SPD trotz geringer Verluste Wahlsieger in Berlin
19. September 2011Strahlend stand er neben seinem Lebensgefährten und ließ sich bejubeln: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat laut vorläufigem amtlichen Endergebnis die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin am Sonntag (18.09.2011) ganz klar für sich und seine SPD entschieden. Während Wowereit seine Wiederwahl feierte, begannen die Spekulationen um seinen nächsten Koalitionspartner: Denn das derzeitige Bündnis von SPD und Linkspartei hat seine Mehrheit verloren.
Der Regierende Bürgermeister sagte im Interview mit dem Fernsehsender ZDF zwar, er favorisiere ein Bündnis mit den Grünen. Zusammen würden SPD und Grüne über eine knappe Mehrheit von drei Sitzen verfügen. Doch auch eine große Koalition aus den beiden stärksten Parteien SPD und CDU ist möglich. Dann hätte Wowereit eine größere Mehrheit im Parlament.
22 Parteien waren ins Rennen um das Berliner Abgeordnetenhaus gegangen, fünf ziehen nun ins Parlament ein: Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis verteilen sich die Stimmen bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin wie folgt: Die SPD kommt auf 28,3 Prozent, die CDU ist zweitstärkste Kraft mit 23,4 Prozent. Dahinter liegen die Grünen mit 17,6 Prozent, die Linke mit 11,7, die Piratenpartei mit 8,9 und FDP mit 1,8 Prozent. Damit ist die FDP an der Fünf-Prozent Hürde gescheitert, die Parteien nehmen müssen, um ins Parlament einzuziehen.
Proteststimmen verhelfen den Piraten ins Parlament
Die Piratenpartei, die vor allem für mehr Freiheit im Internet wirbt, zieht zum ersten Mal in ein Landesparlament in Deutschland ein. Wahlforscher sind der Ansicht, dass die Piraten ihr gutes Abschneiden wohl vor allem der Unzufriedenheit vieler Wähler mit den etablierten Parteien verdanken: Nur zehn Prozent hätten demnach die Piraten wegen ihrer Inhalte gewählt, der Rest aus Protest. Bundesvorsitzender Sebastian Nerz gab sich am Sonntagabend im Interview kämpferisch: "Ich glaube, dass wir Chancen haben, 2013 in den Bundestag zu kommen", sagte er mit Blick auf die nächste gesamtdeutsche Wahl.
Die Grünen hatten sich im Vorfeld der Wahl lange Zeit Hoffnung gemacht, die Wahl für sich entscheiden zu können. Grund dafür waren die exzellenten Umfragewerte der Spitzenkandidatin Renate Künast zu Beginn des Wahlkampfes. Zwar fuhren die Grünen nun ihr bisher bestes Ergebnis in Berlin ein, werden sich aber mit der Rolle des Juniorpartners der SPD begnügen müssen - oder in der Opposition sitzen. "Wir wissen ja, wir haben noch mehr gewollt", räumte eine enttäuschte Künast am Sonntagabend ein. Sie hatte im Vorfeld erklärt, sich im Falle einer Wahlniederlage auf die Bundespolitik zu konzentrieren.
Erste Rücktrittsforderungen bei der FDP
Das schlechte Abschneiden der Berliner FDP sei auch eine "Niederlage für die FDP insgesamt", so FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin. Er wertete das Ergebnis als einen Tiefpunkt - und zugleich einen Weckruf für die Partei. Es müsse nun eine "Phase der Nachdenklichkeit" folgen. Trotzdem werde die FDP an ihrem Kurs in der europäischen Schuldenkrise festhalten. Dieser war in den letzten Monaten immer wieder in die Kritik geraten.
Andere Parteimitglieder forderten jedoch erste Konsequenzen: FDP-Fraktionsvize Sebastian Czaja forderte den Landesvorsitzenden Christoph Meyer zum Rücktritt auf. Czaja sagte der Berliner Zeitung "Tagesspiegel", die FDP brauche eine "vollständige Erneuerung, die völlige Rückbesinnung auf den verloren gegangenen Wähler und eine umfassende Neupositionierung der FDP".
Belastungsprobe für Bundeskoalition
Das schlechte Wahlergebnis der FDP werde vermutlich die Koalition von FDP und CDU, die Deutschland regiert, auf die Probe stellen, glauben Beobachter. Allerdings gilt als unwahrscheinlich, dass es zum Bruch der Koalition kommt. Vielmehr würde die Koalition durch die mögliche Annäherung von SPD und Grünen mehr denn je zusammenwachsen.
Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 60 Prozent leicht über dem Wert von 2006 (58,0). Zur Wahl aufgerufen waren 2,47 Millionen Bürger. Sie entschieden über die Verteilung von mindestens 130 Sitzen im Landesparlament der Hauptstadt. Wählen durften auch Bürger der Europäischen Union, die in Berlin leben.
Große Probleme für die nächste Berliner Koalition
Bei der vergangenen Wahl im Jahr 2006 landete die SPD mit 30,8 Prozent deutlich vor der CDU, die auf 21,3 Prozent kam. Die Linke erhielt 13,4 Prozent, die Grünen lagen mit 13,1 Prozent knapp dahinter auf dem vierten Platz. Die FDP erreichte 7,8 Prozent.
Die neue Koalition wird mit großen Problemen konfrontiert: Das Land Berlin hat mit 13,3 Prozent die höchste Arbeitslosenrate in Deutschland. Außerdem leben dort auch die meisten Hartz-IV-Empfänger, also Menschen, die von Sozialhilfe leben. Gleichzeitig steigen die Mieten. Zuletzt machten Bilder von brutalen Überfällen in U-Bahnhöfen und von brennenden Autos die Runde. Ob Wowereits SPD nun mit den Grünen oder der CDU koaliert - regiert werden muss mit ziemlich leeren Kassen: Berlin ist mit knapp 64 Milliarden Euro verschuldet.
Autorin: Naomi Conrad (afp, dapd, dpa)
Redaktion: Dirk Eckert