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Politik

Sierens China: Mit Robotern siegen lernen?

Frank Sieren
23. August 2017

China will sein Wirtschaftswachstum künftig auf hochentwickelte Robotersysteme stützen. Ein strategisch wichtiger Schritt, der aber innenpolitisch große Risiken mit sich bringt, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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China Kellner-Roboter serviert Bier
Ein Kellner-Roboter serviert Bier in ChinaBild: picture-alliance/Photoshot/Y. Jianfeng

Ein gutes Jahrzehnt lang gehörte die US-amerikanische Filmreihe "Transformers" zu den größten Schlagern an Chinas Kinokassen. Der im Juni angelaufene fünfte Teil der Roboter-Saga floppte überraschend - womöglich, weil die Realität die Science-Fiction im Reich der Mitte längst eingeholt hat. Das chinesische Logistikunternehmen Shentong Express sorgte zum Beispiel im April mit einem Web-Video für Aufsehen, im dem das seltsame Treiben in einer seiner Werkshallen dokumentiert wird.

Wie in einem futuristischen Bienenstock schwärmen dort hunderte orangefarbene Roboter durch den Raum und sortieren in Windeseile Pakete. Bis zu 200.000 Abfertigungen schaffen die nahezu selbstständigen Arbeitsbienen pro Tag. "Eine Kostenersparnis von 70 Prozent", kommentierte die regierungsnahe chinesische Zeitung "People's Daily" beeindruckt. Zu kommunistischen Zeiten hätte man wohl von einem "Vorbildbetrieb" gesprochen. Oder besser noch: Von der Roboterindustrie lernen, heißt siegen lernen!

"Made in China 2025"

Dass China die Berge versetzende Kraft der Arbeiterklasse pries und den Westen mit seiner schieren Masse an billigen Arbeitskräften einschüchterte, war gestern. Heute setzt die Regierung in Peking klar auf Automatisierung. "Made in China 2025" heißt die Reformagenda, unter der die bisherige "Werkbank der Welt" in den nächsten Jahren zur Hightech-Supermacht aufsteigen will, unter anderem in dem sie bis 2020 jährlich 100.000 international konkurrenzfähige Industrieroboter produziert. Laut dem "World Robotics Report 2017" ist China bereits jetzt der mit Abstand größte Wachstumsmarkt der Branche. Alleine im vergangenen Jahr wuchs der Absatz von Industrierobotern um 27 Prozent auf 87.000 Einheiten. "Einen derart dynamischen Anstieg in so kurzer Zeit gab es noch nie", sagt Joe Gemma, der Präsident der International Federation of Robotics (IFR).

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Da seine Automatisierungsdichte im Vergleich zu anderen Wirtschaftsmächten wie den USA oder Japan noch gering ausfällt, ist China nach wie vor auf Expertise aus dem Ausland angewiesen. Mit der Übernahme der Augsburger Firma Kuka hat sich Chinas Hightech-Industrie zuletzt einen der führenden Roboterbauer im Automobilbereich einverleibt, was in Brüssel und Berlin Besorgnis auslöste. Auf Initiative des damals amtierenden Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) versuchte die Bundesregierung zeitweise sogar dem Deal zuvorzukommen, indem sie vergeblich nach einem europäischen Investor suchte, der es mit dem großzügigen Angebot des chinesischen Haushaltsgeräteherstellers Midea aufnehmen konnte. Ein strategischer Wissensvorsprung in der Robotik ist auch für den auf Maschinenbau spezialisierten Wirtschaftsstandort Deutschland von existenzieller Bedeutung.

Chinas arbeitsfähige Bevölkerung schrumpft

China versucht mit seinen Automatisierungs-Plänen wiederum den Folgen der Ein-Kind-Politik entgegenzuwirken: Da die Zahl der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter immer weiter schrumpft und Fachkräfte rarer werden, sind weiter steigende Löhne in Zukunft unausweichlich. Schon jetzt ist ein großer Teil der Plastik- und Textilindustrie in kostengünstigere Länder wie Vietnam oder Bangladesch abgewandert.

Die Geschwindigkeit der Entwicklung und dessen Auswirkungen lassen sich momentan am eindrücklichsten in der zwischen Schanghai und Suzhou gelegenen Industrie-Metropole Kunshan beobachten. Hier wagte der taiwanesische Konzern Foxconn, der unter für Apple, Microsoft, Nintendo und Samsung produziert, im Frühjahr 2016 einen der bislang größten Ausfallschritte in Sachen Automatisierung: Nahezu 60.000 von 110.000 Arbeitern wurden im örtlichen Werk entlassen und ihre Arbeitskraft durch Roboter ersetzt. Und zwar ohne, dass die Avantgarde der Arbeiterklasse in Peking gleich auf die Barrikaden ging.

Immer mehr arbeitslose Uni-Absolventen

Warum? Foxconn, das in der Vergangenheit aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen wiederholt in die Kritik geraten war, hat versprochen in Zukunft mehr Fachkräfte für höherqualifizierte Aufgaben auszubilden, beispielsweise in der "Entwicklung und Qualitätskontrolle". Also Menschen, die Roboter weiterentwickeln. Und Menschen, die sie kontrollieren.

Natürlich weiß auch Peking, dass sich mit solchen Maßnahmen die eingesparten Arbeitsplätze von Millionen von Wanderarbeitern nicht kompensieren lassen. Und schon heute fällt es qualifizierten Universitätsabsolventen schwer, Arbeit zu finden. Ihre Zahl steigt mittlerweile fast ebenso rasant, wie die der Roboter.

Neues Feindbild der Arbeiter?

Um einer Massenarbeitslosigkeit vorzubeugen, müsste China seine ungelernten Arbeiter in einem wachsenden Dienstleistungssektor unterbringen. Der wächst zwar zweistellig, aber nicht schnell genug. Die Chinesen sparen noch immer zu viel. Frei nach dem Motto "Man weiß eben nie, was passiert."

Peking steckt in einem Dilemma: Einen anderen Weg, als den, den China eingeschlagen hat, gibt es nicht, wenn das Land international wettbewerbsfähig bleiben will. Peking muss also hoffen, dass den zentralen Planern im Laufe des Umbaus noch etwas Schlaues einfällt. Sonst wird das arbeitslose Proletariat irgendwann gegen die herrschende Roboterklasse aufbegehren.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.