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Spanien: Die Pfeifsprache "El Silbo" auf La Gomera

Susanne Henn (August 2007)

Bergiges Gelände, tiefe Schluchten und kein Telefon zur Hand? Wie verständigt man sich über lange Strecken, wenn selbst laute Rufe verhallen? Durch Pfeifen zum Beispiel!

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Isidro Ortiz hält zum Pfeifen beide Hände vor den Mund
Silbo-Lehrer Isidro OrtizBild: Susanne Henn/DW

Die Bevölkerung der spanischen Kanareninsel La Gomera hat bereits vor mehreren hundert Jahren aus der Not eine Tugend gemacht und eine Pfeifsprache entwickelt, die einzigartig ist innerhalb der EU. 'El Silbo' heißt sie, vom Verb 'silbar' - pfeifen. Heute wird El Silbo nur noch selten für die tägliche Kommunikation genutzt, dafür aber als wichtiges Kulturgut gehegt und gepflegt.

Pfeifsprache seit 1999 Pflicht-Schulfach

"Du musst deine Finger krümmen, in den Mund stecken, die Zunge mit der Fingerkuppe runterdrücken und dann pusten!" Die 14-jährige Maria pfeift und erklärt, wie es geht. Ich treffe sie im Bergdorf Hermigua auf La Gomera. Auf dem großen Sportplatz der örtlichen Schule stehen rund 500 Schulkinder zwischen 6 und 14 Jahren. Sie sind aus allen Ecken der Insel angereist, denn es ist wieder Zeit für das jährliche Silbo-Treffen.

Schüler und Lehrer auf einem Sportplatz
El Silbo Schultreffen auf La GomeraBild: Susanne Henn/DW

"Hätte es die Initiative der Kanarischen Regierung nicht gegeben, die Pfeifsprache als Pflichtfach in der Schule einzuführen, könnten es heute nur sehr alte Menschen sprechen. Heute sind es diese alten Menschen und die ganz Jungen, die pfeifen und sich auf La Gomera mit Silbo verständigen", sagt José Zenón Ruano, vom Bildungsministerium der kanarischen Inseln. Seit 1999 ist Silbo Pflichtfach an den Grundschulen La Gomeras.

Import afrikanischer Berber?

Karte von La Gomera
Bild: AP Graphics/DW

Ursprünglich brachten vermutlich afrikanische Berber die Pfiffe mit auf die zerklüftete Berginsel. Im 15. Jahrhundert dann zwangen die spanischen Eroberer den Insulanern ihre Sprache auf; das heutige Silbo ist eine Art vertontes Spanisch. Die Pfiffe sind kilometerweit zu hören. So konnten sich früher zum Beispiel einsame Hirten und Landbauern unterhalten, ohne lange Wege zurück zu legen. Zur Verständigung dienen ansteigende oder absteigende Töne, Triller und Pausen.

Tiefe Schluchten müssen beim Silbo-Schulfest natürlich nicht mit Pfeifen überbrückt werden. Es gibt ein paar offizielle Ansprachen, Politiker sind gekommen und natürlich die Silbo-Lehrer. Je nach Altersgruppe bekommen die Schüler Aufgaben gestellt, die Kleinsten pfeifen einfache Sätze, die älteren müssen über die gesamte Länge des Sportplatzes kommunizieren. Zum Schluss gibt es noch einen traditionellen Tanz unter der Mittagssonne. Die Gomerer sind stolz auf ihr kulturelles Erbe. Maria Esther Hernández vom kanarischen Bildungsministerium erklärt, dass die verschiedenen Silbo-Projekte etwa 100.000 Euro im Jahr kosten: "Eine weitere Maßnahme, um Silbo zu erhalten, ist ein Kurs für Lehrer, den wir vor kurzem auf die Beine gestellt haben, damit wir auch in Zukunft Lehrer oder Sprachassistenten haben, die Silbo unterrichten können."

Pfeifer im Bürgerkrieg als Spione benutzt

Lehrer stehen mit Händen an den Mündern in einer Reihe
Lehrer üben das PfeifenBild: Susanne Henn/DW

Natürlich kann nur eine begrenzte Anzahl von Vokalen und Konsonanten dargestellt werden. Silbo zu verstehen, ist daher meist etwas schwieriger, als die Pfiffe zu produzieren. Nach dem Ausschlussprinzip lässt sich aber schnell entscheiden, was gemeint ist, sagt Mai Felipe Martin, die an der Lehrerfortbildung teilnimmt. "Als Kind fiel es mir schon leicht, Silbo zu verstehen. Ich glaube, dass ich eine sehr gute Empfängerin bin, aber ich wollte auch Senderin werden. Es war also meine persönliche Herausforderung, das Pfeifen zu lernen." Ein wenig hapert es noch an der Umsetzung. Deshalb liegt die Verantwortung für den Unterricht zur Zeit noch bei einigen wenigen älteren Männer.

Silbo-Lehrer Isidro Ortiz ist mit der Sprache aufgewachsen und erzählt von früher: "Wenn manche Einwohner von La Gomera von der Guardia Civil verfolgt wurden, riefen sie schnell auf Silbo: 'Pass auf, hier kommt die Guardia Civil und sucht dich! Versteck dich!'" Im spanischen Bürgerkrieg von 1936-39 wurden talentierte Pfeifer von beiden Seiten für die Nachrichtenübermittlung eingesetzt. Oft wurde die Pfeifsprache zum Widerstand gegen die Autoritäten genutzt, das galt auch noch zu Zeiten der Franco-Diktatur.

Ein Lehrer steht vor einer Schulklasse an der Tafel
Auf La Gomera pfeifen die Schüler nicht auf den Unterricht, sondern im UnterrichtBild: Susanne Henn/DW

Später bedrohte dann die Verbreitung des Telefons auf La Gomera die Pfeifkunst. Doch diese Gefahr scheint nun gebannt, sagt auch der Leiter der Kulturabteilung der Insel, Moisés Plasencia: "Im Jahr 2008, da bin ich mir sicher, wird die Generalversammlung der UNESCO dem Silbo Gomero den Titel 'Kulturerbe der Menschheit' verleihen." Die Bewerbung in der Kategorie 'Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes' bei der UNESCO läuft noch. Und Isidro Ortiz erklärt mit großväterlichem Stolz am Ende des Silbo-Schultreffens: "Mein Alter? 76! Und ich denke nicht daran, in Rente zu gehen, gerade jetzt, wo ich so viel zu tun habe!" sagt's und pfeift ein "Adios!" hinterher.