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Coup in Kandahar

14. Juni 2008

In Kandahar befreiten Taliban-Kämpfer hunderte Gesinnungsgenossen aus dem Gefängnis. Die spektakuläre Aktion zeigt einmal mehr, wie weit Afghanistan von annähernd "normalen" Verhältnissen entfernt ist.

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AP Photo/Allauddin Khan
Der schwer beschädigte Eingangsbereich des Gefängnisses in KandaharBild: AP

Taliban-Kämpfer haben am Freitagabend (14.06.2008) bei einem Angriff auf das größte Gefängnis in Südafghanistan etwa 870 Häftlinge befreit. Darunter sind nach Angaben der radikal-islamischen Aufständischen rund 400 ihrer Gesinnungsgenossen. Die Behörden in der Stadt Kandahar, wo sich die Aktion abspielte, beklagen den Tod von mindestens 15 Beamten. Zudem starben sieben Häftlinge.

Die Befreiungsaktion war laut einem Taliban-Sprecher zwei Monate lang geplant worden. Zunächst explodierte ein mit Sprengstoff beladener Tanklaster vor dem Haupttor des Sarpossa-Gefängnisses in Kandahar. Anschließend bombte ein Selbstmordattentäter ein Loch in die rückwärtige Seite des Gebäudes. Rund 30 Taliban-Kämpfer stürmten dann auf Motorrädern die Haftanstalt. Trotz heftiger Feuergefechte mit dem Wachpersonal konnten die Häftlinge befreit und in Minibussen weggefahren werden.

Erfolglose Suche

Unter den Häftlingen sind laut Wali Karsai, dem Präsidenten des Provinzrats von Kandahar, auch viele Taliban, die von der Polizei kurz vor Selbstmordattentaten gestellt werden konnten. Die von afghanischen und ausländischen Soldaten gestartete Suche nach den Entflohenen blieb bislang erfolglos.

dpa
Das Sarpossa-Gefängnis - auch ein Ort der Demütigung von InsassenBild: picture-alliance / dpa

Möglicherweise reagierten die Aufständischen mit der Befreiungsaktion auch auf objektiv zweifelhafte Zustände im Sarpossa-Gefängnis. Erst Anfang Mai waren dort rund 200 Insassen für mindestens sechs Tage in einen Hungerstreik getreten. Wie die Unabhängige Menschenrechtskommission Afghanistans damals mitteilte, wollten die mutmaßlichen Taliban unter anderem erreichen, dass ihnen während der Ermittlungen Anwälte zur Seite gestellt würden. Auch hätten einige Häftlinge von Folterungen berichtet.

Hilfe von Beamten?

Die Behörden schließen nicht aus, dass Beamte oder Angehörige des Gefängnispersonals den Taliban-Kämpfern geholfen haben könnten. Dies würde gerade in Kandahar nicht verwundern. Die südafghanische Stadt galt lange als unangefochtene Hochburg der radikal-islamischen Kräfte. Der aus der gleichnamigen Provinz Kandahar stammende Taliban-Anführer Mullah Mohammed Omar herrschte von dort aus zwischen 1996 und 2001 über fast

ganz Afghanistan. Auch El-Kaida-Chef Osama bin Laden soll längere Zeit in der Stadt gelebt haben. In Kandahar und anderen südlichen Provinzen gibt es die meisten Anschläge und Attacken der Aufständischen und entsprechend die härtesten Gegenschläge der einheimischen und US-geführten NATO-Truppen.

Erst am Donnerstag hatte Afghanistan auf einer internationalen Geberkonferenz in Paris weitere Milliardensummen zugesagt bekommen Präsident Hamid Karsai versprach, die Mittel vor allem auch zur Eindämmung der Gewalt im Land zu verwenden. Die Taliban-Aktion einen Tag später macht einmal mehr deutlich, wie meilenweit Afghanistan von annähernd "normalen" Verhältnissen noch entfernt ist. (sti)