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Sophie Scholl und der Aufstand der Jugend

21. Februar 2023

Die Nazis glaubten, die Jugend im Griff zu haben. Doch Sophie Scholl wollte sich ihnen nicht beugen und trat der Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose" bei. Vor 80 Jahren wurden sie und ihr Bruder Hans Scholl hingerichtet.

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Blick auf ein Denkmal der "Weißen Rose", das Flugblätter zeigt und in den Boden eingelassen ist. Auf dem Denkmal liegt eine Rose.
Vor dem Eingang der Ludwig-Maximilians-Universität in München sind die Flugblätter der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" als Denkmal in den Boden eingelassenBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Jungmädel wollen wir sein. / Klare Augen wollen wir haben / Und tätige Hände. / Stark und stolz wollen wir werden: / Zu gerade, um Streber und Duckmäuser zu sein, / zu aufrichtig, um etwas scheinen zu wollen, / (…) zu trotzig, um feige zu sein.

Wir schreiben das Jahr 1934. Eine Gruppe von Mädchen gibt auf der Ulmer Gänswiese ein Gelöbnis ab, Sophie Scholl ist eines von ihnen und kriegt ihr schwarzes Halstuch um die Brust gehängt. Sie ist jetzt in die Jungmädelschaft aufgenommen, einer Organisation der Nationalsozialisten für Mädchen. Nur drei Jahre später wird sie zusammen mit ihrem Bruder Werner in einer Uniform der Hitlerjugend (HJ) in der Ulmer Paulskirche konfirmiert. Diese Beispiele werden oft als Beleg dafür angeführt, dass Sophie Scholl, Mitglied der Studentengruppe "Die weiße Rose" und Symbolfigur für den Widerstand gegen die NS-Diktatur, ursprünglich Sympathien für das Regime gehegt haben soll.

Sophie Scholl las Rilke am Lagerfeuer

Der Sophie-Scholl-Experte Werner Milstein sieht das differenziert: "Für Sophie Scholl war die Jungmädelschaft und später der Bund Deutscher Mädel sehr attraktiv, denn dort konnte sie das machen, was sie wollte: in der Natur sein, auf Bäume klettern. Das war es, was sie interessierte: am Lagerfeuer sitzen. Und was machte sie dabei? Sie las Rilke, und das passte nun überhaupt nicht mehr mit der NS-Ideologie zusammen", sagt er. "Deswegen weiß ich nicht, wie fanatisch sie tatsächlich war, da bin ich etwas zurückhaltender." Über die Höhen und Tiefen, Offenbarungen und Geheimnisse der jungen Frau und welche Rolle die Jugend in der NS-Zeit spielte, hat er ein Buch geschrieben, das Sophie Scholls Leben sehr facettenreich schildert.

Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel bei Jugendlichen beliebt

Sophie Scholl wird am 9. Mai 1921 im baden-württembergischen Forchtenberg geboren. Sie wächst mit vier Geschwistern in einem politisch liberalen und christlich geprägten Elternhaus auf. Sie verbringt gerne Zeit in der Natur, liest viel und malt für ihr Leben gern. Ihre Kindheit spielt sich vor allem in Ulm ab, wo ihr Vater als Steuerberater tätig ist. Die neuen Machthaber lehnen die Eltern Scholl ab, umso verärgerter sind sie, als ihre Kinder so begeistert vom Nationalsozialismus sprechen und sogar führende Positionen in den Jugendorganisationen übernehmen.

Für die Jugendlichen von damals bedeutet die Mitgliedschaft Eigenverantwortung, Aufmerksamkeit, Unabhängigkeit und Abgrenzung vom Elternhaus, obwohl in den Jugendorganisationen der Nazis eigentlich eiserne Disziplin und Gehorsamkeit abverlangt wird. Die Nationalsozialisten nutzten geschickt die Begeisterung der Jugend für ihre Zwecke, ganz deutlich wird das bei einer Rede Hitlers vor HJ-Angehörigen am 2. Dezember 1938 in Reichenberg.

Hitlers Pläne für die Jugend

"Diese Jugend lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeiterfront, in die SA oder in die SS … und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben."

Doch in der jungen Generation sind nicht alle so fanatisch, wie die Nationalsozialisten es haben wollten: "Sie meinten, sie hätten die Jugend im Griff, sie hätten sie genug infiltriert, deswegen waren sie sehr erschüttert, als es anders kam", sagt Werner Milstein.

Wer waren die "Edelweißpiraten" und "Die weiße Rose"?

Der jugendliche Widerstand kommt vor allem aus kirchlichen oder politischen Gruppen. Die Nationalsozialisten versuchen durch die Auflösung und Gleichschaltung der Jugendverbände, wie etwa der Pfadfinder, der Sozialistischen Arbeiterjugend,  christlichen Jugendbünde, die Jugend zu zähmen. Ende der 1930er-Jahre wird die "Jugenddienstpflicht" eingeführt und die Jugendlichen werden zum Übertritt in die Hitlerjugend gezwungen, bei Widerstand geht das Regime mit Härte vor, die jungen Widerständler landen im Gefängnis.

Eine der bekanntesten oppositionellen Jugendgruppen zu jener Zeit waren die "Edelweißpiraten", deren Mitglieder sich in vielen deutschen Großstädten gruppierten, und die den Zwang und Drill bei der Hitlerjugend ablehnten. An den deutschen Universitäten gab es seitens der Stundentenschaft weniger Widerstand, im Gegenteil: Es waren mitunter die Studierenden, die vor 1933 den Nationalsozialisten den Weg an die Macht ebneten. Die Münchener Widerstandsgruppe "Die weiße Rose", zu der Sophie Scholl gehörte, war eine der wenigen Ausnahmen. 

Sophie Scholls Wandlung zur Widerstandskämpferin

Von einem Mädchen, das mit den neuen Machthabern liebäugelt, verwandelt sich die junge Sophie in eine kompromisslose Widerstandskämpferin. Dazu führen mehrere Ereignisse in ihrem Leben, wie etwa die Briefe ihres Freundes Fritz Hartnagel, der sehr eindrucksvoll über die schrecklichen Erlebnisse an der Front berichtet, sowie die Festnahme ihres Vaters wegen "Heimtückevergehens" im Jahr 1941. Ihre Welt gerät ins Wanken, bekommt Risse, sie erkennt die Zeichen der Zeit. 

Buchcover "Einer muss doch anfangen! Das Leben der Sophie Scholl"
Bild: Gütersloher Verlagshaus

"Lieber unerträglichen Schmerz als ein empfindungsloses Dahinleben. Lieber brennenden Durst, lieber will ich um Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen beten, als eine Leere zu fühlen, eine Leere, und sie zu fühlen ohne eigentliches Gefühl. Ich möchte mich aufbäumen dagegen", schreibt Sophie Scholl am 29.06.1942 in ihr Tagebuch.

"Wenn jetzt Hitler daher käme, würde ich ihn erschießen"

Einen Monat zuvor ließ sie sich an der Uni München in Biologie und Philosophie immatrikulieren. Im selben Jahr schreibt sie ihren Eltern: "Ich bin zu allem bereit." Es beginnen ihre letzten Monate im Widerstand. "Wenn jetzt Hitler daher käme und ich eine Pistole hätte, würde ich ihn erschießen. Wenn es die Männer nicht machen, muss es eben eine Frau tun" soll Sophie - so steht es in dem Buch von Werner Milstein "Einer muss doch anfangen" - zu ihrer Freundin Susanne Hirzel gesagt haben.

Ihren Freund Fritz Hartnagel bittet sie um 1000 Reichsmark für einen Vervielfältigungsapparat. Die Materialbeschaffung wie Tinte, Papier und Briefmarken war ihre Aufgabe innerhalb der Widerstandsgruppe. Die ersten vier Flugblätter der "Weißen Rose" erscheinen zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942. Daran war Sophie Scholl nicht beteiligt, unklar ist, wann sie genau davon erfahren hat. Sie kam erst später zu dem Kreis der "Weißen Rose": "Natürlich muss man sagen, dass Hans Scholl und sein Freund Alexander Schmorell viel wichtiger waren, sie waren der Mittelpunkt der Gruppe. Sophie Scholl kam später dazu, aber sie als junge Frau hat eine besondere Anziehungskraft."

Leben und Tod: Für ein anderes Deutschland

Sophie und Hans Scholls Schicksal wird am 18. Februar 1943 besiegelt. Um 10 Uhr tragen sie einen schweren Koffer zur Uni. Sein Inhalt: Flugblätter. Sie schaffen es 1700 davon zu verteilen. Doch dann: Sophie stößt einen Stapel - ob absichtlich oder versehentlich - von der Empore. Wie Friedenstauben flattern die Blätter hinab auf den Lichthof der Universität. Das wird ihnen zum Verhängnis. Es ist 11:15 Uhr, "Halt! Sie sind verhaftet!", schreit der Hausmeister der Münchener Universität.

Vier Tage später, am 22. Februar, werden drei Mitglieder der "Weißen Rose" - Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst - zum Tode verurteilt und nur Stunden später hingerichtet.

"So ein herrlicher, sonniger Tag und ich muß gehen. Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele junge hoffnungsvolle Männer… was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt werden…", soll Sophie Scholl in der Gefängniszelle gesagt haben, zeugt der Bericht von Else Gebel, die mit Sophie Scholl die Zelle geteilt hat.

Sophie Scholl, Mitglied der Widerstandsbewegung "Die Weiße Rose"
Ikone des Widerstands: Sophie SchollBild: Photo12/Archives Snark/picture alliance

Harter Geist, weiches Herz

"Ihre Losung 'Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben' hat mich sehr beeindruckt. Man braucht einen klaren Verstand zum einen und zum anderen ein tief mitempfindendes, weiches Herz. Das ist, was ich den jungen Menschen wünsche, dass sie sehr genau analysieren, was in der Welt geschieht und danach handeln", sagt Werner Milstein. "Der deutsche Widerstand war für mich eine Brücke zur deutschen Demokratie. Diese Menschen im Widerstand waren sehr wichtig, um mich mit diesem Land heute identifizieren zu können." 

Sie soll mit großer Würde zur Guillotine geschritten seinSo tapfer habe er noch nie einen Menschen sterben sehen, sagte ihr Scharfrichter später. Für Sophie Scholl war es eine Sache der Moral und der Politik, des Denkens und Handelns.

Der Instagram-Kanal vom BR und SWR @ichbinsophiescholl zeigt die letzten Monate im Leben von Sophie Scholl. Es ist eine fiktionale Interpretation, bei der Userinnen und User das Leben der Widerstandskämpferin in Echtzeit verfolgen können.

Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels aus dem Jahr 2021.

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin