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Sierens China: Mit Seide gegen Sand

3. August 2015

Chinas Seidenstraßenprojekt soll helfen zu verhindern, dass immer mehr Land zur Wüste wird. Einen Versuch ist es wert, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Sandsturm (Foto: IRNA)
Bild: IRNA

Die Wüsten gehören zu den größten Feinden Chinas. Sie bringen unfruchtbare Böden, Wasserarmut und Sandstürme. Und sie breiten sich unaufhörlich aus. Die Sandstürme fegen im Frühjahr und im Herbst sogar über Peking. Nutzbare Böden verwandeln sich in sandiges Erdreich, auf dem kaum etwas wächst. Ein Fünftel von Chinas Fläche ist davon bereits betroffen. Das sind etwa 1,73 Millionen Quadratkilometer, die man in den letzten fünfzig Jahren an den Sand verloren hat. Rund 400 Millionen Chinesen leiden unmittelbar unter den Folgen des trockenen Bodens. Besonders der Nordwesten und Westen Chinas sind von der Desertifikation betroffen: In der Provinz Xinjiang sind fast 65 Prozent des Bodens ausgetrocknet, über die Hälfte sind es in der Inneren Mongolei. Diese Regionen werden auch am stärksten von Sandstürmen heimgesucht, die Hunderte Meter hoch sein können und bis zu Windstärke 9 erreichen.

Für die chinesische Regierung ist das Problem nicht neu. Schon seit 1977 gibt es Studien zur Ausbreitung der Wüsten in China, damals von einer UN-Konferenz in Auftrag gegeben. Die Ursachen der Desertifikation sind ebenfalls bekannt: Überweidung, falsche Anbaumethoden in der Landwirtschaft, aber auch natürliche Ursachen wie Erosion durch Wind und Wasser, begünstigt durch ungeschützte Landflächen. Überall fehlen Bäume. Schon lange versucht die Regierung eine Lösung zu finden, doch es ist sehr schwierig. Zwar werden jährlich knapp 1700 Quadratkilometer an Boden vom Sand zurückgewonnen, doch die Wüsten breiten sich dennoch immer weiter aus. Das große Problem ist das gleiche wie bei uns im Westen. Wie motiviert man Menschen, in diesem Fall vor allem Bauern, sich umweltfreundlich zu verhalten?

Frank Sieren Kolumnist Handelsblatt Bestseller Autor China
Frank SierenBild: Frank Sieren

Die Zeit drängt aus Sicht Pekings

Dabei gilt folgende Faustregel: Je weniger sie am modernen Fortschritt teilhaben, desto weniger sind sie bereit, der Umwelt zuliebe auf Wachstum zu verzichten. Erst mit einem gewissen wirtschaftlichen Fortschritt setzt das Umdenken ein. Das war in Deutschland nicht anders. So lange kann die Pekinger Regierung jedoch nicht warten. Denn vor allem tief im Westen im chinesischen Hinterland kann das nämlich noch sehr lange dauern, bis die Menschen aus sich heraus vernünftig werden. Und man kann nicht hinter jeden Bauern einen Polizisten stellen, der ihn zwingt, sich anständig zu verhalten. Deshalb versucht man jetzt, die Umweltdisziplin mit wirtschaftlichem Fortschritt zu verbinden.

Der Kampf gegen die Verwüstung wird an eines der wichtigsten Projekte der chinesischen Regierung gekoppelt: den Wiederaufbau der chinesischen Seidenstraße. Das Motto lautet wie folgt: Wer sich umweltfreundlich verhält, bekommt einen vergünstigten Zugang zum wirtschaftlichen Aufschwung. Ob das funktioniert, weiß niemand. Einen Versuch ist es in jedem Fall wert. Auf dem fünften „Kubuqi International Desert Forum“, das letzte Woche in der Stadt Ordos in der Inneren Mongolei stattfand, eröffnete der chinesische Vize-Premier Wang Yang, der für Landwirtschaft und Wasserressourcen zuständig ist, diesen neuen Weg. Im Zentrum soll der neue Handelskorridor stehen, den man in Peking auf den Spuren der alten Seidenstraße errichten will.

Vereinzelte Projekte reichen nicht aus

Für eine neue Seidenstraße investiert China 40 Milliarden Dollar in den Aufbau von Infrastruktur in ganz Zentralasien – von Russland bis nach Pakistan und natürlich auch im eigenen Land. Vor allem der schwach entwickelte Westen Chinas soll stark von diesem neuen Interesse der Regierung profitieren. Und da um die achtzig Prozent des chinesischen Wüstenbodens sich entlang der Seidenstraße befinden, hofft Wang Yang, dass sie nun schneller vorankommen, wenn sie das eine mit dem anderen verbinden.

Peking plant im nächsten Fünfjahresplan, ein Modell öffentlich-privater Partnerschaft einzuführen, das Bauern, Unternehmen und NGOs mit finanziellen Hilfen dazu ermuntern soll, sich gegen die Ausbreitung der Wüsten einzusetzen. Das Modell soll in der Kubuqi-Wüste eingeführt werden, einer Region, in der in den letzten Jahrzehnten bereits mit viel Einsatz gegen den Wüstensand gekämpft wurde. Wichtig für einen Erfolg wäre, dass das Problem nicht einzeln angegangen wird. Es hilft nicht, wenn eine NGO Boden an einer Stelle wieder fruchtbar macht, wenn ein unvorsichtiger Bauer seine Herde an einer anderen Stelle falsch weiden lässt.

Wirtschaftlicher Fortschritt essenziell

Alle müssen mitmachen. Und alle müssten die Aussicht haben, dass sie nicht nur etwas für die Umwelt getan haben, sondern es ihnen dadurch auch wirtschaftlich besser geht. Denn erst dann werden sie weitermachen. Von sich aus ist der Mensch viel weniger umweltbewusst, als wir uns das wünschen würden. China trifft gleichzeitig die Entwicklungen am härtesten. Nirgends treffen Umweltschäden der Industrialisierung und traditionelle vorindustrielle Lebensweisen so geballt aufeinander. Deshalb ist die Aufgabe in China besonders schwierig.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.