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Späte Gerechtigkeit

31. August 2009

Die Regierung in Bangladesch will die mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus dem Unabhängigkeitskrieg vor Gericht stellen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für ein Kriegsverbrechertribunal. Doch noch gibt es Hindernisse.

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Am Unabhängigkeitstag wird jedes Jahr des Staatsgründers Rahman gedacht.Bild: AP

38 Jahre ist es her, dass Bangladesch unabhängig wurde. In einem blutigen Bürgerkrieg löste sich das ehemalige Westpakistan von Islamabad. 38 Jahre lang blieben die Verbrechen des Krieges ungesühnt. Jetzt droht das Ende der Straflosigkeit. Ein Sondergericht soll über die Kollaborateure von damals urteilen, also diejenigen, die mit der westpakistanischen Armee gemeinsame Sache machten.

Mujibur Rahman
Der erste Präsident Mujibur Rahman wurde 1975 ermordet.Bild: picture-alliance / dpa

Nach Regierungsangaben starben damals drei Millionen Bengalen in neun Monaten. Doch eine Generalamnestie kurz nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges führte dazu, dass bis heute keiner für den Massenmord zur Rechenschaft gezogen wurde. Nichts spaltet das junge Land so sehr wie die ausgebliebene Strafverfolgung der Kollaborateure von 1971.

Erhebliche Widerstände

Acht Monate nach ihrem überwältigenden Wahlerfolg gibt die Regierung der Awami League unter Premierministerin Sheikh Hasina nun öffentlich zu: Es gibt erhebliche Widerstände gegen ein Kriegsverbrechertribunal. Vor allem aus dem ehemaligen Mutterland Pakistan. Dort befürchtet man, dass Bangladesch auch die Angehörigen der ehemaligen westpakistanischen Armee vor Gericht stellen wird. Auch Saudi-Arabien hat sich gegen ein Kriegsverbrecher-Sondergericht ausgesprochen. Der Golfstaat ist der wichtigste Financier Bangladeschs. Außerdem arbeiten zwei Millionen Bangladescher in Saudi-Arabien als Gastarbeiter.

Abrechnung mit den Gegnern der Unabhängigkeit?

Matiur Rahman Nizami
Der Oppositionsführer Matiour Rahman Nizami soll selbst in Kriegsverbrechen verstrickt sein.Bild: Mustafiz Mamun

In Bangladesch selbst macht vor allem die islamische Partei Jamaat-i-Islami Front gegen das Tribunal. Denn nahezu die gesamte Führungsriege der Jamaat-i-Islami, Bangladeschs größter islamischer Partei, wird auf der Anklagebank sitzen. Die Partei stand damals an der Seite des islamischen Pakistan. Sie sprechen von einer politischen Abrechnung mit den Gegnern der Unabhängigkeit. Die Befürworter eines Tribunals bezichtigen dagegen den heutigen Chef der Jamaat-i-Islami, Motiur Rahman Nizami, er sei Anführer eines Todeskommandos gewesen. Alle anderen politischen Parteien fordern ein Kriegsverbrechertribunal, manche sogar ein Verbot der Jamaat. Doch niemand hier will so richtig glauben, dass eine Verurteilung noch möglich ist. Es gibt kaum Dokumente aus der Zeit, die individuelle Schuld belegen. Erhalten sind zwar feurige Aufrufe des heutigen Jamaat-Chefs aus der damaligen Parteizeitung. Darin fordert er die Bangladescher auf, sich dem berüchtigten Todeskommando Al Baldr anzuschließen. Doch ob sie vor Gericht ausreichen, ist zweifelhaft. Nach 38 Jahren wird sich die Strafverfolgung wohl ausschließlich auf Augenzeugenberichte stützen müssen. Im Westen befürchten viele eine Radikalisierung der Jamaat-Anhänger, sollte Rahman im Gefängnis landen.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Sheikh Hasina, Leiterin "Awami League"
Premierministerin Sheikh Hasina ist die Tochter des Staatsgründers.Bild: Mustafiz Mamun

Doch niemand hält einen glaubwürdigen Prozess in Bangladesch für möglich: Jahrzehntelang waren Bangladeschs Richter käuflich, ein Freispruch eine Frage des Preises. "Die Regierung weiß, dass das Tribunal ohne internationale Anerkennung keine Glaubwürdigkeit besitzt. Ich glaube, man hat begriffen, dass dies Zeit erfordert", sagt Imtiaz Ahmed, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Dhaka. Premierministerin Sheikh Hasina dürfte allerdings auch persönliche Gründe haben, wenn sie möchte, dass das Tribunal bald seine Arbeit aufnimmt. Sie ist die Tochter des ersten Präsidenten Sheikh Mujibur Rahman. 1975 wurden er und 15 weitere Familienangehörige in einem Militärputsch ermordet. Sheikh Hasina selbst befand sich damals in Deutschland. Experten rechnen damit, dass ein Gericht im Oktober den Einspruch der für den Tod ihres Vaters Verurteilten abschmettern wird. "Danach gibt es keine Entschuldigungen mehr", sagt Imtiaz Ahmed.

Autor: Tom-Felix Jöhnk

Redaktion: Mathias Bölinger