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Stark, aber fast unsichtbar

Barbara Cöllen12. Januar 2013

Sie stellen die zweitgrößte Einwanderergruppe in Deutschland und hinterlassen doch wenig sichtbare Spuren im Alltag. Dabei hätte es ohne Polen weder die Industrialisierung noch das jüngste "Fußballwunder" gegeben.

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--- DW-Grafik: Peter Steinmetz

Deutschland und Polen sind Nachbarn - auf einer fast 500 Kilometer langen Grenze von Swinemünde im Norden bis Zittau im Süden begegnen sich die Völker. Und doch ist gerade der Westen Deutschlands besonders polnisch geprägt: Im Ruhrgebiet hat sie angefangen, die wechselvolle Geschichte der polnischen Einwanderung. Eine Geschichte, die sich gut am Beispiel von Czesław Gołębiewski erzählen lässt.

Czesław Gołębiewski hatte sich schnell entschieden. Als der Eiserne Vorhang fiel, verließ der Ozeanologe zusammen mit seiner Frau Monika und den drei Kindern die polnische Heimat. Gołębiewski zog es ins Ruhrgebiet – nach Oberhausen. Dort, wo schon sein Vater 1897 als Sohn eines polnischen Einwanderers und einer Deutschen zur Welt gekommen war.

Zurück zu den Wurzeln

Wie Großvater Gołębiewski kamen vor mehr als 150 Jahren rund 300.000 polnischsprachige Einwanderer ins Ruhrgebiet, um beim Aufbau der Kohle- und Stahlindustrie zu helfen. Sie gründeten polnische Banken, bildeten polnische Gewerkschaften, engagierten sich in Sport- und Kulturvereinen und veränderten so das Bild einer ganzen Region. Während die einen auf Dauer in Deutschland blieben, zog es andere wieder zurück in ihre Heimat. Vor allem, als dort nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein polnischer Staat entstanden war. Auch der Vater von Czesław Gołębiewski ging 1918 zurück nach Polen, wo die Familie blieb, bis sich Czesław 1989 entschloss, noch einmal das Glück in der Fremde zu versuchen.

"Zunächst hatte ich das starke Gefühl, verdammt zu sein, Polen wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage den Rücken gekehrt zu haben", sagt Czesław heute. "Doch dann habe ich hier in Deutschland eine Aufgabe gefunden und mich selbst verwirklicht." Die Aufgabe, das ist Gołębiewskis Lokal "Gdańska2(Danzig) in Oberhausen - heute die erste Adresse in Sachen polnischer Kultur und Kunst im Ruhrgebiet. Dabei sprachen weder Czesław noch seine Frau Maria bei ihrer Ankunft in Oberhausen Deutsch. Doch mit dem Erfolg wuchs die Verbundenheit mit der neuen Heimat – und auch das Sprachproblem hat sich längst erledigt: "Ich spreche Deutsch mit polnischem Akzent, habe eine polnische Seele und möchte, dass man mich so nimmt wie ich bin."

Immer neue Einwanderungswellen

Auch wenn die Anfangsjahre in Oberhausen für die Gołębiewskis hart waren, die ersten Einwanderer nach dem Krieg kamen unter weit widrigeren Umständen. Lebten unmittelbar nach dem Krieg noch mehr als 100.000 ehemalige polnische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in der Bundesrepublik, erlebte das demokratische Deutschland Mitte der 1950er Jahre die erste Einwanderungswelle – von Aussiedlern aus den ehemaligen Ostgebieten. Viele von ihnen mit deutsch-polnischer Identität. Durch die katastrophale Versorgungslage und das deutsch-polnische Abkommen über die Familienzusammenführung erfolgte Mitte der 1970er Jahre die nächste große Einwanderungswelle aus diesen Gebieten. Auch als Anfang der 1980er Jahre im Zuge der Solidarnosc-Proteste das Kriegsrecht verhängt wurde, kehrten viele Polen ihrer Heimat den Rücken.

Zwischen 1980 und 2005 haben sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (destatis) fast 1,5 Millionen Spätaussiedler dauerhaft in Deutschland niedergelassen. In der Regel besitzen sie sowohl den deutschen als auch den polnischen Pass. Die Zahl von Bürgern mit polnischen Wurzeln liegt aber weit höher. Von bis zu zwei Millionen Menschen gehen die Statistiker aus. Wer die vielen Kowalskis, Jankowskis und Adameks, die seit Jahrzehnten im Ruhrgebiet heimisch sind und manchmal noch nicht einmal mehr Polnisch sprechen, noch dazu zählt, wird eine noch höhere Zahl ermitteln.

Normalisierung durch den EU-Beitritt

Waren die Einwanderungswellen in den Jahrzehnten nach 1945 noch eng verknüpft mit der schwierigen Vergangenheit beider Staaten, änderte sich dies spätestens mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004. Der EU-Beitritt war der Startschuss für eine neue Generation, die bis heute selbstbewusst an die deutschen Hochschulen und auf den Arbeitsmarkt drängt. Seit die letzten Hürden für polnische Arbeitnehmer in Deutschland 2011 gefallen sind, ist die Gleichberechtigung mit den anderen Europäern verwirklicht.  

Die "neuen Migranten" aus Polen verstehen sich als postnational und europäisch, wie jüngst eine Studie über junges polnisches Engagement in Deutschland herausgefunden hat. Die nationale Identität ist für sie nebensächlich. Freiheit und Freizügigkeit stehen im Vordergrund. Der deutsch-polnische Umgang wird unverkrampfter und selbstverständlicher. Zu beobachten ist das auch bei den bekanntesten "Deutschpolen": den beiden Fußballnationalspielern Lukas Podolski und Miroslav Klose. Ihre Eltern sind als Aussiedler nach Deutschland gekommen. Podolski und Klose stürmen für Deutschland und sind zugleich stolz auf ihre polnischen Wurzeln.

Ob Podolski, Klose oder Gołębiewski: Deutschland ist über die Jahre ein Stück polnischer geworden – und (fast) keiner hat es gemerkt.

Porträt von Lukas Podolski und seiner Frau Monika. (Foto: Felix Heyder/dpa)
Fußball-Star Lukas Podolski mit seiner Frau MonikaBild: picture alliance/dpa/F. Heyder
Symbolbild (Foto: Rosalia Romaniec)
Polen... Deutsche... EuropäerBild: DW
Foto von Czeslaw und Maria Golebiewski (Foto: privat)
Restaurantbesitzer Czeslaw und Maria GolebiewskiBild: DW/Cöllen