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Steiniger Weg in die EU

4. Dezember 2002

- Trotz Erfolgen bei den Beitrittsverhandlungen hat Lettland noch nicht alle Hürden überwunden

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Köln, 4.12.2002, DW-radio, Andreas Brenner

Erst sah es so aus, als ob Lettland bei der ersten Runde der EU-Osterweiterung nicht mit dabei sein sollte: 1998 überlegte man in Brüssel, zuerst Estland als einzigen Staat im Baltikum aufzunehmen und Lettland und Litauen in die zweite Reihe der Kandidaten zu verbannen. Ein Jahr später aber wurden dann doch die Beitrittsverhandlungen mit Riga (Lettland) und Vilnius (Litauen) aufgenommen. Und Lettland holte den Vorsprung Estlands schnell auf. Andreas Brenner berichtet:

Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit in Lettland vor elf Jahren wurden rund 700 000 Menschen - überwiegend Russen oder auch Ukrainer oder Weißrussen - zu so genannten "Nichtbürgern" erklärt. Diese Formulierung steht in ihren Ausweisen oder Reisepässen. Betroffen davon ist rund ein Drittel der insgesamt 2,4 Millionen Einwohner des Landes. Ihre Integration haben mehrere internationale Organisationen wie die EU und die OSZE gefordert. Auf deren Druck wurden die Gesetze über das Erlangen der Staatsangehörigkeit oder das Wahlgesetz zugunsten der nicht-lettischen Bevölkerungsgruppen geändert. Und so hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihr Büro in Lettland geschlossen, da, wie es in einer offiziellen Erklärung hieß, "eine besondere Beobachtung der Lage der nichtlettischen Minderheit nicht mehr notwendig" sei. Der Leiter der Delegation der Europäischen Kommission in Riga, Andrew Rasbash, sieht das anders:

"Lettland erfüllt alle notwendigen politischen Bedingungen für den Beitritt in die EU. Das bedeutet aber nicht, dass die Situation perfekt ist. Ich denke, dass wir zusammen mit der lettischen Regierung alles unternehmen müssen, damit sich hier alle Menschen - unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung - in die lettische Gesellschaft integriert fühlen. Genau deswegen sind wir bereit, eine Menge von europäischen Steuergeldern in Projekte zu investieren, die diesen Prozess unterstützen."

Ein Teil dieser Integrationsmaßnahmen sind Sprachkurse für Lettisch. Gute Kenntnisse der lettischen Sprache - das ist eine der wichtigsten Bedingungen für das Erlangen der Staatsangehörigkeit. Um sich die mühselige Vorbereitung auf die Einbürgerungsprüfung zu ersparen, versuchen einige, an die begehrte Staatsangehörigkeit auf anderen Wegen zu gelangen. Anfang des Jahres nahm der Verfassungsschutz zwei Beamte der Einbürgerungsbehörde fest, denen vorgeworfen wurde, die lettische Staatsangehörigkeit für 1 500 Dollar pro Kopf zu verkaufen. Ein Einzelfall, versichern die Regierungsvertreter.

Dennoch bleibe Korruption ein ernsthaftes Problem auf dem Wege Lettlands zu EU, widerspricht der Leiter der Delegation der Europäischen Kommission, Andrew Rasbash. Ein Problem, dass auch auf hoher politischer Ebene existiert:

(Rasbash) "(...) Es ist nicht klar, wer wie welche Partei finanziert. Und das löst natürlich schon gewisse Zweifel aus, wenn die Parteien in der Regierungskoalition Entscheidungen treffen. Es bleibt die Frage, wessen Interessen sie dabei durchsetzen."

Die Parteien, welche den politischen Kurs Lettlands nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit bestimmt hatten, unterscheiden sich in ihren ideologischen Ausrichtungen nur wenig. Sie können als Mitte-Rechts-Parteien mit dem klaren Ziel EU-Beitritt bezeichnet werden. Doch bei den Umfragen waren schon die Europa-Skeptiker oftmals in der Mehrheit. Der Leiter des Büros für die Europäische Integration, Edvards Kusners, erklärt:

"Die Ankündigung der Europäischen Kommission, die Subventionen der Landwirtschaft für die neuen Beitrittskandidaten nicht im vollen Umfang zu bezahlen, löste bei der lettischen Bevölkerung großes Unverständnis aus. Sowohl unsere Medien als auch die Bauern erwarten sich mehr von den direkten Zahlungen. Es ist natürlich viel einfacher, wenn das Geld aus Brüssel automatisch fließt, als es über einzelne Projekte immer neu zu beantragen. Die Reaktion in den Medien auf diese Entscheidung war sehr aggressiv und sie hat eine sehr heftige Diskussion in unserer Bevölkerung ausgelöst."

Es ist also noch einiges an Überzeugungsarbeit von Seiten der lettischen Regierung zu leisten, damit auch in der lettischen Bevölkerung die letzten Zweifel über die Notwendigkeit eines EU-Beitritts ausgeräumt werden. Ein Datum für den geplanten Volksentscheid darüber haben die Politiker in Riga bereits ins Auge gefasst. Er soll am 23. August 2003 stattfinden. Ein symbolischer Tag, denn am 23. August 1939 wurde der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, in dessen Folge das Baltikum für ein halbes Jahrhundert unter sowjetische Herrschaft geriet. Jetzt soll dieser Tag eine ganz andere Ära einleiten. (TS)