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Abseits des Stromnetzes

Brigitte Osterath5. Dezember 2012

Ehrgeizige, saubere Projekte in Katar: Forscher wollen mit Sonnenenergie nicht mehr nur Strom erzeugen, sondern auch chemische Produkte herstellen, Klimaanlagen betreiben und Meerwasser entsalzen.

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Ein Mitarbeiter von Nesrin Ozalp, Texas A&M University, Katar, steht vor einem Sonnensimulator, der Sonnenstrahlung für ein Experiment erzeugt. (Foto: Nesrin Ozalp, Texas A&M University)
Forschung an der Texas A&M University in DohaBild: Nesrin Ozalp

Wenn Nesrin Ozalp ihr Labor betreten möchte, während die Experimente laufen, muss sie zunächst an der Tür klopfen. Einer ihrer Mitarbeiter bringt ihr dann eine große, schwarze, UV-undurchlässige Sonnenbrille. Erst wenn sie diese aufgesetzt hat, kann sie hinein.

In der Mitte von Ozalps Labor, an der Texas A&M Universität in Katars Hauptstadt Doha, scheint etwas Grelles: Es ist eine Maschine, in etwa so groß wie ein Backofen und unheimlich laut.

"Das ist unser Sonnensimulator, dieses laute Ding dort", ruft Nesrin Ozalp über den brummenden Krach hinweg. "Er erzeugt Strahlung sehr hoher Temperatur, die genau so ist wie Sonnenenergie. Diese Strahlung brauchen wir für unsere Experimente."

Erdgas aufspalten

Nesrin Ozalp ist Privatdozentin an der Fakultät für Maschinenbau der Texas A&M Universität. Sie entwickelt einen Reaktor, der Sonnenenergie umsetzt - allerdings nicht zu Strom. Sondern stattdessen spaltet sie mit der Sonnenenergie Erdgas in seine Bestandteile, Kohlenstoff und Wasserstoff, auf. Das scheint zunächst eine dumme Idee zu sein - schließlich ist Erdgas sehr wertvoll. Damit lassen sich Häuser heizen oder Autos antreiben. Aber auch Wasserstoff und vor allem Kohlenstoff sind sehr begehrte Produkte.

Jedes Jahr werden weltweit mehrere Millionen Tonnen Kohlenstoff in Form von Ruß, also sehr feinen Partikeln, hergestellt. Man braucht es zur Herstellung von Autoreifen, Förderbändern, Druckerfarben und Batterien. "Kohlenstoff ist eines der meist produzierten industriellen Massenprodukte überhaupt", erklärt Ozalp.

Forschungsgruppe von Nesrin Ozalp (Foto: Nesrin Ozalp, Texas A&M University)
Forschungsgruppe von Nesrin OzalpBild: Nesrin Ozalp

Um es herzustellen, verbrennt man Mineralöle teilweise bei sehr hohen Temperaturen. Dabei entsteht nicht nur Kohlenstoff , sondern auch viele schädliche Gase, wie das Klimagas Kohlendioxid, das giftige Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide oder Schwefelverbindungen.

Wasserstoff wiederum stellen Ölfirmen in großen Mengen her - sie benötigen es für die Verarbeitung des Rohöls. Dafür lassen sie Erdgas mit Wasserdampf bei hohen Temperaturen reagieren. Sie erhalten Wasserstoff - und gleichzeitig jede Menge Kohlendioxid.

Wie "grün" können fossile Energieträger sein?

Nesrin Ozalp hofft, mit ihrer Methode gleich zwei industrielle Prozesse - die Kohlenstoff- und die Wasserstoffproduktion - umweltfreundlicher zu gestalten. "Wir spalten Erdgas mit konzentrierter Sonnenenergie direkt in seine Bestandteile auf. Ganz ohne irgendwelche Nebenprodukte", sagt die Professorin.

Natürlich benötigt Ozalp für ihren Reaktor noch immer Erdgas, einen fossilen Brennstoff. Daran ist nichts "Grünes", würden viele sagen. "Aber wir sehen das realistisch", so Nesrin Ozalp. "Es ist viel vernünftiger, sich nach und nach von einer Gesellschaft, die auf fossilen Rohstoffen basiert, zu einer Gesellschaft zu wandeln, die sich auf erneuerbare Energien stützt. Das ist in etwa so, wie wenn ein Kind erst krabbelt und dann beginnt zu laufen."

Mit der Sonne kühlen

Brigitte Osterath mit Nesrin Ozalp Foto: Brigitte Osterath
Brigitte Osterath hat Nesrin Ozalp in ihrem Labor in Katar besuchtBild: DW

Katar scheint allerdings sehr viel ehrgeizigere Pläne zu haben als einen allmählichen Wandel. Eine riesige Fabrik für Silizium ist in der Planung, um die große zukünftige Nachfrage nach Bauteilen für Solarmodule zu befriedigen.

Der Golfstaat plant zudem mehrere neue Fußballstadien für die Weltmeisterschaft 2022 zu bauen. Die Klimaanlagen dieser gewaltigen Bauten sollen angeblich alleine mit der Kraft der Sonne laufen. Der multinationale Energiekonzern Chevron will dafür in Katar ein neues solarbetriebenes Klimasystem bauen und testen.

A model of the Qatar University stadium (Foto:EPA/STRINGER)
Katar plant, mehrere neue Fußballstadien für die WM 2022 zu bauenBild: picture-alliance/dpa

Mit der Sonne entsalzen

Katar hat so gut wie kein natürliches Trinkwasser, erklärt Nadia Amar Aboul Hosn, Sprecherin des neu gegründeten Qatar Sustainability Networks, das alle Umweltaktivitäten des Staates Katar bündeln will. Daher sei Katar völlig von seinen Meerwasserentsalzungsanlagen abhängig. "Und die verbrauchen wirklich sehr viel Energie", sagt sie.

Bei der Umkehrosmose, dem Verfahren, das derzeit hauptsächlich weltweit für die Entsalzung von Meerwasser benutzt wird, drücken riesige Pumpen Meerwasser durch ein sehr feines Sieb. Das Salz bleibt dabei zurück. Diese gewaltigen Pumpen brauchen viel Energie und die kommt derzeit aus fossilen Energieträgern.

In Zukunft soll Sonnenenergie dabei mithelfen, sagt Nadia Amar Aboul Hosn. "Das Umwelt- und Energieforschungsinstitut in Katar arbeitet daher an einem Pilotprojekt: Wir wollen mit Sonne Strom erzeugen und gleichzeitig damit das Meerwasser entsalzen. In ein paar Jahren, wenn die Technik steht, kann Katar damit drei Viertel seines Energiebedarfs bei der Entsalzung einsparen."

Meerwasserentsalzungsanlage in der Hafenstadt Dschidda
Meerwasserentsalzungsanlagen wie diese in Saudi-Arabien benötigen sehr viel EnergieBild: picture-alliance / dpa

Einfacher gesagt als getan

Allerdings befinden sich beide Projekte, sowohl die Meerwasserentsalzung als auch das Kühlen mit Sonnenergie, noch im Anfangsstadium. Damit die Sonnenenergie in Katar so richtig ins Rollen kommt, müssen die Bedingungen in dem Land zunächst darauf angepasst werden. Denn zwar scheint es auf den ersten Blick so, als sei der sonnige Golfstaat der perfekte Ort, um Solarpaneele aufzustellen - aber das ist nicht unbedingt der Fall: Die hohen Wüstentemperaturen, der Staub senkt deren Effizienz zurzeit noch stark.

Nesrin Ozalps erdgasspaltender Reaktor an der Texas A&M Universität hingegen ist schon relativ weit entwickelt. Sie hofft, dass er in fünf Jahren in der Industrie eingesetzt werden kann. Dafür kooperiert sie mit dem Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik in Dresden. Die deutschen Forscher arbeiten daran, Ozalps Reaktor in einen größeren Maßstab zu bringen.