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Sprachliche Attacken vor dem Spiel

27. Juni 2010

Immer wenn Deutschland gegen England Fußball spielt, entbrennt in der Boulevardpresse eine verbale Schlacht. Zum Achtel-Finalspiel der Fifa-WM ist es wieder einmal soweit. Doch die Töne sind weniger kriegerisch geworden.

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'England, wir schlagen Euch': Screenshot der Internetseite bild.de (Bild) vom 26. Juni 2010 zum Achtelfinale Deutschland - England während der Fifa-WM 2010 in Südafrika (Copyright: bild.de)
Arne Friedrich freut sich über den Sieg gegen Ghana, nach dem die deutsche Mannschaft gegen England antreten mussBild: bild.de
Deutsche Schwiegersöhne gegen englische Rabauken? Screenshot der Internetseite bild.de (Bild) vom 26. Juni 2010 zum Achtelfinale Deutschland - England während der WM 2010 in Südafrika (Copyright: bild.de)
bild.de: Deutsche Schwiegersöhne gegen englische Rabauken?Bild: bild.de

"Jetzt nehmen sich unsere guten Jungs die englischen Rabauken vor", titelte die größte Boulevardzeitung Deutschlands, "Bild", am Samstag (26.06.2010). Der Artikel im Sportteil der Zeitung präsentiert die deutschen Nationalspieler als perfekte Schwiegersöhne, während die britischen Gegner mit außerehelichen Eskapaden und Kneipenschlägereien als "Rüpel, Fremdgeher und Schläger" vorgeführt werden. Schon Tage vor dem WM-Achtelfinale behauptete dasselbe Blatt vollmundig: "England, wir schlagen Euch!" Dazu gab es Tipps, wie das zu erreichen sei.

Klinsmann glaubt in der britischen Presse: England kann gewinnen. Screenshot der Internetseite thesun.co.uk (The Sun) vom 26. Juni 2010 zum Achtelfinale Deutschland gegen England während der WM 2010 in Südafrika (Copyright: thesun.co.uk)
Klinsmann glaubt in der britischen Presse: England kann gewinnenBild: thesun.co.uk

Dagegen schlägt die britische Presse aktuell eher moderate Töne an. Die sonst nicht als zaghaft geltende Boulevardzeitung "Sun" verzichtet auf kriegerische Töne und zitiert lediglich den früheren Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, mit seiner Aussage: "England kann gewinnen." Der britische Spielmacher John Terry beschreibt im Blatt "Mirror" seine Angst vor dem deutschen Team mit den lakonischen Worten: "Mir war noch nie so langweilig." Einzig der "Daily Star" erlaubt sich ein Wortspiel mit "Herr we go" statt "Here we go" in Anspielung auf die vermeintlich herrischen Deutschen und ihr angeblich zackiges Auftreten.

Bild-Zeitung empört: Hitler-Vergleich wegen deutscher Trikots in Schwarz beim 'Daily Star'. Screenshot der Internetseite bild.de (Bild) zum Achtelfinale Deutschland gegen England während der WM 2010 in Südafrika. (28.01.2010, Copyright: bild.de)
Bild-Zeitung empört: Hitler-Vergleich wegen deutscher Trikots in Schwarz beim 'Daily Star'Bild: bild.de

Noch im Januar fiel die Assoziationsfreudigkeit des "Daily Star" derber aus. Das Bild des Kapitäns der Deutschen Fußballnationalmannschaft, Michael Ballack, wurde neben ein Foto von Adolf Hitler montiert. Die schwarzen WM-Trikots der Deutschen ähnelten den schwarzen Uniformen der Nazi-Schutztruppe SS, schrieben die Autoren. Früher wurden noch ganz andere Töne angeschlagen.

Krieg gegen "Krauts" und "Huns"

Die Abneigung der Briten gegen die Deutschen sei ein folkloristisches Vergnügen, das zur Insel gehört wie der Linksverkehr oder die Ansicht, Victoria Beckham, Gattin des britischen Fußballstars David Beckham, sei eine Frau mit Klasse, schrieb das deutsche Magazin "Der Spiegel" vor drei Jahren. Damit relativierte es die Attacken, die vor allem in den 90er Jahren ihren Höhepunkt erreichten. Deutsche Fußballer führten eine Art Stellvertreterkrieg für alle Deutschen, die klischeegerecht mit dem Mercedes nach Spanien führen, dort in besseren Hotels wohnten und am Strand die Liegestühle wegnähmen. "Huns" - also Hunnen - gilt als gängige Beschimpfung.

Der Kampf der Boulevardpresse um gute Auflagen ging oft soweit, dass sogar der deutsche Botschafter in London, Manfred Richthofen, bereits 1990 das Gespräch mit den Autoren feindseliger Artikel vor entscheidenden Fußballspielen suchte. Seine Bemühungen um friedlichere Töne blieben allerdings erfolglos. 1996, vor dem damaligen Spiel England gegen Deutschland, hießen Zeitungstitel "Achtung, Fritz surrender" - also "Fritz, gib auf!" oder "For you Fritz, ze European Championship is over" - "Für dich Fritz ist die EM vorbei!". Bearbeitete Fotos deutscher Spieler im Stechschritt mit Pickelhaube ergänzten die Polemik. Die Entgegnungen der deutschen Boulevardpresse waren auch nicht zimperlich. Die Bezeichnung der Briten als "Inselaffen" zählte ebenso zu dem respektlosen Umgang.

Kriegsbedingte Wurzeln

"Don't mention the war" - "Erwähne nicht den Krieg" heißt ein 1996 von John Ramsden veröffentlichtes Buch. Der Professor an der Londoner Queen Mary Universität beschreibt darin das generelle Verhältnis zwischen Deutschen und Briten und spricht einen wunden Punkt an, der weit zurückreicht. Bereits vor dem ersten Weltkrieg gab es in Großbritannien antideutsche Stimmung, nachdem ein deutsches U-Boot ein amerikanisches Passagierschiff mit vielen Briten an Bord versenkt hatte. Daraufhin sah sich sogar das britische Königshaus Sachsen-Coburg-Gotha genötigt, sich in Windsor umzubenennen.

Sportliche Pleiten

Besondere Schmach allerdings hinterließ 1938 ein Fußballspiel in Deutschland. Die britischen Spieler waren eigens nach Berlin gereist und wurden gebeten - als freundliche Geste - den Hitler-Gruß zu erbieten. Die Spieler gehorchten der von der damaligen britischen Regierung Neville Chamberlains erwünschten Appeasementpolitik der Beschwichtigung und streckten den rechten Arm aus. Später bombardierten deutsche Flugzeuge London und andere britische Städte. Dies zusammen betrachtet wird bis heute vor allem in der älteren britischen Generation als Demütigung empfunden.

Demütigend empfinden die jüngeren Briten eher die sportlichen Niederlagen, die nach dem Jahr 1966 regelmäßig stattfanden. Damals siegte England noch 4:2 über Deutschland beim Fußball. Danach gingen fast alle Pflichtspiele verloren. Ausgerechnet auch in Wembley, der so genannten britischen Kirche des Fußballs. 1972 endete das Finale der Europameisterschaft 3:1. 1990 brachte das deutsche Team bei der WM in Turin das Aus für die britische Mannschaft im Halbfinale. 2000 setzte der Deutsche Dietmar Hamann einen Freistoß aus über 30 Metern ins Tor. 2007 endete wieder ein Spiel mit einer Niederlage - diesmal mit einem 2:1 für Deutschland.

Annäherung durch die WM 2006 in Deutschland

Alte Ressentiments bedienend verkaufte ein holländischer Geschäftsmann noch vor der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Großbritannien Helme, die an alte deutsche Soldatenhelme erinnerten, und Hitler-Bärte zum Ankleben. Nach massiven Protesten wurden die Aktionen eingestellt. Selbst die Presse hielt sich im Vorfeld der in Deutschland ausgetragenen WM zurück. Während des Turniers hatte vor allem die jüngere britische Generation Gelegenheit, ein differenzierteres Bild von Deutschland zu bekommen.

Nach dem Ausscheiden der britischen Mannschaft 2006 sprach sich die konservative Zeitung "Daily Telegraph" für die Unterstützung der Deutschen aus. Die "Financial Times Deutschland" ließ über 400 englischsprachige Zeitungs- und Agenturberichte auswerten und fand am Ende freundliche Bewertungen. Der "Daily Telegraph" konstatierte schließlich: "Der Krieg ist vorbei".

Autor: Wolfgang Dick

Redaktion: Klaudia Prevezanos