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Migranten-Starthilfe

7. Februar 2012

Junge Menschen mit ausländischen Wurzeln sind bei der Lehrstellen-Suche oft benachteiligt. Eine Initiative von Unternehmern, die einst selbst fremd in Deutschland waren, schafft gezielt Lehrstellen für junge Migranten.

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Christina Alexoglou-Patelkos fördert junge Migranten wie Ulla aus Polen (Foto: DW)
Christina Alexoglou-Patelkos fördert junge Migranten wie Ulla aus PolenBild: DW

Wer mit Christina Alexoglou-Patelkos spricht, spürt den Optimismus und Tatendrang in ihrer Stimme. Christina Alexoglou-Patelkos ist Deutschgriechin, Mitte Fünfzig und die gute Seele eines Projekts, das sich "Brücke zur Qualifizierung und Integration" nennt. Das Projekt richtet sich an Unternehmer mit ausländischen Wurzeln, weil sie oft am eigenen Leib erfahren haben, dass man ihnen bei der Suche nach Arbeit oder nach einer Lehrstelle selbst mit Vorbehalten begegnete. "Gerade deshalb möchten sie auch anderen weiterhelfen, indem sie nicht sofort auf die Noten von Bewerbern schauen, sondern auf das Können, den Fleiß und den Ehrgeiz", sagt Christina Alexoglou-Patelkos.

Ihre Aufgabe besteht darin, Ausbildungsplätze bei Unternehmern ausländischer Herkunft zu akquirieren. "Viele Unternehmer, die nicht hier aufgewachsen sind und das Ausbildungssystem nicht kennen, wissen nicht einmal, dass sie selber ausbilden dürfen." Mit Christina Alexoglou-Patelkos Unterstützung sind in den vergangenen fünf Jahren rund 200 Lehrstellen im Kölner Raum neu entstanden. Organisiert wird das Brückenprojekt von der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung, kurz DHW. Die finanziellen Mittel kommen zum größten Teil aus dem Jobstarter-Programm, mit dem das Bundesbildungsministerium neue Ausbildungsplätze fördert. Bundesweit hat Jobstarter für 56.000 neue Lehrstellen gesorgt.

Ein anderer Zugang zu den Jugendlichen

Kleine und mittlere Betriebe stellen 80 Prozent der Lehrstellen, brauchen aber ihrerseits Hilfe, weil sie eben nicht wie die Großunternehmen eigene Ausbildungs- und Personalabteilungen haben. Hier hilft Christina Alexoglou-Patelkos: Wie bekommt man einen Ausbilderschein? Welche Prüfungen muss man ablegen? Welche Voraussetzungen muss der Betrieb erfüllen, um ausbilden zu dürfen?

Diese Fragen hatte auch Mikael Camci. Der Mann mit armenischen Wurzeln führt das Restaurant "Havanita" in Frechen in der Nähe von Köln. Christina Alexoglou-Patelkos hat ihn überzeugt, Ausbilder zu werden und einem jungen Menschen mit ausländischen Wurzeln eine Lehrstelle zu geben. Er hat den Beruf von der Pike auf gelernt und ist seit 18 Jahren in der Branche tätig. "Ich möchte gerne die Erfahrungen, die ich gemacht habe weitergeben." Auch wenn das für ihn bedeutet hat, dass er selbst noch einmal die Schulbank drücken und eine Prüfung zum Ausbilder machen musste.

Bereut hat er diesen Schritt nie. Denn seine Auszubildende, Ulla Kucharek aus Polen, ist ein Glücksfall für ihn. "Sie ist Klassenbeste und macht sich prima." Er vertraut ihr sogar die Leitung des Lokals an, wenn er in Urlaub fährt. Heute arbeitet Ulla nicht im Lokal, sondern geht in die Berufsschule. Christina Patelkos-Alexoglou macht sich auf den Weg, um sie am Nachmittag zu treffen.

Unternehmer zeigen großes Engagement

Selbst auszubilden liegt im eigenen Interesse der Unternehmer vor allem, um dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken. Noch vor wenigen Jahren konnten sich die Lehrbetriebe die besten Schüler aussuchen, doch diese Zeiten sind vorbei. Die Zahl der angehenden Azubis sinkt kontinuierlich – eine Folge des demografischen Wandels. Daher müssen Betriebe auch Schüler mit schlechteren Noten in die Lehre nehmen, wenn sie Personal qualifizieren wollen.

Markus Kiss ist Experte für Bildung und Ausbildung beim Deutschen Industrie- und Handelstag. Er kennt die Situation in den Betrieben: "Lesen, Rechnen, Schreiben – das sitzt halt oft leider nicht." Doch für die Betriebe würden persönliche und soziale Kompetenzen immer wichtiger. Was die Noten angehe, seien die Unternehmer immer häufiger bereit, auf betrieblicher Ebene die Defizite auszugleichen. "50 Prozent sorgen selbst schon für Nachhilfeunterricht, und das sind nicht nur Großbetriebe", betont Markus Kiss.

Die Einsicht wächst: Handicaps von Schulabsolventen nicht auszugleichen, das kann sich weder die Gesellschaft noch der Arbeitsmarkt leisten. Andererseits: Schülerinnen und Schüler mit schlechten Noten zu fördern und ihre Talente ans Tageslicht zu bringen, das überfordert die Unternehmer bisweilen. Unterstützung geben die Arbeitsagenturen, die Bundesregierung und die Industrie- und Handelskammern: zum Beispiel durch Ausbildungsberater vor Ort, Lehrgänge für Migranten oder ausbildungsbegleitende Hilfen für Jugendliche mit sprachlichen oder schulischen Problemen. Die Statistik belege, dass die Bildungsdefizite bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund überproportional häufig anzutreffen sind, sagt Markus Kiss: "Rund 13 Prozent der 15 bis 19-jähigen Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln verlassen die Schule ohne Abschluss, während es bei deutschen Jugendlichen sieben Prozent sind."

Gemeinsam für bessere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt

Ohne Schulabschluss gibt es keine Lehrstelle, ohne Lehre kaum Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Mehr als eine Million junger Menschen unter 30 Jahren in Deutschland haben keine Ausbildung – oder keine, die hierzulande anerkannt wird. Das war auch das Problem von Ulla, der Auszubildenden von Mikael Camci. Als die 24-jährige Frau aus Polen nach Deutschland kam, hatte sie sogar Abitur und eine abgeschlossene kaufmännische Lehre im Gepäck. Doch das galt hierzulande wenig. "Wenn man hier keine Ausbildung abgeschlossen hat, sind viele Leute skeptisch und sagen: Sie haben das ja gar nicht richtig gelernt." Ulla entschied sich, von vorne anzufangen und eine Lehre im "Havanita" zu machen – auch wenn das bedeutete, mit deutlich weniger Geld auskommen zu müssen.

Inzwischen ist Christina Alexoglou-Patelkos bei Ulla angekommen. Sie trifft sie vor der Berufsschule im Kölner Stadtteil Ehrenfeld und erkundigt sich, wie die Schule läuft. Ulla erzählt voller Stolz, dass ihr Notenschnitt bei 1,7 liege. Wenn sie im Sommer ihre Prüfung zur Gastronomie-Fachkraft in der Tasche hat, möchte Ulla weiterlernen. "Meine Ausbildung ist eine gute Basis, auch falls ich noch einmal weiter studieren will."

Die Eltern mit ins Boot holen

Christina Alexoglou-Patelkos ist im Dialog mit allen Beteiligten: den Azubis, den Unternehmern und mit den Eltern: Oft seien die Vorstellungen, welche Berufswünsche mit welchem Schulzeugnis realistisch sind, sehr naiv. Das bestätigt auch Michael Kiss vom DIHK. "Manchmal denken die Eltern, dass ihre Kinder mit einem Hauptschulabschluss Arzt werden könnten."

Bei einem Thema wird Christina Alexoglou-Patelkos Stimme sehr energisch: "Wir tun den ausländischen Jugendlichen unrecht, wenn wir sagen, sie sind stärker benachteiligt als die Deutschen. Das sind sie nicht!" Ausländische Jugendliche bräuchten eine andere Herangehensweise: Es mache einen großen Unterschied, einen Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln zu beraten. Vor allem das Elternhaus spiele eine viel stärkere Rolle als bei deutschen Jugendlichen. Christina Alexoglou-Patelkos appelliert an alle - Eltern, ausländische Kulturvereine und ausländische Unternehmer – sich mit den zuständigen deutschen staatlichen Strukturen viel stärker zu vernetzen mit dem Ziel: gemeinsam jungen Migranten eine Starthilfe zu geben.


Autorin: Birgit Görtz
Redaktion: Gaby Reucher

Christina Alexoglou-Patelkos schafft neue Lehrstellen (Foto: DW)
Christina Alexoglou-Patelkos schafft neue LehrstellenBild: DW
Ulla Kucharek ist Klassenbeste (Foto: DW)
Ulla Kucharek ist KlassenbesteBild: DW
Christina Alexoglou-Patelkos unterstützt die Ausbilder wie Mikael Camci (Foto: DW)
Christina Alexoglou-Patelkos unterstützt die AusbilderBild: DW
Mikael Camci mixt Cocktails (Foto: DW)
Mikael Camci ist Gastronom mit Leib und SeeleBild: DW