Soundkasten im Kasten
14. März 2005
Die Neue Nationalgalerie von Mies van der Rohe in Berlin ist ein durchlässiger Raum, dessen verglaste Metallstruktur dem Passanten erlaubt, die ausgestellten Gegenstände von außen zu sehen, und dem Museumsbesucher ermöglicht, die Straßenszenen in die Betrachtung von Kunstwerken zu integrieren. Für diesen Raum hat der deutsche bildende Künstler und Musiker Carsten Nicolai die Klang- und Lichtinstallation "syn chron" geschaffen: einen betretbaren Resonanzkörper in Kristallform, dessen Oberfläche Träger akustischer und optischer Ereignisse ist. Das Werk ist im Rahmen des Projekts "Musikwerke Bildender Künstler" entstanden, einer gemeinsamen Initiative der Neuen Nationalgalerie und des Vereins Freunde Guter Musik, und gehört zum Programm des diesjährigen "Märzmusik"-Festivals für aktuelle Musik.
Kristall in Schwingung
Nikolais minimalistische, mit einfachen Rhythmen und Wiederholungsmustern komponierte Musik läuft durch Lautsprecher, die an der Oberfläche des Resonanzraums angebracht sind und sie zum Schwingen bringen. Der Klang generiert die vom Laser projizierten Lichtmodulationen, welche durch elementare Muster eine hypnotische Wirkung haben. Die Komposition verändert sich im Laufe des Tages und sieht unterschiedliche Tages- und Nachtezustände vor.
Der 1965 in Chemnitz geborene Künstler benutzt akustische Phänomene und Apparate als Ausgangspunkt seiner plastischen Arbeiten. "Im Kunstkontext denke ich nicht musikalisch", sagte Nicolai kürzlich in einem Interview in der tageszeitung. "Da geht es oft um Dinge, die sich allein über den Sound erschließen, ohne irgendeine Melodie oder einen Rhythmus. Dazu gehört die Forschung, was Klang mit uns macht und was wir mit Klang machen können. Kann ich aus Sound Bilder generieren? Kann ich damit ein Kraftwerk bauen? Kann ich damit Wäsche waschen? Solche Fragen lassen sich in der Kunst viel einfacher darstellen als in der Musik, das hat schon Künstler wie Nam June Paik oder Gary Hill in den 1960er Jahren beschäftigt".
Ohne sich auf strikte "Sound Art" zu beschränken, experimentiert Carsten Nicolai − von dem bis zum 28. März auch die Ausstellung Anti Reflex in der Frankfurter Schirn Kunsthalle zu sehen ist − mit der Schnittstelle zwischen visueller und akustischer Wahrnehmung. Seine formal reduzierten Gegenstände, die technisch längst nicht so aufwendig wie die Installation "syn chron" sind, suchen nach Möglichkeiten, Klang- und Lichtfrequenzen zu wahrnehmbaren Ereignissen zu machen und den ästhetischen Mehrwert des Rauschens wieder zu entdecken.
Musik, kein Zufall
Nicht nur der technische Aufwand dieser Installation, die in Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Architekten entwickelt worden ist, sondern auch das Bestreben Nicolais, das Rauschen zu "komponieren", weisen auf eine zunehmende Künstlichkeit in seiner Arbeitsweise. In früheren, bescheideneren Werken, die sich noch mit dem Aufzeigen eines Prinzips und der Verwendung von Low-Tech zufrieden gaben, zeigte der Künstler prägnant und mit geringen Mitteln, dass bloße akustische und visuelle Interferenzen auch ästhetisch wahrzunehmen sind.
In der Installation "syn chron" wird Sound jedoch wie Musik komponiert und verliert dabei die Beiläufigkeit, die den Betrachter und Hörer dazu bewegen kann, am alltäglichen Lärm zufällige Formen zu erkennen. Das gilt auch für die Abgrenzung eines Hörraums innerhalb einer so durchlässigen Halle wie die obere Etage der Neuen Nationalgalerie: Wegen der Konstruiertheit lässt die Komposition Nicolais der freien Wahrnehmung weniger Spielraum als die alltägliche Sound- und Lichteffekte, denen der Besucher des Mies-van-der-Rohe-Baus automatisch ausgesetzt ist.
Carsten Nicolais "syn chron" ist bis zum 3. April in der Neuen Nationalgalerie zu sehen und zu hören.