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Politik

Kein kurdisches Rakka erwünscht

Diana Hodali
7. November 2016

Die syrische Stadt Rakka soll von der Terrormiliz "Islamischer Staat" befreit werden. Doch wenn die Kurden bei der Operation die Führung behalten, schafft das große Probleme, sagt Nahost-Experte Guido Steinberg.

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Pressekonferenz der Demokratischen Syrischen Kräfte
Bild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Deutsche Welle: Rakka in Syrien ist de facto die Hauptstadt des "Islamischen Staates" (IS). Welche Bedeutung hat sie für die Terrormiliz?

Guido Steinberg: Rakka ist die zweitwichtigste Stadt des IS-Gebietes. Die deutlich wichtigere Stadt ist Mossul im Irak. Dort hat der IS eine irakische Organisation, dort wurde das Kalifat ausgerufen und dort hat er in den Jahren zuvor schwierige Zeiten überlebt. Rakka ist aber deswegen so wichtig, weil es die syrische Hauptstadt des IS ist und eine Art Rückzugsgebiet war. Es war für den IS einfacher in Syrien zu operieren als im Irak, denn die Gegner im Irak sind stärker.

Aber Rakka gilt doch als Finanz-und Führungszentrale des IS und als externe Operationsbasis, von der aus Anschläge im Westen geplant werden, etwa die Anschläge in Paris.

In Syrien sind die Ausländer in der Organisation sehr, sehr stark vertreten. Die Abteilung für Auslandsoperationen, die bis vor kurzem von Abu Mohammed al-Adnani angeführt wurde, hatte ihren Sitz Rakka. (Al-Adnani wurde im August 2016 bei Angriffen getötet, Anm. d. Red.) In Rakka sind auch die meisten ausländischen Kämpfer und deren Anführer stationiert. Darum ist Rakka für Angriffe Richtung Europa und Türkei sehr viel bedeutender als Mossul. Man kann Rakka durchaus als eine Art vorgelagerte Operationsbasis sehen.

Nahost-Experte Guido Steinberg
Guido Steinberg ist Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: DW

Die Demokratischen Syrischen Kräfte (SDF) führen mit Unterstützung der USA die Offensive an. Sie sind ein Zusammenschluss von 30.000 Kämpfern überwiegend kurdischer Abstammung, aber auch arabische Kämpfer sind dabei. Welche Probleme stehen diesen Kämpfern bei der jetzt begonnenen Operation "Wut des Euphrat" bevor?

Die Demokratischen Syrischen Kräfte sind nur ein Euphemismus dafür, dass wir es fast ausschließlich mit kurdischen Einheiten zu tun haben, und zwar mit kurdischen Einheiten der Partei der demokratischen Union (PYD) - das ist ein syrischer PKK-Ableger. Das ist aus außenpolitischen Gründen vor allem für das Verhältnis mit der Türkei sehr schwierig, noch problematischer aber für die Operation rund um Rakka: Das ist eine arabische Stadt und ihre sunnitisch-arabischen Bewohner würden eine kurdische Herrschaft - oder auch nur eine kurdische Eroberung - als Besatzung wahrnehmen. Man muss befürchten, dass die Bewohner vielleicht doch den IS oder zurückbleibende Terrorzellen unterstützen werden, wenn die Kurden bei diesem Feldzug federführend sind.

Es sind zwar einige tausend Araber dabei, und die USA haben sich in den vergangenen zwei Jahren enorme Mühe gegeben, mehr arabische Kämpfer einzubeziehen. Aber insgesamt wird diese Truppe dominiert von der PKK oder PYD. Selbst wenn das nicht so wäre, entscheidend ist, wie die Bevölkerung die Situation wahrnimmt. Und sie nimmt diese Kräfte als rein kurdische Einheiten wahr.

IS-Kämpfer auf einem Panzer
Im Januar 2014 hatte der IS Rakka eingenommen - es wird Monate dauern, die Stadt zu befreienBild: Reuters

Sollten die Kämpfer der SDF Rakka wirklich befreien, wer hätte in Zukunft das Sagen über die Stadt? Die Kurden, die ihr Gebiet im Norden Syriens erweitern wollen?

Wenn die SDF Rakka einnehmen, wäre es auf jeden Fall zwingend notwendig, dass man die Kontrolle über die Stadt arabischen Milizen übergibt. Mein Eindruck ist aber bisher, dass diese noch viel zu schwach sind, um die Kontrolle über eine so große Stadt zu übernehmen. Dieses Problem sollte gelöst werden. Mein Eindruck ist aber auch, dass jetzt eine gewisse Eile herrscht, Rakka zu befreien, weil die USA wohl Hinweise haben, dass dort im Moment konkrete Anschläge in der westlichen Welt geplant werden.

Was würde denn die Befreiung Rakkas für die Dynamik im Syrien-Krieg bedeuten? Oder ist Aleppo die wichtigere Stadt?

Wir haben es mittlerweile in Syrien mit zwei unterschiedlichen Konfliktebenen zu tun. Wir haben die Bekämpfung des IS, und die ist fast vollkommen abgekoppelt vom Bürgerkrieg zwischen den Aufständischen und der syrischen Regierung. Eine Befreiung Rakkas würde zunächst einmal das unmittelbare Problem IS etwas abmildern. Das würde zwar nicht bedeuten, dass diese Organisation geschlagen ist, aber es würde doch verhindern, dass sie ungestört Anschläge planen und organisieren kann. Auf die Kampfhandlungen im Westen des Landes (etwa um Aleppo, Anm. d. Red.) hätte das kaum Auswirkung. Dort sehen wir ja, dass die Russen, die Iraner und das syrische Regime gemeinsam nicht den IS bekämpfen, sondern den Rest der Aufständischen. Dieser Konflikt würde weitergehen.

Erdogan will Rakka erobern

Könnte die Türkei den Sturm auf Rakka noch schwächen? SDF-Vertreter warnen ja, dass sie den Vormarsch unterbrechen könnten, wenn die Türkei mit ihren Verbündeten auf kurdische Gebiete im Norden Syriens vorrücken würde.

Die Türkei hat bereits angekündigt, dass sie sich an dem Sturm auf Rakka beteiligen will. Es ist zu befürchten, dass die Türkei versuchen wird zu verhindern, dass die Kurden die Kontrolle über Rakka erlangen. Ich gehe davon aus, dass die USA im Moment verzweifelt versuchen, die Türkei von einer weiteren Intervention in Syrien abzuhalten, weil dann die Lage natürlich komplizierter und unberechenbarer würde.

Inwieweit ergänzen sich der Sturm auf Mossul und die Befreiung Rakkas?

Rein militärisch betrachtet ist es natürlich absolut folgerichtig, dass man versucht, beide Städte parallel einzunehmen, weil man damit verhindert, dass aus Mossul größere Truppenteile nach Rakka fliehen können. Das Problem ist aber, dass die US-Amerikaner im Irak mit den dortigen Streitkräften ziemlich starke Verbündete haben, aber der kurdischen Regionalregierung in Syrien fehlt das alles. Es gibt viele Akteure, die kein Interesse daran haben, dass die USA diese Operation erfolgreich zu Ende bringen. Dazu gehört die Türkei, dazu gehört aber auch die syrische Regierung, so dass ich Zweifel habe, dass der Sturm auf Rakka reibungslos funktionieren wird.

Welche Rolle spielt denn das syrische Regime beim Vorgehen gegen den IS?

Die syrische Regierung hat in den vergangenen Jahren eine ganz klare Politik geführt. Sie hat versucht, vor allem die weniger militanten, weniger islamistischen Aufständischen zu bekämpfen, so dass die Nachbarn, die Europäer, die US-Amerikaner schlussendlich nur noch die Wahl haben zwischen dem syrischen Regime und dem IS - wohlwissend, dass sich die Welt in einem solchen Fall für das Regime entscheiden wird. Deswegen kann dem Regime eigentlich nicht daran gelegen sein, dass der IS in Rakka ausgeschaltet wird. Ich erwarte also, dass von Seiten des Regimes noch einiges passieren wird, womit wir bei dieser Operation nicht rechnen.

Guido Steinberg ist Nahost- und Terrorismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Von 2002 bis 2005 war er Referent für internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt.

Das Gespräch führte Diana Hodali.