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Solidarität und Skrupel - Bilanz des SPD-Parteitags

Cornelia Rabitz22. November 2001

Auf ihrem Parteitag hat sich die SPD geschlossen hinter ihren Vorsitzenden Gerhard Schröder gestellt. Eine Geschlossenheit, die sich bei vielen Delegierten mit Bauchschmerzen verbindet. Cornelia Rabitz kommentiert.

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Zwei Botschaften sendet der Nürnberger Parteitag aus: Die SPD ist uneingeschränkt solidarisch mit ihrem Vorsitzenden, Bundeskanzler Gerhard Schröder, und seinem Kurs in der Außen- wie der Innenpolitik, die Delegierten haben dies nachdrücklich mit ihrem Abstimmungsverhalten demonstriert. Alle Leitanträge wurden ohne gravierende Änderungen abgesegnet und Schröder selbst mit einem zwar nicht glanzvollen, aber respektablen Ergebnis wiedergewählt.

Ein nicht geringer Teil der Delegierten hat bei dieser demonstrativen Geschlossenheit dennoch politische Bauchschmerzen. Davon wiederum hat Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul profitiert: Sie bekam für ihre engagierten Auftritte als Anwältin der Armen und Schwachen auf dieser Welt nicht nur viel Beifall, sie wurde auch mit einem unerwartet hohen Ergebnis als stellvertretende SPD-Vorsitzende bestätigt.

Aus Vernunftgründen wurde der Kanzler unterstützt. Und dennoch schlug angesichts der neuen außen- und sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten im Anti-Terror-Kampf und beim Afghanistan-Einsatz vielen das Gewissen. Dass beides geht: die Solidarität mit dem pragmatischen Regierungshandeln und die Pflege moralischer Skrupel - das hat dieser Parteitag aufs Schönste demonstriert.

Und ein bisschen Aufmüpfigkeit haben sich die Delegierten dann doch noch geleistet, als sie Rudolf Scharping, den Bundesverteidigungsminister, bei der Wahl zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden für sein selbstherrliches Gehabe abstraften mit einem miserablen Ergebnis.

Der Parteichef blieb dabei vier Tage lang, was er vor allem ist: Bundeskanzler. Gerhard Schröder ist kein Vorsitzender für die Herzen der Basis, stets umgibt ihn eine Aura freundlicher Distanz oder, anders ausgedrückt, bemühter Nähe. Schröder hat wenig im Sinn mit der Beschwörung sozialdemokratischer Grundwerte und dabei hat ihm Tony Blair, britischer Premier und Labor-Chef, als Gast des SPD-Parteitags die Schau gestohlen. Ihm gelang es in seiner Rede, die aktuellen politischen Notwendigkeiten zu verbinden mit dem Appell an Solidarität und Gerechtigkeit. Er hat, anders als Schröder, eine sozialdemokratische Vision beschworen - eine Vision, die der pragmatische Kanzler und SPD-Vorsitzende ganz offenkundig nicht hat.

Zwischen den Parteigranden, die oben auf dem Podium thronten, und den Arbeitsgruppen unten, die im Basement der Nürnberger Messehallen ihre Initiativen präsentierten, lagen mehr als nur zwei Stockwerke. Vieles, was in der Bundestagsfraktion in Berlin längst ausgiebig diskutiert wurde, ist bei der Basis noch nicht angekommen. Der Willens- und Meinungsbildungsprozess bei wesentlichen Fragen findet in der SPD von oben statt. Die Diskussionskultur wirkt verkümmert, der linke Flügel zerzaust, die Partei hat an Glanz, auch an intellektuellem Format verloren. Dass sie die Politik des Kanzlers stützt und unterstützt, ist richtig und sicher auch wichtige Rückenstärkung für die Handelnden in Berlin. Und dennoch: Man erwartet von einer Regierungspartei mehr als die Erfüllung tagespolitischer Notwendigkeiten. Man erwartet, zumal von einer Partei wie der SPD, mit ihrer langen und guten Tradition, auch so etwas wie geistige Orientierung.

Und es wäre im übrigen auch schön gewesen, wenn sich die SPD nicht nur als Partei im Gewand einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik gezeigt hätte, sondern auch als tatsächlich engagierte Anwältin der Arbeitsuchenden, der Arbeitslosen im Lande aufgetreten wäre. Der Bereich Wirtschaft und Soziales war schnell abgehakt. Aber gerade hier liegen die eigentlichen Probleme, die auf den Kanzler und seine Regierungspartei warten. Zehn Monate vor der Bundestagswahl.