Steuergeschenke
3. Juli 2011Allerdings gibt es Wörter, die an dem Platz, an dem sie immer wieder erscheinen, gar nichts zu suchen haben. Und da kann man Zeter und Mordio schreien, diese Hochstapler- und Scharlatan-Wörter machen sich einfach nicht davon. Nein, sie bleiben, wo sie sind, und tun weiter so, als wären sie zuständig.
Wort-Scharlatane
Mein Beispiel für heute lautet Steuergeschenke. Gerade jetzt tut das Wort wieder so, als sei es höchst zuständig und als hätte es alle Hände voll zu tun, um die aktuelle politische Diskussion zu organisieren. Steuergeschenke hier, Steuergeschenke da. Die einen, heißt es, seien dafür, aber nicht so richtig. Die anderen seien dagegen, wenngleich auch nicht so richtig. Und so weiter und so weiter.
Dabei gibt es gar keine Steuergeschenke. Verflixt und zugenäht! Gehen wir es kurz einmal durch: Die Steuern sind das Geld, das die Bürger aus ihrem Verdienst an die Gemeinschaft abführen, damit der Staat seinen Aufgaben nachkommen kann: Straßen bauen, Lehrer bezahlen, für die Armen sorgen etc. etc. Die Steuern gehören also allen; und in unser aller Auftrag verteilt und verwendet sie der Staat. Wenn nun dieser Staat in Gestalt seiner vom Volk gewählten Regierung beschließt, dass die Steuern anders verteilt oder aber weniger davon eingezogen werden sollen, dann wird hier niemandem ein Geschenk gemacht. Zum Geschenk würde gehören, dass jemand freiwillig und aus eigenem Antrieb auf einen Besitz verzichtet. Aber das ist hier nicht der Fall. Es würden bei einer Steuersenkung lediglich die Regeln dafür geändert, wie der Einzelne an den Aufgaben des Staates finanziell beteiligt wird. So wenig wie wir der Politesse den Zehner für das Strafmandat schenken oder der Kommune die Hundesteuer für unseren Bello, so wenig schenkt uns der Staat etwas, wenn die Regierung die Steuern senkt.
Dämonen-Metaphern
Dennoch ist das Wort Steuergeschenke vielbeschäftigt in aller Munde. Und wenn man es etwas anders betrachtet, dann hat das auch seinen Sinn. Denn obwohl hier gar nichts verschenkt wird, gibt dieses Wort dem traurigen Umstand Ausdruck, dass die meisten von uns sich dem Staat gegenüber fühlen wie ein Kind vor seinem strengen Vater. Statt uns als Partner, ja als Teil des Staates zu verstehen, glotzen wir ihn an wie einen Patriarchen, dessen Launen wir ausgeliefert sind. Verlangt er uns etwas ab, nennen wir es gleich einen Raub. Verlangt er etwas weniger, bezeichnen wir das als Geschenk.
Steuergeschenke ist ein Wort, an dem wir ablesen können, dass die Demokratie noch immer etwas relativ Neues in unserem Bewusstsein ist. Die Jahrhunderte, in denen wir vor dem Staat wie vor einem Dämon zitterten, und oft genug zu Recht, stecken uns in den Knochen und vor allem im Denken. Und deshalb kann Steuergeschenke, ein Wort ohne demokratische Approbation, noch immer so tun, als mache es einen anständigen Job. Dabei sollten wir es schnellstmöglich rausschmeißen.
Autor: Burkhard Spinnen
Redaktion: Gabriela Schaaf
Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).