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Ringen um Einfluss

Frank Sieren15. März 2015

Nach dem Ende des Nationalen Volkkongresses in Peking ist die Regierungserklärung das Abbild eines komplexen Machtkampfes in der chinesischen Politik, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Wirtschaft Symbolbild
Bild: Reuters/A. Song

Wie sind die neuen Regierungspositionen zu bewerten? Selbstverständlich ist jede Regierungserklärung mit Vorsicht zu genießen. Das gilt im Westen ebenso wie im staatssozialistischen China. Allerdings ist auch oder sogar vor allem in China die Position der Regierung das Ergebnis eines sehr komplexen Machtkampfes. Die Regierungslinie wird längst nicht mehr von einer Handvoll Machthaber bestimmt. Alle relevanten Gruppen ringen darum, möglichst viele ihrer Vorstellungen in der Regierungserklärung unterzubringen.

Hardliner gegen Reformer

Die politischen Reformer kämpfen mit den Hardlinern, die Umweltschützer mit den Wachstumsanhängern in den rückständigen Provinzen, die Statthalter der Staatsbetriebe mit den Unternehmern. Und die Bauernvertreter erbittert gegen die städtischen Eliten. Und, obwohl die 3000 Parlamentarier des Nationalen Volkskongresses im westlichen Sinne nicht frei gewählt sind, fürchtet die Regierung zu Recht die unterschiedlichen Stimmungslagen, wenn so viele Menschen in Peking zusammenkommen und über die Probleme Chinas reden.

Zwar hat der neue Staats- und Parteichef Xi Jinping viel mehr Macht an sich gezogen als alle seine Vorgänger seit Deng Xiaoping. Dennoch gibt es mehr denn je eine breite und harte Auseinandersetzung über den richtigen Weg für Chinas Aufstieg. An deren Ende steht ein Positionspapier der Regierung, das die Machtverhältnisse ziemlich gut abbildet.

Umweltschutz trotz Zensur

Deshalb ist es kein Zufall, dass das am meisten diskutierte und sichtbarste Thema des Nationalen Volkskongresses mit großem Abstand der Umweltschutz war. Denn die Regierung ließ kurz vor der Tagung einen sehr kritischen, aufwendig gestalteten Dokumentarfilm zu, der zudem vom neuen Umweltminister Chen Jining gelobt wurde. Der Film ist nicht zufällig und auch nicht ohne Billigung der Regierung entstanden, in einer Zeit, in der die Partei die Meinungsfreiheit wieder stärker einschränkt.

Frank Sieren im Porträt (Foto: DW)
Frank SierenBild: Frank Sieren

Nachdem mehrere hunderte Millionen Menschen den Film gesehen haben, griff jedoch die Zensur ein. Er wurde wieder aus dem chinesischen Netz genommen. Offensichtlich war dies das Zugeständnis, das die Umweltreformer an die Sicherheitsbehörden machen mussten. Deren Argumente lauten, dass aus solchen Ereignissen unkontrollierbare Massenbewegungen entstehen können.

Der Film ist allerdings weiter über Youtube zu sehen, das in China allerdings nur über einen VPN-Kanal erreicht werden kann. Schätzungsweise 90 Millionen Chinesen verfügen über die billige zum Teil kostenlose Software, um die Zensur zu umgehen. Der Film zeigt, wie wichtig der Regierung die Umweltprobleme sind und wie sehr ihr der Unmut in der Bevölkerung Sorgen bereitet. "Die Fortschritte die wir gemacht haben", räumt Premier Li Keqiang ein, "bleiben immer noch hinter den Erwartungen der Menschen zurück."

Lockerere Finanzpolitik

Aber auch in anderen Bereichen gab es Überraschungen: China will die Sparzinsen noch in diesem Jahr freigeben. Fachleute hatten später damit gerechnet. Schon lange streiten sich Chinas Finanzspezialisten über die Frage, wie offen das Finanzsystem sein soll. Gleichzeitig führt die Regierung ein Versicherungssystem für Kredite ein. Es soll zudem mehr private Banken geben. Der Chef der Bankenaufsicht Shang Fulin, räumte ein, dass es einige Schwachstellen im Finanzsystem gebe, aber insgesamt die Risiken unter Kontrolle seien. Diese Einschätzung teilt die Mehrheit der internationalen Beobachter. Der chinesische Yuan soll mehr Spielraum bekommen. Der Markt soll zukünftig mehr über die Zukunft der Unternehmen entscheiden. Verschuldete Unternehmen, auch die Staatsbetriebe, müssen von nun an mit weniger Hilfe des Staates rechnen.

Deutlich ist, dass die Befürworter von mehr Marktwirtschaft eine bessere Machtposition gegenüber den Vertretern von mehr Staat in Wirtschaft haben. Der Streit, der sich dahinter verbirgt, dreht sich um die Frage, wie sehr der Staat die Zügel in der Hand halten muss, damit Chinas Aufstieg kalkulierbar bleibt. Die Marktorientierten stehen auf dem Standpunkt, dass zu viel Staat die Wirtschaft bremst und dass eine schnell wachsende Wirtschaft mehr zum Wohlstand und damit zur Stabilität des Landes beiträgt als jede noch so geschickte Staatslenkung. Die Vertreter einer Staatswirtschaft warnen davor, dass bei viel Markt eine Lage entstehen kann, in der der Staat die Kontrolle verliert.

Bessere Bedingungen für ausländische Unternehmen

Auch in der Außenpolitik spielt die Wirtschaft eine immer größere Rolle, während das auch durch die Antikorruptionskampagne geschwächte Militär eine so geringe Rolle spielt wie noch nie in der Geschichte der Volksrepublik. Das Militär wird überhaupt erst auf Seite 37 der 39 Seiten lange Rede des Premierministers erwähnt.

Den ausländischen Unternehmen verspricht Premier Li ein "stabiles, faires, transparentes und verlässliches Geschäftsumfeld". Das bedeutet allerdings nicht, dass chinesische Unternehmen nicht bevorzugt werden. In Frankreich fährt auch kein deutscher ICE und das, obwohl es innerhalb der Europäischen Union offene Märkte geben soll. Immer wieder haben sich westliche Unternehmen im vergangen Jahr über die unfaire Behandlung beschwert. Allerdings hat China im vergangenen Jahr wieder einmal die meisten Auslandsinvestitionen der Welt verzeichnet. Ganz so schlimm kann es also nicht sein.

Auch beim Sozialsystem gibt es große Debatten. In China streiten die Sozialpolitiker mit den Finanzpolitikern über die Frage, wieviel Sozialstaat nötig ist, um soziale Stabilität zu gewährleisten und wieviel sich China finanziell leisten kann, ohne in die Schwierigkeiten der westlichen Sozialsysteme zu kommen. Hier haben die Sozialpolitiker die meisten Punkte gemacht. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass das was sich die chinesische Regierung vornimmt, in der Regel auch umsetzt. Sie hat kaum eine Wahl. Der Reformdruck aus der Bevölkerung steigt.

Unser Korrespondent der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China“), gilt als einer der führenden deutschen China Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.