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Stabilitätspakt nicht ernst genommen?

Peter Wozny7. Oktober 2003

Frankreich bleibt vorerst vor Sanktionen durch die EU-Kommission wegen seiner ausufernde Neuverschuldung verschont. Deutschland kann sich darüber nur freuen, kann es doch mit einer ebenso schonenden Behandlung rechnen.

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Fachleute für Neuverschuldung:<br>Finanzminister Eichel und sein französischer Kollege MerBild: AP

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung verstößt die Bundesrepublik im Jahr 2003 noch drastischer gegen den EU-Stabilitätspakt als das Nachbarland. Im Gegensatz zu Frankreich hat Deutschland allerdings alle Sparvorgaben der EU-Kommission erfüllt und rückt daher weniger in den Fokus der EU-Kommission. Trotzdem drohe für das Jahr 2003 ein Rekorddefizit.

"Vier Prozent plus x"

Noch im August hatte Bundesfinanzminister Hans Eichel der EU eine errechnete Neuverschuldung von 3,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gemeldet. Und auch das hätte schon gegen die erlaubten drei Prozent des Maastrichter Vertrags verstoßen. Jetzt sei in Regierungskreisen von "vier Prozent plus x" die Rede, berichtet die Zeitung.

Auf allen Ebenen, die in die Berechnung einfließen, verzeichnet Deutschland höhere Ausgaben, als geplant. Allein der Bund muss in seinem Nachtragshaushalt die Nettokreditaufnahme für das Jahr 2003 verdoppeln: Von 18,9 Milliarden Euro auf über 40 Milliarden Euro.

Sinkende Einnahmen, steigende Ausgaben

"Wirtschaftswachstum, Arbeitslosenzahl und Beschäftigungsentwicklung weichen im Jahresverlauf erheblich von den Werten ab, die bei Einbringung des Haushalts 2003 erwartet werden konnten", verteidigt Jörg Müller, Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel, das höhere Defizit. Statt erwarteter 4,25 Millionen Arbeitslosen werde die Zahl im Jahresdurchschnitt 2003 bei rund 4,5 Millionen liegen. Außerdem seien im Jahresdurchschnitt 600.000 Menschen weniger beschäftigt, als im Durchschnitt des Vorjahres. "Daher sinken die Steuereinnahmen und steigen die Ausgaben für die Arbeitslosen."

"Finanzplanung ist zu optimistisch"

Prof. Dr. Manfred J. M. Neumann, Direktor des Institutes für Internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn bestätigt diese Fehlentwicklungen, erwartet aber auch für das Jahr 2004 keine Besserung: "In Deutschland sind die Ausgabenansprüche der Sozialpolitik zu hoch, als dass man etwas gegen das steigende Defizit tun könnte. Wenn man die Ausgaben derart senken möchte, dass man den Stabilitätspakt einhalten kann, müssten deutlich weniger Subventionen für soziale Zwecke verteilt werden. Und dazu fehlt es der Regierung an Durchschlagskraft."

Die Finanzplanung des Bundes sei außerdem zu optimistisch, Prof. Neumann: "Es wird grundsätzlich mit zu positiven Zahlen kalkuliert. Man hat aber auch die Chance verpasst, mittelfristig vorzusorgen, vor allem im Jahr 2000, als es noch Wachstum gab."

Verstoß als politisches Kalkül

Kein rein deutsches Phänomen: Frankreich wird nicht nur 2003 gegen den Stabilitätspakt verstoßen, sondern plant auch für 2004 mit einem Defizit von 3,6 Prozent. Und das obwohl die EU-Finanzminister im Juni konkrete Vorgaben gemacht haben, um das Defizit auf drei Prozent zu drücken. Nach Ansicht der EU-Kommission kam Frankreich diesen Empfehlungen nicht nach.

Prof. Dr. Neumann schließt dabei ein politisches Kalkül der französischen Regierung nicht aus: "In Frankreich wird der Stabilitätspakt weniger ernst genommen, als in den anderen EU-Ländern. Wenn Steuererhöhungen derzeit nicht in die politische Landschaft passen, finden sie eben nicht statt."

Kein zahnloser Tiger

Dass der Stabilitätspakt trotz allem kein zahnloser Tiger sei, zeigten kleine Länder wie Österreich oder die Niederlande, die Jahr für Jahr die Auflagen erfüllen. Prof. Dr. Neumann: "Diese Länder haben dem Stabilitätspakt schon immer eine höhere Priorität eingeräumt. Und vor allem haben sie ihr finanzielle Planung schon mittelfristig auf diesen Pakt abgestimmt. Und sie haben das mit realistischeren Zahlen getan, als zum Beispiel die Bundesregierung."