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Simon: "Der Athlet hat keine Chance"

Jan-Hendrik Raffler
3. April 2017

Die ARD-Dopingredaktion berichtet von mehreren auffälligen Dopingproben bei Nachtests der Olympischen Spielen in Peking 2008. Im DW-Interview kritisiert Dopingforscher Perikles Simon die WADA scharf.

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Deutschland Mainz Prof. Dr. Dr. Perikles Simon
Bild: Christof Mattes/JGU

DW: Bei den Nachtests sollen geringe Mengen des Dopingmittels Clenbuterol gefunden worden sein. Unter anderem seien davon auch die in Peking äußerst erfolgreichen jamaikanischen Sprinter um Superstar Usain Bolt betroffen. Wie sehr überrascht sie das?

Perikles Simon: Mich überrascht, dass das an die Öffentlichkeit geraten ist. Sehr alarmierend ist die Stellungnahme der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu diesen Fällen. Denn aus der Stellungnahme geht überhaupt nicht hervor, warum manche Athleten, wie der Pole, [Adam Seroczynski, Kanute, Anm. d. Red.] auf der Basis von Clenbuterol gesperrt werden - und andere Fälle, wie die jamaikanischen Sprinter, nicht mal publik werden.

Gelten bei Jamaika andere Maßstäbe?

Offensichtlich ja! Wäre das nicht der Fall, dann hätte die WADA in ihrer Stellungnahme doch ganz klar den Grund genannt, warum die Jamaikaner mit diesen Clenbuterol-Werten anhand von vorher festgelegten Kriterien als Fleischkontaminationen durchgehen konnten und der Pole nicht. Diese klare Stellungnahme hat die WADA nicht geliefert. Dieses Vorgehen mehrt sich leider. Ich stelle fest, dass die WADA ihre eigenen Statuten und Richtlinien für Entscheidungen komplett intransparent hält. Das ist so nicht akzeptabel. Das muss eigentlich die Sportgengemeinschaft geißeln.   

"Es wird mit zweierlei Maß gemessen"

Gibt es nicht Regeln, dass eine Sportorganisation eigentlich alles dafür tun muss, einem Dopingverdacht nachzugehen?

Offensichtlich nur in manchen Fällen. In der Vergangenheit gab es ja bereits Clenbuterol-Fälle bei der U17-Junioren-Weltmeisterschaft im Fußball. Auch da hat man es öffentlich gemacht, dass 109 Fußballspieler positiv waren. Daran gibt es auch gar nichts auszusetzen, damit transparent umzugehen, sofern man die Möglichkeit hat, auf eine Richtlinie zu verweisen, in der man klar gesagt hat: Bis zu dem Grad können wir davon ausgehen, dass es sich um eine Kontamination handelt, und alles darüber hinaus wird dann sanktioniert. Und wenn es diese Regeln in den aktuellen Fällen so nicht gab, dann ist klar, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

Es geht um Urin von Athleten bei Olympia 2008 - damals wurde rund um die Spiele offenbar kein Clenbuterol gefunden. Erst jetzt, neun Jahre später bei Nachtests wurde das Dopingmittel in mehreren Fällen festgestellt.  Ist das vielleicht nur die Spitze des Eisbergs?

Das kann schon sein. Die Frage ist, ob die Proben 2008 in der Analyse wirklich komplett negativ waren - und ob sie überhaupt so durchgeführt wurden. Das wissen wir ja gar nicht, denn diese Informationen werden uns nicht mitgeteilt. Aber im Zweifel für den Athleten. Das Problem ist, wir erfahren nicht, warum ganze Labore als "non compliant with the code" gesperrt werden, selbst das Olympia-Labor unmittelbar in der Vorbereitungsphase vor Rio war ja betroffen. Das geht nicht! Das ist komplett intransparent. Und jeder Athlet, der unter der Anti-Doping-Verpflichtung steht und der seinen Beitrag für einen sauberen Anti-Doping-Kampf leistet, hat das Recht, den Grund für die Schließung zu erfahren. Sonst weiß doch kein Sportler und kein Wissenschaftler, wie hoch das Risiko ist, einen falsch-positiven Befund zu bekommen.

World Press Photo Awards 2017 World Press Photo Awards 2017 - Sport - Dritter Preis, Einzelfotos- Kai Oliver Pfaffenbach - Rio's Golden Smile
Der Jamaiker Usain Bolt ist der schnellste Mann der Welt. Ist sein Urin sauber? Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

"Das können wir nicht akzeptieren"

Der ARD-Dopingredaktion liegen vertrauliche Hinweise aus IOC-Kreisen vor, es gebe positive Tests aus Urinproben auf Clenbuterol. Wie viele und welche Sportler betroffen sind, ist nicht zu erfahren, nur dass es sich um männliche Sprinter aus Jamaika handelt. Da fällt einem sofort der Name Usain Bolt ein - der wohl bekannteste Leichtathlet der Welt. Befürchten Sie, dass eine der positiv auf Clenbuterol getesteten Urinproben von ihm sein könnte?

Ich befürchte ja, denn das muss man ja leider seit 20 Jahren für den Sprintbereich befürchten. Aber bevor man da zu weit spekuliert, ist das Schlimmste, dass die Anti-Doping-Kontroll-Instanzen sich intransparent und inkonsequent verhalten. Das können wir nicht akzeptieren, weil dann auch Sportler wie Usain Bolt ein großes persönliches Problem bekommen könnten, wenn so eine positive Probe im Raum steht. Ich erwarte von einer Anti-Doping-Agentur, dass sie ganz konkrete Äußerungen, ganz konkrete Zahlen und Richtlinien nennt - und sich an diese dann auch verbindlich hält.  

"Wir leben im Zeitalter des Anti-Doping-Absolutismus"

Sollte ein Usain Bolt mit reinem Gewissen Druck auf die WADA ausüben, dass diese schnellstmöglich bestätigt, dass seine Urinprobe sauber ist?

Eigentlich ja, aber leider hat der Athlet in diesem System, in dem uns die wesentlichen Informationen vorenthalten werden, keine Chance.  Er ist auf gedeih und verderb ausgeliefert, weil einfach jemand sagt: " positiv" oder "negativ" - ohne irgendwelche Hintergrundinformationen. Das ist im Grunde absolutistisch. Wir leben im Zeitalter des Anti-Doping-Absolutismus.

Prof. Perikles Simon ist Dopingforscher und leitet die Abteilung Sportmedizin am Institut für Sportwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied im Gendoping-Panel der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und hat gemeinsam mit Kollegen der Universität Tübingen einen Direktnachweis für Gendoping entwickelt.

Das Interview führte Jan-Hendrik Raffler.