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Künstliche Haut für Menschen nicht mehr fern

7. April 2016

Nach der Produktion künstlicher Mäusehaut mit Haaren und Talgdrüsen ist es zur Entwicklung menschlicher Haut nicht mehr weit. Der Mediziner Jürgen Hescheler erzählt im Interview, auf welchem Stand die Forschung ist.

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Haut mit Haaren und Talgdrüsen (Foto: Picture alliance/ dpa/ T. Tsuji, RIKEN)
Bild: picture-alliance/dpa/T. Tsuji, RIKEN

Deutsche Welle: Vergangene Woche haben japanische Wissenschaftler bekannt gegeben, dass sie aus Stammzellen von Mäusen erfolgreich ein Hautstück mit wichtigen Funktionen, Haaren und Talgdrüsen gezüchtet haben. Das künstliche Hautgewebe, das Nacktmäusen transplantiert wurde, ging auch normale Verbindungen mit den umgebenden Nerven- und Muskelfasern ein. Schon seit längerer Zeit wird daran gearbeitet, mithilfe von Stammzellen künstliche Haut herzustellen. Was ist das Neue an der Arbeit der japanischen Forscher um Ryoji Takagi?

Jürgen Hescheler: Es hat schon diverse Arbeiten zur Differenzierung von Hautzellen gegeben. Neu ist zum einen, dass iPS-Zellen, induzierte pluripotente Stammzellen, für das Projekt verwendet worden sind. Zum anderen ist neu, dass nicht nur einfache Haut geschaffen worden ist, sondern funktionelle Haut inklusive Hautanhangsgebilden, also mit Haarzellen, Haarfollikeln, Schweißdrüsen und so weiter.

Ist diese Entwicklung von funktioneller Haut ein großer Fortschritt für die Stammzellforschung?

Porträt von Prof. Jürgen Hescheler (Foto: Katharina Redanz)
Jürgen Hescheler sieht die Züchtung von Hautzellen auch als Fortschritt für die Entwicklung anderer Zellarten.Bild: privat

Ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine große Sensation ist - im Prinzip war es zu erwarten. Es wird in der Stammzellforschung ja auch schon lange mit und an beispielsweise Hautzellen, Herzzellen und Nervenzellen geforscht. Jetzt ist die Technik aber soweit, dass man nicht nur einzelne, einfache Zellen aus den Stammzellen differenzieren möchte. Stattdessen wird versucht, ganze und komplexe Gebilde, dreidimensionale Strukturen zu schaffen. Der Forschungserfolg aus Japan jetzt ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg, auch wenn es sicherlich noch nicht der Endweg ist. Noch fehlen zum Beispiel die Arbeiten für menschliche Zellen. Insgesamt aber wurden wichtige Erkenntnisse erzielt, die uns in der Forschung weiterbringen.

Die japanischen Wissenschaftler sagen, die Entwicklung funktioneller Haut für den Menschen sei der nächste Schritt. Halten Sie das für realistisch?

Ja, das ist sehr realistisch. Es gibt praktisch kein Beispiel, in dem Differenzierungen aus Stammzellen, die an der Maus etabliert worden sind, nicht auf menschliche Stammzellen übertragbar waren.

Das heißt in absehbarer Zeit wird es auch für den Menschen künstliche Haut aus Stammzellen geben?

Auch heute gibt es schon künstliche Haut für Menschen, zum Beispiel für Verbrennungsopfer. Diese Haut ist aber pergamentartig und sieht auch nicht aus wie normale Haut. Aber in der Zukunft, und auch in absehbarer Zeit, werden wir wahrscheinlich wirklich funktionelle Haut züchten können. Das heißt: Haut mit Haarfollikeln und Schweißdrüsen, die zum Beispiel für die Temperaturregulierung wichtig sind. Wichtig sind auch die Melanozyten, die Zellen, die für die Färbung der Haut verantwortlich sind. Ich denke, dass all das in der Zukunft kommen wird. Der Grundstein ist jetzt auf jeden Fall gelegt.

Sie sagen in absehbarer Zeit – können Sie das noch genauer beziffern?

Genaue Zeitangaben sind immer schwierig zu bestimmen. Die Zeit, die Forschung braucht, hängt auch immer stark davon ab, wie sie gefördert wird. In der letzten Zeit kommen im Stammzellbereich immer mehr hervorragende Arbeiten aus Japan. Dort ist die Förderung sehr gut, deshalb kann man davon ausgehen, dass in Japan Arbeiten mit menschlicher Haut wahrscheinlich in den nächsten drei bis fünf Jahren kommen werden. Da wir in Deutschland praktisch überhaupt keine Förderung mehr im Stammzellbereich haben, können wir leider eigentlich nur noch zuschauen, wie Andere forschen und Ergebnisse präsentieren.

Das Forschungsergebnis jetzt bezieht sich vor allem auf die Züchtung von Haut – liefert es auch Erkenntnisse für die Stammzellforschung für andere Gewebe oder Organe?

Grundsätzlich ist jede Differenzierung aus Stammzellen unterschiedlich. Wir hier in Köln arbeiten zum Beispiel viel an der Differenzierung von Herzmuskelzellen. Das funktioniert anders. Aber auch in unserem Bereich gab es in der letzten Zeit wesentliche Verbesserungen. Ebenso wie bei der Forschung zur Differenzierung von Hautzellen kamen dabei wichtige Impulse aus Japan. Speziell die Erkenntnisse aus der aktuellen Hautdifferenzierung lassen sich jedoch nicht auf die Züchtung von anderen Organen oder Geweben übertragen. Trotzdem ist die Arbeit für uns interessant, weil wir so sehen, wie andere Differenzierungen funktionieren und weil wir so vielleicht ein paar Ideen übertragen können.

Das Interview führte Katharina Redanz

Professor Jürgen Hescheler ist Leiter des Instituts für Neurophysiologie der Universität Köln. Der renommierte Stammzellforscher arbeitet seit über 25 Jahren mit verschiedenen Arten von Stammzellen, sein Hauptgebiet ist die Differenzierung von Stammzellen zu Herzmuskelzellen.