wie angestrebt ein Präsidialsystem vor, aber eines mit zwei Kammern: Sie heißen Wolosi Dschirga - Abgeordnetenhaus - und Maschrano Dschirga - Haus der Ältesten, vergleichbar einem Senat.

Internationaler Druck und Überzeugungsarbeit

Damit es zu einer Verabschiedung der Verfassung kommt übte die Internationale Gemeinschaft Druck aus und leistete Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen. Federführend waren der UN-Beauftragte Lakhdar Brahimi und der US-Botschafter in Afghanistan, Zalmai Khalilsad. Khalilsad, ein US-Bürger afghanischer Abstammung.

Bedeutung der Scharia in der Verfassung

In der neuen Verfassung ist die Gleichberechtigung der Frauen zwar ebenso verankert wie die Einhaltung der Menschenrechte. Dennoch bleibt für die Zukunft viel Konfliktstoff. Zwar ist die Scharia, also der islamische Rechtskodex, in der neuen Verfassung nicht explizit verankert. Aber der verabschiedete Verfassungstext kann durchaus so ausgelegt werden, dass die Afghanen ihre Freiheiten nur im Rahmen islamischer Gebote und Verbote genießen dürfen.