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Spöttl: "Wir wollen Fakten sehen"

Abbas Al-Kashali19. Mai 2014

Wegen der Kritik an den Arbeitsbedingungen ausländischer Gastarbeiter auf den WM-Baustellen will Katar das sogenannte "Kafala-System" abschaffen. Regina Spöttl von Amnesty International ist skeptisch.

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Regina Spöttl
Bild: Privat

Deutsche Welle: Katar hat erklärt, das umstrittene Kafala-System abschaffen zu wollen. Was bedeutet dieses System konkret - und was ändert sich nun?

Regina Spöttl: Es gibt in allen Golfstaaten Kafala-Systeme, aber am schärfsten sind die Arbeitsbedingungen für Ausländer in Saudi-Arabien und Katar. Das haben wir von Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen immer wieder angeprangert. In diesen beiden Ländern können Arbeitgeber den Arbeitnehmern verbieten, ihre Arbeit zu wechseln, beziehungsweise auszureisen. Wir prangern dies an, weil es zu Zwangsarbeit führen kann, zu Missbrauch und zu nicht ausgezahlten Löhnen für ausländische Arbeitskräfte.

Und ja, dann kam die Vergabe der Weltmeisterschaft und Katar rückte ins Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Da haben wir natürlich schon den Druck verschärft. Das war eine sehr gute Gelegenheit - obwohl wir immer wieder betonen, dass man natürlich auch schon vor der Vergabe solcher Großveranstaltungen genau hinschauen muss, wie die Menschenrechtssituation vor Ort ist.

Das sogenannte Kafala- oder Sponsorship-System für ausländische Gastarbeiter werde durch ein neues System ersetzt, das "auf Arbeitsverträgen basiert", hieß es in einer offiziellen Mitteilung aus Katar. Bekommen Gastarbeiter in Katar nun wirklich mehr Rechte?

Ich glaube nicht, dass das Kafala-System wirklich abgeschafft wird. Es bekommt vielleicht einen neuen Namen und ein paar Veränderungen. Ich hörte, man denkt darüber nach, die Sache mit den Ausreise-Visa anders zu regeln, dass die Leute sich freier bewegen können. Man denkt darüber nach, für jeden Arbeiter ein Bankkonto zu eröffnen, damit Lohnzahlungen überwacht werden können. Es gibt ein paar gute Ansätze, aber das ist nicht genug.

Was vor allem fehlt, ist ein Mindestlohn. Außerdem fehlen Erholungszeiten, es fehlen Garantien, dass Arbeitnehmer Urlaub bekommen und ordentlich bezahlt und untergebracht werden. Es gab ja erst letztes Jahr Berichte über katastrophale Zustände der Unterkünfte von Gastarbeitern in Katar. Jetzt heißt es aus Katar zwar, das Kafala-System sei nicht mehr zeitgemäß. Aber es gibt keinen konkreten Zeitplan - nur die Aussage, dass man innerhalb der nächsten Monate Änderungen umsetzen werde. Wir hören schon seit Jahren, dass etwas geschehen solle, aber passiert ist bisher nichts.

Die jetzt verkündeten Änderungen sollte man also nicht zu ernst nehmen?

Es ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, es bewegt sich etwas. Man geht in die Öffentlichkeit und setzt sich der Kritik aus. Aber wir wollen Fakten und Tatsachen sehen, dass Arbeiter nicht mehr missbraucht werden, nicht mehr unter Armut oder Zwangsarbeit leiden müssen. Und das gilt nicht nur für die Bauarbeiter auf den WM-Baustellen, sondern für alle Gastarbeiter einschließlich der Hausangestellten.

Das Kafala-System gilt prinzipiell für alle ausländischen Gastarbeiter in Katar - für Hausangestellte oder Bauarbeiter aus ärmeren Ländern in Asien ebenso wie für Menschen aus westlichen Ländern, die Jobs bei Firmen in Katar annehmen. Gibt es Unterschiede in der Behandlung?

Im Prinzip ist das System für alle bindend. Aber bei Arbeitern aus ärmeren Ländern wird es in verschärfter Form angewandt. Die aus dem Westen kommen, wissen meist schon ganz gut Bescheid und können sich eher wehren. Sie wissen zum Beispiel, dass sie auch zum Arbeitsministerium gehen können, um sich zu beschweren. Sie haben auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung. Dagegen sind die Gastarbeiter aus den ärmeren Ländern in Südostasien eindeutig die Hauptleidtragenden. Sie wissen oft überhaupt nicht, wie sie sich gegen Ungerechtigkeiten wehren können.

In deren Heimatländern gibt es allerdings auch kein Arbeitsrecht nach westlichem Vorbild...

Ja, aber das Kafala-System ist wirklich sehr streng - man wird als Gastarbeiter praktisch an einen sogenannten Sponsor gebunden, also an einen katarischen Bürger. Und der behält dann als Arbeitgeber einfach den Pass ein. Wir fordern, dass alle Arbeitnehmer ihre Pässe zurück erhalten.

Warum werden die Pässe überhaupt eingezogen?

Das ist ein Kontroll-Mechanismus. Ohne Pass kann niemand ausreisen, ohne Pass gibt es keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Gesundheitsdienstleistungen. Die Arbeitgeber haben die Arbeitnehmer damit sehr stark in der Hand. Sie können allein entscheiden, ob ihre Arbeiter ausreisen oder ihren Job wechseln können. Das verstößt gegen das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit.

Arbeitgeber in Katar sehen dies anders. Sie sagen: Wir holen diese Menschen aus ihren Heimatländern, wir bilden sie aus und bezahlen auch Geld für diese Ausbildung...

Die meisten Gastarbeiter sind tatsächlich ungelernte Arbeiter vor allem aus Indien, Bangladesch, Sri Lanka oder den Philippinen. Denen verspricht man in ihren Heimatländern das Blaue von Himmel und sagt ihnen: Du bekommst in Katar einen guten Job, zum Beispiel in einem Hotel - da bekommst Du ein gutes Gehalt! Aber wenn die Menschen angekommen sind, bekommen sie Verträge, die oft nur auf Arabisch sind und die sie nicht lesen können.

Und plötzlich verkürzt sich das Monatsgehalt von 400 auf 200 US-Dollar. Und sie kommen nicht in ein Hotel, sondern auf eine Baustelle. Ein Zurück gibt es dann nicht mehr: Einreise und Flugtickt sind bezahlt, die Leute sind hochverschuldet - und in ihrer Heimat wartet die Familie auf die Geldüberweisungen. Und sie können auch nicht mehr ausreisen, weil der Pass schon abgegeben ist.

Das Interview führte Abbas Al-Kashali.

Regina Spöttl ist bei Amnesty International Expertin für die Golfregion.