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"Ukraine braucht Kompromiss"

Rosalia Romaniec1. Februar 2014

Keine Repressalien und keine überzogenen Forderungen - so könnte die Krise der Ukraine vielleicht gelöst werden, sagt Polens Außenminister Sikorski im DW-Interview. Gefordert seien hierbei vor allem zwei der EU-Staaten.

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Radoslaw Sikorski, polnischer Außenminister, im DW-Interview in München (Foto: DW)
Bild: Rosalia Romaniec

Deutsche Welle: Gleich zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz haben Sie Ihren ukrainischen Kollegen Leonid Koshara getroffen. Bisher haben Sie immer gewarnt vor einem "blutigen Szenario" in der Ukraine - hat sich Ihr Blick nach dem Gespräch etwas geändert?

Radoslaw Sikorski: Ich habe jetzt einen besseren Einblick in die Möglichkeiten des Dialogs zwischen Machthabern und Oppositionellen. Die Ukraine braucht dringend Reformen und diese kann nur eine stabile und effektive Regierung durchführen. Ich freue mich, dass die Regierung in Kiev Gespräche über die Verfassungsänderungen in Erwägung zieht, die ein besseres Gleichgewicht zwischen dem Präsidenten und dem Parlament ermöglichen würden. Dabei könnten sich die Opposition und die Machthabern treffen.

Die Ukraine fordert wiederholt einen "Marshallplan" - ein Art Plan zum Wiederaufbau. Wie sieht die polnische Regierung diese Forderung angesichts ihrer eigenen Erfahrungen mit Hilfen auf dem Weg in die EU?

Die Ukraine hat schon einen Marshallplan - und das nicht zu knapp. Ich darf nur daran erinnern: Als Polen 1993 sein Assoziierungsabkommen unterschrieb, bekam es nur minimale finanzielle Hilfe aus Brüssel. Wir hatten Fonds aus den USA angeboten bekommen, aber nutzten sie nicht oder zahlten sie zurück. Die Ukraine hätte dagegen sofort ein Milliardenprogramm beim IWF, wenn sie nur mit den Reformen beginnen würde. Brüssel hat auch makroökonomische Hilfen versprochen, um die Folgen der niedrigeren Zölle abzufedern - und da hat man tatsächlich noch Spielraum. Es gibt ebenfalls Versprechen von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Europäischen Investitionsbank. Mit dem Assoziierungsabkommen würde die Glaubwürdigkeit der Ukraine steigen - und damit bekäme sie auch günstigere Kredite.

Mit anderen Worten: Die Ukraine hat genug Hilfe?

Wenn die Ukraine über die Kosten und die Hilfe bei der Umsetzung des Assoziierungsabkommens sprechen möchte, sollten wir dafür offen sein.

Sie treffen am Samstag den deutschen und den russischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sergej Lawrow. Was wollen Sie da von Moskau hören?

Als Russland der Ukraine günstigeres Gas und Kredite angeboten hatte, hieß es, dass es sich um einen Akt der "christlichen Barmherzigkeit" handele. Jetzt hören wir etwas von Bedingungen. Ich würde gerne hören, ob Russland meint, dass die aktuelle Entwicklung in der Ukraine optimal sei - und fragen, ob es nicht bedenken sollte, dass das Land eigenständig über sein Schicksal entscheidet.

Wie eng stimmen Sie sich dabei mit der deutschen Position ab?

Wir haben darüber gesprochen, denn es ist wichtig, dass zwei große EU-Länder ihre Positionen abstimmen - zumal Deutschland und Polen sich in Europa am meisten für die Ukraine interessieren. Zwischen uns gibt es keine Differenzen. Aber andere in der EU sprechen von Sanktionen. Für Warschau und Berlin wäre es dafür zu früh.

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Polens Außenminister Radoslaw Sikorski (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Gemeinsam für die Ukraine: Deutschlands Außenminister Steinmeier und Amtskollege SikorskiBild: picture-alliance/dpa

Wenn man Sie nach einem positiven Szenario fragt, sprechen Sie von einer Teilung der Verantwortung durch Opposition und Machthaber in Kiev. Denken Sie dabei an die polnischen Erfahrungen im Jahr 1989, als Opposition und regierende Kommunisten erstmals eine gemeinsame Regierung bildeten?

Tatsächlich ist uns eine erfolgreiche Transformation gelungen. Am Anfang stand damals aber ein Kompromiss, der durchaus kritisiert wurde. Das Angebot von Präsident Viktor Janukowitsch vor wenigen Tagen an einen der Oppositionsführer - als er ihm das Amt des Ministerpräsidenten angeboten hatte - das erinnerte an die Aufgabenteilung damals. Da hieß es in Polen: "Unser Präsident, eurer Premierminister." Das war gut ausgegangen. Polen und die Ukraine hatten damals ähnlichen Lebensstandard. Heute sind wir dreimal wohlhabender als unser Nachbar. Es sind wertvolle Erfahrungen, auf die man zurückgreifen kann.

Aber nicht alles war gut auf dem Weg…

Ja, wir haben auch Fehler gemacht. Etwa 1981: Da unterschätzte die Opposition, dass die Machthaber mögliche Repressalien und das Kriegsrecht zur Hand hatten. Manche Solidarnosc-Anführer hatten damals völlig unrealistische Forderungen gestellt. Deshalb warnen wir beide Seiten vor überzogenen Forderungen. Wir appellieren an beide: Die Regierungen sollen mit Repressalien aufhören. Und die Opposition soll bedenken, dass manches, was unvorstellbar scheint, dennoch real sein könnte.

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck sprach in seiner Eröffnungsrede von der Rolle Deutschlands. Sie haben vor drei Jahren in Berlin an Deutschland appelliert, mehr Verantwortung zu übernehmen. Haben Sie den Eindruck, dass das jetzt passiert?

Deutschland hat sich wirklich in besonderem Maße für die Beruhigung der Finanzmärkte und die Rettung des Euros engagiert. Aber es ist wichtig, dass die europäische Diplomatie und die Institutionen Instrumente in der Hand haben, dass sie in unserem Namen die gemeinsam vereinbarte Politik umsetzen können.

In diesem Jahr findet die Münchner Sicherheitskonferenz zum 50. Mal statt. Kann man angesichts der vielen Krisen in der Welt überhaupt von einer wirksamen Entwicklung in der Sicherheitspolitik sprechen?

Ich denke, dass die Wünsche, die die Konferenz vor 50 Jahren formuliert hat, zum großen Teil in Erfüllung gegangen sind. Aber wir sollten nicht vergessen, dass ein reiches und stabiles Europa nicht automatisch auch ein sicheres ist. Wenn es ernst wird - wie in Libyen oder Syrien - wird unsere Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit sichtbar. Während es in der Welt immer mehr Konfliktherde gibt, nimmt die Fähigkeit Europas darauf angemessen zu reagieren, ab. Dies ist keine gute Tendenz.

Radoslaw Sikorski ist seit 2007 Außenminister Polens. Nach seinem Studium der Politik, Wirtschaft und Philosophie in Oxford/Großbritannien arbeitete er in den 1980er Jahren als Journalist für diverse britische Zeitungen - unter anderem auch als Kriegsreporter in Afghanistan. 1989 kehrte er nach Polen zurück und begann seine politische Karriere.

Das Interview führte Rosalia Romaniec.