1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sperma-Allergie: Wenn Sex zur Gefahr wird

Fabian Schmidt11. Mai 2016

Die Krankheit ist für die Patienten sehr belastend: Eine Allergie gegen das Sperma des Partners. Auch Männer können die Immunabwehr entwickeln - gegen das eigene Ejakulat. Was kann Betroffenen helfen?

https://p.dw.com/p/1IlcW
Spermien Spermatozoon Dunkelfeld-Aufnahme
Nicht die Spermien verursachen die Sperma-Allergie sondern andere Allergene im Ejakulat.Bild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Der Dermatologe und Allergologe Jean Pierre Allam kann sich noch gut an seine erste Sperma-Allergie-Patientin erinnern. "Sie hatte immer wieder allergische Reaktionen nach Geschlechtsverkehr", sagt der Oberarzt am Universitätsklinikum Bonn. Bei der Patientin traten Schwellungen und extremer Juckreiz im Vaginalbereich auf. Diese sogenannten "lokalen Reaktionen" treten etwa bei einem Drittel der Betroffenen auf.

Bei der größeren Zahl der betroffenen Frauen verlaufen die Symptome schwerer. Dann handelt es sich um "systemische Reaktionen", weil sie den ganzen Organismus betreffen. "Es kommt zu Rötung und Quaddelbildung an der Haut mit extremem Juckreiz, zu Atemnot und Schwindelanfällen und zu Stuhl- und Harndrang" beschreibt der Professor einen typischen Krankheitsverlauf. "Es kann bis hin zum anaphylaktischen Schock kommen, wo die Patientin bewusstlos wird und sogar versterben kann." Dies ist dann ähnlich wie bei einer schweren allergischen Reaktion nach einem Insektenstich durch etwa Bienen oder Wespen.

Prof. Dr. med. Jean-Pierre Allam Oberarzt, Allergologe und Dermatologe
Professor Jean-Pierre Allam lehrt an der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Uni Bonn.Bild: DW/ Fabian Schmidt

Die Krankheit ist kaum bekannt

Obwohl das Krankheitsbild erstmals 1958 von einem niederländischen Arzt beschrieben wurde, ist die Sperma-Allergie noch heute kaum bekannt. Das liegt einerseits daran, dass die in der Fachliteratur beschriebenen Fallzahlen sehr gering sind. Sie liegen um die 100. Genaue Statistiken gibt es nicht, aber Ärzte vermuten, dass in Industrieländern nur einer unter etwa 10.000 Menschen von dieser Allergieform betroffen ist.

Gründe dafür könnten sein, dass betroffene Frauen aus Scham nicht zum Arzt gehen - oder Ärzte die Symptome nicht als allergische Reaktion, sondern zunächst als Infektion deuten. Dabei ist die richtige Diagnose entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung.

Körpereigenes Eiweiß PSA als wichtigster Auslöser

Im männlichen Sperma gibt es verschiedene Substanzen, die eine Allergie auslösen können. In den allermeisten Fällen ist das ein körpereigenes Eiweiß: das Prostata-Spezifische-Antigen (PSA). Die Münchener Allergologen und Andrologen Stephan Weidinger und Michael Köhn haben dies 2005 erstmals veröffentlicht.

Viele Männer haben von PSA schon einmal gehört, weil Ärzte es als Biomarker nutzen, um über die Konzentration des Proteins im Blut einen Hinweis auf möglichen Prostatakrebs zu bekommen.

Aber PSA ist ein ganz natürliches Eiweiß in der Prostata jedes Mannes. Im Ejakulat dient PSA dazu, die Flüssigkeit und Beweglichkeit der Samenfäden zu gewährleisten. Nur so können die Spermien das weibliche Ei erreichen und erfolgreich befruchten.

Symbolbild Hund Gib fünf
Die PSA-Allergie wurde wahrscheinlich bei vielen Patientinnen durch eine Hunde-Allergie ausgelöst.Bild: Colourbox/san4art

Hunde- und Sperma-Allergie hängen zusammen

Anfangs konnten sich Ärzte nicht erklären, warum Patientinnen schon beim ersten Geschlechtsverkehr zum Teil heftige allergische Reaktionen zeigten. Eigentlich ist nämlich ein starker Ausschlag beim Erstkontakt mit einem Allergen eher ungewöhnlich.

Die wahrscheinliche Erklärung: Die Patientinnen hatten bereits eine ausgeprägte Allergie - allerdings gegen das PSA des Hundes, sagt Allergologe Allam: "Das humane PSA ist kreuzreaktiv zum PSA des Hundes. 70 Prozent der Hundeallergiker reagieren auf das PSA des Hundes. Sie reagieren auch nur auf männliche, nicht aber auf weibliche Hunde."

Das Hunde-PSA gelangt also wahrscheinlich über den Urin in Spuren auf das Fell des Hundes. Von dort wird es auf den Menschen übertragen, wo es Allergien auslöst. Die betroffenen Allergiker können dann mit der Zeit auch eine Allergie gegen das PSA des Menschen entwickeln.

Auch Nahrungsmittel-Spuren können Sperma-Allergien auslösen

Eine andere Form der Sperma-Allergie steht in Verbindung mit vorhandenen Lebensmittel-Allergien. So gab es einen Fall, in dem eine Frau mit einer Paranuss-Allergie eine schwere allergische Reaktion zeigte, weil ihr Partner einige Stunden vor dem Geschlechtsverkehr Paranüsse verzehrt hatte. "Der Partner hatte sich noch die Zähne geputzt und Hände gewaschen, weil er ja wusste, dass seine Partnerin dagegen allergisch ist," beschreibt Allam den in der Literatur dokumentierten Fall. Die Patientin erkrankte dennoch mit starker Hautrötung und Quaddel-Bildung der Haut und im Vaginal-Bereich.

Allergie gegen die eigenen Eiweiße

Auch bei Männern gibt es die Sperma-Allergie. Allerdings ist das als Post Orgasmic Illness Syndrome (POIS) bekannte Krankheitsbild noch nicht sehr gut erforscht. "Die Symptome, von denen die Patienten berichten, sind nicht unbedingt typisch für eine Allergie", sagt Oberarzt Allam. "Das sind Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und grippeähnliche Symptome die zwei bis sieben Tage nach einer Ejakulation anhalten."

Dennoch gehen die Mediziner davon aus, dass es sich um eine allergische Reaktion handeln könnte. Durch sogenannte Pricktests, bei denen die vermuteten Allergene auf den Arm des Patienten aufgebracht werden, konnte bewiesen werden, dass viele der von POIS betroffenen Männer auf ihr eigenes Ejakulat allergisch reagierten.

Als soziale Folge dieser besonderen Form einer "autoimmunen Reaktion" versuchen viele Patienten, einen Orgasmus zu vermeiden oder sich sexuell zu enthalten.

17.04.2013 DW FIT UND GESUND Hyposensibilisierung
Durch einen Pricktest lässt sich die PSA-Allergie nachweisen.

Kondome oder Antihistaminika

Für betroffene Frauen, die keinen Kinderwunsch haben, ist die beste Lösung derzeit, wenn die Partner Kondome benutzen, sagt Allam. Damit wird eine allergische Reaktion weitgehend ausgeschlossen.

Möchten die betroffenen Frauen indes Kinder bekommen, haben sie drei Möglichkeiten: Sie können - wenn die Symptome nur lokal auftreten und nicht den ganzen Organismus betreffen - Antihistaminika benutzen. Das sind allergieunterdrückende Medikamente.

Kommt das nicht infrage, haben sie die Möglichkeit sich zu desensibilisieren. "Dabei wird das Allergen zunächst in ganz kleinen und dann relativ schnell in immer höheren Mengen in die Scheide einführt, so dass sich das Immunsystem an diese Substanz gewöhnt", sagt Allam. "So entsteht eine Toleranz."

Der einzige Nachteil: Die Desensibilisierung funktioniert nur, wenn das Allergen daraufhin in relativ kurzen Abständen immer wieder zugeführt wird. "Um die Toleranz aufrechtzuerhalten, muss dass Paar alle drei Tage Geschlechtsverkehr haben. Wenn dieses Zeitfenster überschritten wird, kann es zum Zusammenbruch der Toleranz kommen und dann zum Wiederauftreten der Symptome", sagt der Allergologe.

Derzeit wird daran geforscht, ob sich dieses Ziel auch medikamentös erreichen lässt - etwa durch ein PSA-haltiges Medikament. Eine Hyposensibilisierung die langfristig wirken würde, gibt es für die Sperma-Allergie derzeit noch nicht und ist auch nicht absehbar. Sie ist zum Beispiel bei Heuschnupfen-Allergikern erfolgreich.

Letzter Ausweg: Künstliche Befruchtung

Die dritte Möglichkeit, die Frauen haben, ist eine künstliche Befruchtung. Dazu werden die Spermien in verschiedenen Schritten vom PSA befreit, isoliert und dann in eine Eizelle eingesetzt. In Deutschland zahlt - bei nachgewiesener Allergie - dann wahrscheinlich sogar die Krankenkasse die Kosten der Behandlung.