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Sozialist führt EU-Parlament

Bernd Riegert/ali20. Juli 2004

Erstmals seit zehn Jahren steht ein Sozialdemokrat an der Spitze des Europäischen Parlaments. Auf ihrer konstituierenden Sitzung wählten die Abgeordneten den Spanier Josep Borrell zu ihrem Präsidenten.

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Borrell sagt "Danke für die Blumen"Bild: AP


Der 57-jährige Sozialist wurde nicht nur von seiner eigenen Fraktion unterstützt, sondern auch von den meisten Abgeordneten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Nach seiner Wahl sagte Borrell, die deutliche Mehrheit "bietet Stabilität für unser Organ".

Auf den Spanier, der im Juni erstmals ins Europaparlament gewählt worden war, entfielen 388 der 647 abgegebenen gültigen Stimmen. Gegen Borrell kandidierte der frühere polnische Außenminister Bronislaw Geremek für die Liberalen. Er kam auf 208 Stimmen. Für den französischen Kommunisten Francis Wurz als Kandidat der Vereinigten Linken stimmten 51 Abgeordnete.

Einsatz für EU-Verfassung

In seiner Amtszeit wolle er sich vor allem dafür einsetzen, dass das Parlament den Ratifizierungsprozess der europäischen Verfassung erfolgreich begleite, sagte Borrell. Dies gelte besonders für die Länder, in denen ein Referendum geplant sei. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Verfassungsdebatte nicht abrutscht in ein reines Abstrafen der Regierungen", sagte Borrell. Scheitere die Verfassung, wäre Europa lediglich ein Binnenmarkt. "Das reicht nicht für Europa, das reicht nicht für die Welt."

Die beiden stärksten Fraktionen im Parlament, die EVP mit 268 Abgeordneten und die Sozialdemokraten (SPE) mit 200, hatten in der Woche vor der Abstimmung eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach beide Borrell wählen wollten. Der Spanier wird dem Parlament die ersten zweieinhalb Jahre der Legislaturperiode vorstehen.

Posten wird geteilt

In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode soll ein Kandidat der Konservativen das Amt des Parlamentspräsidenten übernehmen. Für das Amt vorgesehen ist der jetzige EVP-Fraktionschef Hans-Gert Pöttering aus Deutschland. Der CDU-Politiker verteidigte die Absprache mit den Worten: "Wir brauchen Stabilität in den europäischen Institutionen." In diesem Sinne appellierte er an die Abgeordneten, für den konservativen portugiesischen Politiker José Manuel Barroso zu stimmen, der für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten kandidiert.


Pöttering verwies darauf, dass die Präsidentschaft des Parlaments traditionell zwischen zwei Fraktionen in der Legislaturperiode geteilt wird. Das war bereits 1979 so, als nach der ersten Direktwahl zum Europaparlament die liberale Französin Simone Weill das Amt übernahm. Ihr folgte der Sozialdemokrat Piet Dankert aus den Niederlanden.

Vorgänger Josep Borrells war der liberale Ire Pat Cox, der sich die vergangene Legislaturperiode mit der konservativen Französin Nicole Fontaine teilte. Die liberale Fraktion kritisiert die Absprache zwischen Konservaten und Sozialisten am schärfsten, was nicht verwundert, da die Liberalen im Gegensatz zu 1999 diesmal beim Postenverteilen außen vor bleiben.

Borrell ist EU-Neuling

Anders als Pat Cox, der vor allem wegen seiner Fähigkeit gelobt wurde, das Parlament nach außen hin darzustellen, ist der spanische Kandidat kein langgedienter Europa-Abgeordneter. Er wurde im Juni zum ersten Mal ins Parlament gewählt und ist gleich an die Spitze durchgestartet. Allerdings hat der 1947 in den katalanischen Pyrenäen geborene Politiker langjährige Erfahrung als spanischer Minister und Parlamentsabgeordneter. Außerdem vertrat der aus einer armen Bäckerfamilie stammende gelernte Ingenieur Spanien im europäischen Verfassungskonvent.

Als neuem Parlamentspräsidenten fällt Josep Borrell die Aufgabe zu, für ein Abgeordnetenstatut zu sorgen, das die in Deutschland heftig kritisierten Diäten und Reisekostenerstattungen der Parlamentarier neu regelt. Diesen Versuch hatte auch Vorgänger Pat Cox unternommen, er war im Frühjahr aber am Einspruch der zuständigen Außenminister im EU-Ministerrat gescheitert.